Schwesig: Die Menschen lassen sich nicht täuschen

28.03.2011
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig wirft der Kanzlerin vor, "keine eigenen Werte zu haben und nicht das Wohl der Menschen im Blick zu haben". Die Menschen könnten Merkel und FDP-Chef Westerwelle nicht mehr vertrauen.
Jörg Degenhardt: In Berlin beraten die Parteispitzen heute über den Ausgang der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz. Vor allem bei der FDP zeichnen sich dabei heftige Personaldebatten ab, die Liberalen mussten gestern mächtig Federn lassen. Auch die Sozialdemokraten haben keine Bäume ausgerissen, teils kräftig verloren, und trotzdem können sie in beiden Ländern bei der Regierungsbildung mitreden: Grün-rot und Rot-Grün stehen als Koalitionen auf der Tagesordnung. Meine Gesprächspartnerin ist jetzt die stellvertretende Vorsitzende der SPD, Manuela Schwesig. Guten Morgen, Frau Schwesig!

Manuela Schwesig: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Haben Sie sich schon bei den Grünen bedankt, die Ihnen in Mainz und in Stuttgart zur Macht verhelfen?

Schwesig: Wir haben ein gutes Verhältnis zu den Grünen und haben ihnen natürlich gratuliert zu ihrem guten Wahlerfolg und sind sehr froh, dass es jetzt Regierungsaufträge gibt für SPD und Grüne in beiden Ländern, und sind vor allem froh, dass die Menschen ein klares Zeichen gesetzt haben für den Atomausstieg. Und da wird die Bundesregierung jetzt nicht mit ihrem Vorhaben durchkommen, da rumzuschummeln, sondern es muss jetzt klar den Atomausstieg geben. Und wem dieses Thema am Herzen liegt – und mir liegt dieses Thema am Herzen –, der kann nur zufrieden sein über den Ausgang dieser Wahlen.

Degenhardt: Aber mit diesem Thema haben vor allem die Grünen gepunktet und nicht Ihre Partei, die SPD.

Schwesig: Das stimmt, aber es geht nicht immer um das eigene Interesse, sondern wirklich um Inhalte und das, was wichtig ist für unser Land, und wichtig ist für unser Land, dass wir endlich aus der Atomenergie aussteigen, so wie es Rot-Grün schon vor vielen Jahren beschlossen hat, und wir zu erneuerbaren Energien verstärkt kommen. Und wenn wir dieses jetzt erreichen mit dieser Wahl, dann müssen wir zufrieden sein. Dass das Thema Atompolitik in allererster Linie bei den Grünen positiv niederschlägt, wissen wir, auch wenn wir auf Augenhöhe da mitkämpfen, das ist so …

Degenhardt: Ja, warum ist das so? Entschuldigung. Ihr Vorsitzender, der SPD-Vorsitzende Herr Gabriel war ja viele Jahre lang Umweltminister.

Schwesig: Ja, deswegen ist es ja auch so, dass uns bei diesem Thema auch die Menschen wählen, aber eben verstärkter die Grünen, weil es einfach ihre Kernkompetenz ist. Bei uns ist das Thema soziale Gerechtigkeit Kernkompetenz. Und jetzt, wenn wir mit den Grünen in den Landesregierungen regieren, wird ja für die Menschen neben dem Thema Atomenergie entscheidend sein, was sich vor Ort im Land abspielt. Da geht es um die Themen Wirtschaft voranbringen, Arbeitsplätze sichern, gute Familienpolitik und soziale Gerechtigkeit, und das sind die Kompetenzfelder, wo die SPD die Nase vorn hat, und da werden wir vor Ort klar machen, dass wir da eben wirklich gut punkten. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die SPD in Rheinland-Pfalz mit den Grünen erfolgreich regiert und auch in Baden-Württemberg, und Nils Schmid als große Hoffnung für die SPD hat jetzt die Chance, egal in welchem Amt, sich fit zu machen auch für den Ministerpräsidenten, und das wird gut werden.

Degenhardt: Die Kompetenzfelder, die Sie angeführt haben als Pluspunkte für Ihre Partei, die haben sich aber in Rheinland-Pfalz zum Beispiel nicht ausgezahlt, da haben Sie kräftig verloren.

Schwesig: Wir haben den konkreten Vergleich in diesen vier Kompetenzfeldern – Wirtschaft voranbringen, Arbeitsplätze sichern, Familienpolitik und soziale Gerechtigkeit – mit der CDU, und da liegt überall die SPD vorne. Dass man in dem heutigen Parteienspektrum nicht mehr zwingend eine absolute Mehrheit sichern kann, ist klar, und Regierungsverantwortung heute bedeutet auch, dass wir oft nicht zwischen Gut und Böse entscheiden, sondern zwischen zwei schwierigen Entscheidungen. Das werden die Grünen jetzt verstärkt erleben, da müssen sie jetzt auch in die Verantwortung rein. Ich bin sicher, dass das mit der SPD gut werden wird, aber das wird natürlich ein anderer Blick als nur das Thema Atompolitik.

Degenhardt: Sie sind jetzt Juniorpartner der Grünen in Baden-Württemberg, die dort auch den Ministerpräsidenten stellen werden. Auch wir müssen uns noch dran gewöhnen, dass es nicht nur Rot-Grün gibt, sondern auch Grün-Rot. Haben Sie damit ein Problem, sozusagen sich hinten anzustellen und den Grünen aufgrund des besseren Wahlergebnisses den Vortritt zu lassen?

Schwesig: Überhaupt gar nicht. Das gehört in der Demokratie dazu, und noch mal: Wir haben mit diesen Wahlen erreicht, dass dieser Atomausstieg jetzt wirklich von der Bundesregierung ernst genommen werden muss. Wäre es anders ausgegangen, hätte doch Frau Merkel die Atommeiler wieder angeschaltet, das wissen wir doch alle, dass das nicht ehrlich gemeint war von der Bundesregierung. Und das zeigt eben, dass die Menschen sich nicht täuschen lassen, und dass sie durchschaut haben, dass es Frau Merkel um reine Machtpolitik geht und nicht um das Wohl der Menschen und das Wohl unseres Landes. Und das ist ein gutes Ergebnis, dass die Bürgerinnen und Bürger hier ein klares Zeichen gesetzt haben, dass sie mehr denn je zur Wahl gegangen sind in diesen Ländern, und wem es wirklich um die Inhalte geht, der zickt nicht rum, wenn er mal irgendwo an Platz zwei steht. Und noch mal: Nils Schmid ist 36 Jahre, er wird jetzt in der Regierungsverantwortung beweisen, wer er ist, nämlich ein kluger Mann, der wirklich verantwortungsbewusst ist, und hat damit alle Chancen für die nächsten Jahre.

Degenhardt: Was bedeutet das gestrige Ergebnis für die politische Landschaft in Deutschland? Ist die Republik etwa nach links gerutscht?

Schwesig: Die Republik hat gezeigt, dass sie Politik will, die ehrlich ist und worauf sie vertrauen kann, und die Menschen können Schwarz-Gelb, können Frau Merkel und Herrn Westerwelle nicht mehr vertrauen. Das wissen sie, und das haben sie gestern klar gezeigt, das Wahlziel Schwarz-Gelb ist abgewählt, wurde damit erreicht, und es ist nicht nur ein Warnschuss für Frau Merkel, sondern eine klare Ansage, dass die Menschen ihre Politik in diesem Land nicht mehr wollen, und Sie werden sehen: Das wird sich in den nächsten Landtagswahlen fortsetzen. Der Kurs von Frau Merkel, nur auf den eigenen Machterhalt zu schauen, keine eigenen Werte zu haben und nicht das Wohl der Menschen im Blick zu haben, dieser Kurs wird dazu führen, dass sie abgewählt wird.

Degenhardt: Das heißt, Neuwahlen wären jetzt eine Möglichkeit, um der neuen Lage Rechnung zu tragen?

Schwesig: Es wäre eine Möglichkeit, aber wir wissen doch alle, dass Frau Merkel eine Stärke hat, und das ist die Stärke, solche Dinge auszusitzen. Sie hat auch keine ernstzunehmende Konkurrenz in der CDU, und deswegen wird es bei Schwarz-Gelb auf Bundesebene bleiben, und deswegen brauchen wir die nächsten Landtagswahlen, um weiter ein klares Zeichen gegen diese Bundesregierung, gegen diesen Politikstil zu setzen.

Degenhardt: Vielen Dank für das Gespräch. Am Telefon von Deutschlandradio Kultur war Manuela Schwesig, die stellvertretende Vorsitzende der SPD.

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