Schwochow: Kirchners Drehbücher haben etwas Magisches

Christian Schwochow im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 30.09.2012
Für die Verfilmung von Uwe Tellkamps Roman "Der Turm" habe er den großen Luxus gehabt, auch für Kleinstrollen eine gute Besetzung zu bekommen, sagt Christian Schwochow. Der Regisseur nennt als Grund die Qualität der Drehbücher - geschrieben von Thomas Kirchner.
Matthias Hanselmann: "Der Turm" - Uwe Tellkamps 1000-Seiten-Roman galt in der Fernsehbranche schlicht als unverfilmbar. Aber: Drehbuchautor Thomas Kirchner und Regisseur Christian Schwochow haben sich herangewagt und das ausufernde DDR-Familienepos zu einem 180 Minuten langen Zweiteiler destilliert.

Wie das gelingen konnte? Ich habe mich am Freitag, am Tag der Premiere des Films in Berlin mit Regisseur Christian Schwochow unterhalten und ihn zunächst gefragt, wie er denn den Tag erlebt hat, an dem man ihm die Regie für den Film angeboten hat?

Christian Schwochow: Na ja, es war erst mal gar nicht so konkret. Nico Hofmann rief mich an, den kannte ich schon eine Weile, weil er mein Professor in der Filmakademie in Ludwigsburg war, und er sagte, ich habe hier diese Drehbücher zum "Turm", hast du Lust, das mal zu lesen? Ich hatte große Lust, es zu lesen, weil ich den Roman kannte. Als der erschien, habe ich den sehr schnell gelesen und war auch sehr fasziniert. Und noch faszinierter war ich, als ich dann tatsächlich diese beiden Drehbücher von Thomas Kirchner in der Hand hielt, weil, der hatte da irgendwas geschafft, was magisch war. Also, diese Vorlage, die ja 1000 Seiten hat, hat der irgendwie auf einen ganz starken Kern irgendwie reduziert. Trotzdem, die Besonderheit des Buches fand ich da wieder. Und gleichzeitig war es was ganz Eigenständiges. Also, ich war völlig baff und begeistert. Und dann ging es auch sehr schnell, dass ich dann sozusagen den Zuschlag hatte, den Film machen zu können. Und ich habe gar nicht so drüber nachgedacht, ob jetzt dieser Tag einer der wichtigsten war, aber ...

Hanselmann: Ja, ich meine, wenn man mit so einem gigantischen Projekt dann betraut wird, also einem ARD-Zweiteiler zur Prime Time, wie es so schön heißt, wie reagiert man da als vergleichsweise junger Regisseur? Haben Sie erst mal eine Woche Urlaub auf Rügen gemacht, in Ihrer Heimatinsel, nachgedacht oder ...

Schwochow: Nein, ich war natürlich überglücklich und habe auch danach erst mal so ein bisschen Schiss bekommen, weil, das war vier Wochen, bevor meine Tochter zur Welt kam und ich habe gedacht, oh Gott, oh Gott, schaffe ich das alles, kann ich das meiner Familie antun? Aber wir haben dann irgendwie schnell geklärt, ich kann das nicht ausschlagen, es ist unmöglich, und wir haben das auch sehr gut hinbekommen. Aber natürlich war ich sehr nervös. Allerdings gar nicht so sehr wegen der Größe des Films, weil, für mich ist auch ein Film, der weniger kostet, irgendwie eine große Aufgabe und besonders schöne Aufgabe. Also, nur weil der Film jetzt für die Hauptsendezeit gemacht wird, arbeite ich da nicht grundsätzlich anders. Und Druck habe ich sowieso immer.

Hanselmann: Na, das hört sich jetzt so ein bisschen verharmlosend an, finde ich. Weil, man weiß von vornherein, das wird ein Millionenpublikum sehen, man kriegt die besten Schauspieler, die man haben kann, und, und, und.

Schwochow: Aber das macht es doch eher leichter.

Hanselmann: Okay!

Schwochow: Also, wenn ich weiß, ich habe zwei gute Drehbücher und ich merkte sehr schnell bei den Castings, dass sehr, sehr viele Schauspieler große Lust hatten, mitzumachen, ich hatte den großen Luxus, auch für Kleinstrollen, für Tagesrollen richtig tolle Leute zu bekommen, ohne sie großartig überzeugen zu müssen. Und das gibt einem noch eher eine Ruhe. Also, das gibt eher eine Ruhe, dass man weiß, man ist irgendwie, man hat ein Projekt, wo Leute dabei sein wollen, weil es eine Qualität schon in den Büchern gibt. Und das hat mich eher ... Ich will nicht sagen, dass ich da nicht auch sehr aufgeregt war zwischendrin, aber ich hatte das Gefühl, es steht ein guter Stern über dem Projekt und das hat sich bis zum Ende auch so bewahrheitet.

Hanselmann: Also, wir halten fest, das Drehbuch war schon fertig. Konnten Sie dann danach mit dem Drehbuchautor noch arbeiten, Dinge verändern?

Schwochow: Haben wir gemacht, ja, ja. Thomas Kirchner und ich, wir haben uns kennengelernt und haben uns sehr gut verstanden gleich. Wir sind beide begeisterte Angler und so haben wir uns ein paar Nachmittage getroffen, haben übers Angeln und über Fische geredet und dann aber auch sehr intensiv am Buch gearbeitet. Weil natürlich ich es eher gewohnt bin, eigene Stoffe zu haben, ich schreibe ja sonst die Drehbücher mit meiner Mutter zusammen, das war jetzt das erste Mal, dass so ein fremder Text zu mir kam. Und natürlich haben wir da noch Sachen gemacht, damit es noch stärker zu meinem Film wird.

Hanselmann: Wunderbar. Thomas Kirchner, wollte ich nur noch einfügen, geboren 1961 in Berlin, war früher am Maxim Gorki Theater als Bühnenbildner und später als Regieassistent tätig, inzwischen ist er seit Jahren Drehbuchautor, hat unter anderem etliche "Tatorte" geschrieben, "Spreewaldkrimis" und, und, und. Der Film spielt ja zu einer Zeit, als Sie noch ein Kind waren. Sie sind 1978 geboren, am 9. November 1989, also dem Tag, als die Mauer fiel, waren Sie gerade mal elf Jahre alt. Was bringen Sie mit oder was haben Sie mitgebracht in Ihre Regiearbeit aus der eigenen Lebenserinnerung?

Schwochow: Ja, man denkt immer so, als Kind weiß man gar nicht oder hat man gar nicht so viele Erinnerungen. Und ich würde sagen, dass wir Ostkinder durch diese Wende natürlich ganz stark politisiert wurden. Also, ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass bei uns zu Hause sehr, sehr viel diskutiert wurde in Familienfesten, immer diskutiert wurde. Abends waren Freunde zu Hause, meine Mutter hat Theater im Prenzlauer Berg gemacht, also, ständig wurde irgendwie über die Lage der Nation debattiert. Und das kriegst du als Kind natürlich mit, auch, dass ein Ausreiseantrag gestellt wurde 1987, 1988, das bekommst du mit. Und insofern gibt es aus diesen letzten Jahren ganz viele Bilder und gleichzeitig gibt es vieles in so einer Geschichte, was einem so diffus vertraut vorkommt, weil es bestimmte Klänge, bestimmte Sätze, bestimmte Situationen …Die hat man vielleicht gar nicht so bewusst mehr in Erinnerung, und trotzdem trägt man die irgendwie so in sich. Es ist ganz, ganz merkwürdig zu beschreiben, aber ich glaube, ich musste mir keinen grundsätzlichen Zugang zu dem Ganzen erarbeiten, weil, ja, vieles schon beim Lesen des Romans mir sehr vertraut vorkam.

Hanselmann: Sie haben auf der Schönhauser Allee [in Berlin] gewohnt, habe ich gelesen, zu der Zeit, und am 9.11.1989 saßen Sie auf gepackten Koffern.

Schwochow: Ja, ja, genau. Also, das ist ja so die Zeit gewesen, wo sehr viele Ausreiseanträge genehmigt wurden, und meine Eltern haben das irgendwie gespürt, es geht jetzt bald zu Ende. Und dann kam der Fall der Mauer. Man hätte eigentlich da bleiben können, meine Eltern wollten aber die Koffer nicht wieder auspacken. Wir haben gesagt, wir haben uns jetzt so sehr mit dem Abschied irgendwie auseinandergesetzt und mit dem Neuanfang, den können wir jetzt nicht hier in Ostberlin wagen oder machen. Deswegen sind wir dann nach Hannover gezogen, was meine Eltern, offen gestanden, sehr schnell bereut haben. Trotzdem sind wir da aber zehn Jahre geblieben, bis ich Abitur gemacht habe, und dann bin ich, meine Familie, meine Eltern später auch, wieder nach Berlin zurückgezogen. Ich wohne jetzt sogar wieder auf der Schönhauser Allee.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" vom Sonntag mit der Kino-Stunde, ich spreche mit Christian Schwochow, der die Regie bei dem Fernseh-Zweiteiler "Der Turm" geführt hat. Der Film wird am 3. und 4. Oktober jeweils um 20:15 Uhr in der ARD ausgestrahlt. Wenn man sich mal Ihre Stars anguckt, Herr Schwochow, Jan-Josef Liefers, geboren in Dresden, Claudia Michelsen in Dresden, Götz Schubert, geboren in Pirna, Nadja Uhl, geboren in Stralsund und so weiter, und so weiter. Hatten Sie denn überhaupt einen einzigen - in Anführungsstrichen - Wessi im Cast?

Schwochow: Ja, es gibt ein paar, zum Beispiel Juergen Maurer, der den Anwalt spielt, den Anwalt Sperber, der ist sogar ein Österreicher. Valery Tscheplanowa, die die Judith Schevola spielt, ist Russin. Es gibt einige auch von den jungen Leuten, Daniel Zillmann, der den Burre spielt, ist kein Ostler. Ich muss aber sagen, dass das erst mal nicht so geplant war, schon gar nicht Jan Josef und Claudia zu besetzen, weil sie nun auch aus Dresden kommen, das ist wirklich ein Zufall.

Hanselmann: Tatsache!

Schwochow: Ich habe gecastet, ich habe Castings gemacht und habe auch West-Schauspieler eingeladen, weil ich auch der Auffassung bin, ein Schauspieler kann auch jemand spielen, der aus einem ganz anderen Kreis kommt.

Hanselmann: Muss er eigentlich ...

Schwochow: ... muss er. Und natürlich stellte sich bei den Castings dann heraus, dass dieser Film sehr stark durch die Atmosphäre und durch die Genauigkeit der Klänge und der Situationen leben wird, und da trafen die im Osten Geborenen natürlich schneller die Töne und hatten einen viel direkteren Zugang zu den Figuren, auch zu ihren Konflikten und zu dieser ganzen Welt. Und es war mir sehr viel leichter, so eine Familie aufzubauen, weil die sich auch alle kannten seit vielen Jahren. Also, Claudia und Jan Josef, die kennen sich, seit sie Teenager sind. Und mit Götz Schubert haben sie zusammen studiert an der Ernst-Busch-Schule und viele andere kannten sich so seit vielen Jahren. Also, dass diese überwiegend ostdeutsch geprägte Besetzung dann sich so ergeben hat.

Hanselmann: Weil sie quasi die Welten in ihren Köpfen mitgebracht haben an den Drehort.

Schwochow: Ja, und weil ich auch ganz früh gesagt habe, ich habe einen starken Zugang dazu, vieles in den Details muss ich mir aber auch wie ein Student jetzt, sage ich mal, in der Geschichtsstunde erarbeiten, bitte helft mir!

Hanselmann: Da schließt sich die Frage an, die ich mir auch vorgenommen habe, nämlich, wie Sie es hinbekommen haben, dass man die ausgehende DDR förmlich riecht, wenn man diesen Film sieht?

Schwochow: Ja, zum einen durch ganz starke eigene Bilder, die auch diffus sind. Zum anderen liefert Tellkamp schon eine starke Vorlage und Thomas Kirchner hat dafür Entsprechungen, filmische Entsprechungen gefunden. Und dann gibt es natürlich ein großes Heer an Mitarbeitern, die zum Teil selbst aus dem Osten kommen. Also, mein Szenenbildner zum Beispiel, der hat noch bei der DEFA gelernt und ist sein Leben immer in Potsdam gewesen, der kennt sich also unheimlich gut aus. Und wir haben einfach irre viel auch recherchiert, ganz normal. Das ist ja auch toll, wenn man diese Zeit - vielerlei Erinnerungen verblassen ja auch oder verdichten sich zu irgend einer Fiktion -, wenn man dann noch mal so ganz konkret auch recherchieren kann und Spuren suchen kann.

Hanselmann: Aber in Dresden selbst gedreht haben Sie nicht, oder?

Schwochow: Doch, wir haben auch in Dresden gedreht. Allerdings, die Stadt ist ja - ich war gerade am vergangenen Wochenende dort - die ist ja so zauberhaft schön geworden, sodass die DDR dort tatsächlich aus den Straßen mehr und mehr verschwindet oder schon längst verschwunden ist. Ein paar Sachen haben wir aber trotzdem dort gedreht, auch Innenräume haben wir in Dresden gehabt, auch ein bisschen außen, gerade der Anfang vom Film, das erste Bild ist ein Bild in Dresden. Aber wir mussten auch ein bisschen ins Umland, sprich, auch noch ein bisschen weiter weg, bis nach Pilsen und nach Görlitz reisen oder auch nach Berlin.

Hanselmann: Wo die Orte noch besser erhalten ...

Schwochow: Ja, wir mussten uns das aber ganz schön zusammenpuzzeln. Also, das ... Wo findet man eigentlich noch eine Straße, wo mal fünf, sechs Häuser nebeneinander im unsanierten Zustand sind? Das gibt es fast gar nicht mehr.

Hanselmann: Das Problem hatte Christian Petzold auch bei seinem Film "Barbara".

Schwochow: Kann ich mir sehr gut vorstellen, ja!

Hanselmann: Der Autor des Bestsellers "Der Turm", Uwe Tellkamp, hat den Film sehr gelobt, als bewegend und tief beeindruckend bezeichnet, Tellkamp hat sogar gesagt, dass Ihr Film ohne Klischees auskommt, wie sie allerdings in seinem Buch hin und wieder vorkämen. Dazu kann man Ihnen ja eigentlich nur gratulieren!

Schwochow: Ich habe mich sehr gefreut, als ich das gehört habe, ja.

Hanselmann: Das glaube ich! Hat er den Film eigentlich fertig vorgeführt bekommen oder hat er während des Drehs oder des Schreibens des Drehbuchs schon Einfluss genommen?

Schwochow: Nein, Uwe Tellkamp kennt ein, zwei Drehbuchfassungen, er hat auch ganz schnell gesagt, er hält sich komplett raus. Wir haben uns getroffen vorm Dreh auf dem "Weißen Hirsch" in Dresden, waren Kaffee trinken, Kuchen essen, und er hat gesagt: Tut mir einen Gefallen, macht den Film nicht auf Sächsisch! Aber sonst hält er sich raus! Und er gibt mir und meinem Team das Vertrauen und das hat mich sehr bestärkt. Und dann hat er auch während des Drehs, während des Schneidens sich rausgehalten, wir haben ihm wirklich eine fast fertige Fassung präsentiert vor einigen Wochen hier in Berlin, in einem Kino, und waren sehr erleichtert, dass es ihm so gut gefällt.

Hanselmann: Christian Schwochow, Regisseur des Films "Der Turm". Zu sehen am Tag der Deutschen Einheit, also am 3. Oktober - der 1. Teil. Und am Tag danach, der 2. Teil am 4. Oktober. Jeweils um 20:15 Uhr. Und am 3. Oktober unmittelbar nach dem Spielfilm, eine empfehlenswerte Dokumentation über das Thema des Films - die letzten zehn Jahre der DDR.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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