Schwarzer Humor aus spitzer Feder

30.04.2011
Der 200-Seiten-Essay des britischen Philosophen Terry Eagleton liest sich streckenweise so komisch wie ein Monty-Python-Sketch. Für ihn ist das Böse vor allem eines - lächerlich.
Es ist auffällig, dass die markantesten (und auch die beliebtesten) Philosophen unserer Zeit allesamt Quereinsteiger oder Zaunkönige waren oder sind. Der britische Katholik und Marxist Terry Eagleton ist so einer, war Literaturwissenschaftler, wurde 1983 mit einem Buch zur Literaturtheorie weltweit berühmt, und hatte ein langes, aber entschlossenes coming out zum Philosophen.

Ohne sich selbst zu beweihräuchern, spricht er von den großen Anti-Philosophen Kierkegaard, Friedrich Nietzsche, Ludwig Wittgenstein, Michel Foucault, Jacques Derrida und Richard Rorty, mit denen er sich - nein, nicht in einer Reihe sieht, sondern solidarisch erklärt. Es scheint, als sei die Beschäftigung mit dem freien Spiel des literarischen Geistes nicht nur ein unerschöpfliches Reservoir an Beispielen und Prunkzitaten, sondern ein Biotop, in dem sich Reflexion vor- oder auch nach-philosophisch entfalten kann.

Terry Eagleton widmet sich nun nach seinem so komischen wie tröstlichen Buch über den "Sinn des Lebens" (2008) einem anderen Problem der denkerischen Tradition: dem Bösen. Dabei gewinnt sein gewohnter menschenfreundlicher, britisch-ironischer Humor die Dimension eines Gegengiftes. Zwar dekonstruiert er – unter anderem in kurzer, aber genauer Lektüre Hannah Arendts – den metaphysischen Begriff des Bösen, wo er auf ihn trifft.

Immer beharrt Eagleton darauf, dass das Böse ein ethisches Problem darstellt und erst in zweiter, dritter oder vierter Linie ein Problem der Metaphysik und der Religion. Wie absurd Fragen der Schuld und der genauen Qualität des Bösen etwa im mutmaßlichen Zusammenhang zwischen Eichmann und Hitler sind, führt er in lockeren Gedankenexperimenten durch. Er gesteht einmal entnervt zu - auch gegenüber den Manichäern unter den Katholiken: "Vielleicht ist das Böse in den höheren Rängen faschistischer Organisationen nicht ganz so selten." Fügt aber sogleich hinzu: "Doch zum Glück sind faschistische Organisationen meist sehr dünn gesät."

Es geht Eagleton nicht darum, die Verantwortlichkeit des Individuums zu schmälern und klassisch marxistisch auf die "Verhältnisse" zu verweisen. Es gibt eben beides: das Böse im System und das Böse, das böse ist, weil es mit jedem System bricht. Das letztere, das hypothetische absolute Böse, hält Eagleton zwar für eine interessante philosophische Idee, aber es spielt für ihn im "Alltag des Bösen" kaum eine Rolle. Die Frage der Substanzhaftigkeit des Bösen (gibt es das Böse an sich, oder nur die Abwesenheit des Guten?) ist für Eagleton in etwa so relevant wie die scholastische Frage, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz finden.

Vergleichbar ist Eagletons 200-seitiger Essay mit Rüdiger Safranskis Studie über das "Böse und das Drama der Freiheit" von 1997. Safranski mag gründlicher sein und mehr Material aufrollen. Aber das Büchlein des Iren, das sich streckenweise so komisch liest wie ein Monty-Python-Sketch, hat es in sich. Sein humanistischer, liberaler Humor kann von Auschwitz pietätvoll reden – und dennoch entlässt es den Leser mit der reinsten Überzeugung ins Leben, dass das Böse zwar schlimm ist, aber der Böse vor allem nur eines ist: lächerlich.

Besprochen von Marius Meller

Terry Eagleton: Das Böse
Aus dem Englischen von Hainer Kober
Ullstein Verlag, Berlin 2011
208 Seiten, 18 Euro