"Schwarmkontrolle" brachte Minister zu Fall

Moderation: Frank Meyer · 01.03.2011
Ohne das Internet wäre zu Guttenberg vermutlich noch im Amt, glaubt der Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts Uwe Kammann. Die Aktionen im Netz hätten dazu beigetragen, dass das Thema nicht einfach wieder verschwunden sei.
Frank Meyer: Einen Skandal wie den um die Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg totschweigen, das funktioniert in der Internetgesellschaft nicht mehr, denn das Netz hat niemals genug und wird nie satt. Das hat heute noch vor dem Rücktritt der investigative Journalist Hans Leyendecker in der "Süddeutschen Zeitung" geschrieben. Also hat das Internet den Rücktritt des Ministers beschleunigt oder sogar erzwungen? Ist das eine andere Form von Mediendemokratie, als wir sie bisher kannten? Das wollen wir gleich diskutieren. Vorher ein Blick auf die ersten Reaktionen im Netz von Konstantin Zurawski ( MP3-Audio ). Und wir wollen jetzt reden mit Uwe Kammann, Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts. Herr Kammann, seien Sie uns willkommen!

Uwe Kammann: Schönen guten Tag, Herr Meyer!

Meyer: Was sagen Sie denn zu der Frage, die da gerade am Ende unseres kurzen Berichts aufgeworfen wurde? Wäre Karl-Theodor zu Guttenberg ohne die Aktion im Internet noch im Amt?

Kammann: Ich vermute, er wäre noch im Amt. Diese Internetaktion war ja sehr massiv, sie hat auch noch mal gestern ja die Nachrichten sehr stark bestimmt, und das hat dann dazu beigetragen, dass dieses Thema nicht einfach, was ja Frau Merkel versucht hätte, wieder verschwunden wäre. Das wäre zwar auch nicht möglich gewesen, aber es wäre nicht so massiv präsent gewesen. Ich glaube, dass tatsächlich die Netzöffentlichkeit hier Wesentliches bewirkt hat. Sie hat ja auch erst ermöglicht, dass so schnell kontrolliert werden konnte, wie diese Doktorarbeit in ihren Grundzügen eigentlich entstanden ist. Ich würde gerne das Wort einfach Schwarmkontrolle dafür benutzen, weil eben viele vergleichen konnten. Das war so, wie man bei Wikipedia sagt, Schwarmintelligenz schafft sozusagen Erkenntnis, die sich vernetzt. So war es hier die gleichzeitige Möglichkeit für alle, diese Arbeit zu zerlegen, zu analysieren und damit die Belege zu liefern. Und das wäre, glaube ich, ohne das Netz so überhaupt nicht möglich gewesen.

Meyer: Damit sprechen Sie jetzt GuttenPlag an, das war ja die Seite, wo viele Aktivisten die Belege zusammengetragen haben für plagierte Stellen in der Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg. Das war für Sie das entscheidende Element in dieser Internetaktivität?

Kammann: Ich glaube ja, das war der erste wesentliche Schritt. Wenn jetzt ein oder zwei Personen kraft ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis hätten sagen können, an den und den Stellen hat er möglicherweise gepfuscht, dann hätte man das vielleicht für ein gesteuertes Interesse gehalten, auch für einen Teil einer Kampagne, da wäre sicherlich das Misstrauen sehr viel größer gewesen, während so der Prozess der Recherche nach den Plagiatsstellen transparent lief. Er war für alle einsichtig, und jeder konnte ja auch selber noch etwas dazu beitragen. Und damit bekam es ein größeres Maß der Objektivierbarkeit und der Präsenz jederzeit in Echtzeit sozusagen, und damit hatte das eine ganz andere Qualität, als wenn es jetzt auch vielleicht einige Presseorgane in die Wege geleitet hätten. Das ist dann immer punktueller, da gibt es dann viel mehr kritische Fragen, warum tun die das, wem soll das nützen. Hier lief ein Prozess vor aller Augen ab, und das hat ihm wirklich eine ganz besondere Qualität gegeben.

Meyer: Es gab ja auf der anderen Seite aber auch Rückendeckung für den Minister, es gab diese Facebook-Seite "Stoppt die Jagd auf Guttenberg", betrieben von einem jungen Liberalen, den wir auch hier bei uns im Programm hatten. Auch die Seite hat ja in ganz kurzer Zeit eine riesige Unterstützerzahl zusammengezogen – 310.000 Menschen hatten sich da bis zum Schluss jetzt als Guttenberg-Fans eingetragen. Aber man hat den Eindruck, dass die Unterstützer lange nicht so gut durchgedrungen sind wie die Kritiker von Guttenberg, oder?

Kammann: Ja, sie hatten ja auch nicht das zu bieten, was jetzt die anderen zu bieten hatten. Die hatten ja erstmal den Vergleich und die Analyse und die Bewertung, während eine solche andere Öffentlichkeit dann ja eher stärker eine tendenzielle ist, die eine Meinung und eine Position vertritt. Da formieren sich dann also Lager, die dann natürlich auch sich nach Glaubensrichtungen unterteilen lassen. Das ist etwas völlig anderes, als wenn ich sage, ich schaffe erst mal eine Wissens- und eine Informationsplattform. Danach finden Sie alles das, was im Netz ja jederzeit auch stattfindet, das können Sie bei jedem Zeitungsartikel eigentlich lesen. Wenn man mal dann die Kommentare dazu liest, das ist ja immer stärker die Funktion, die früher der Leserbrief hatte, der ja nur sehr vereinzelt da war, der noch mal redigiert wurde. Im Netz drückt sich das ja alles relativ unmittelbar aus, und insofern ist es heute leicht möglich natürlich, wenn man sozusagen eine These hat – in diesem Falle war es eben eine Überzeugung, wir möchten jemand schützen, wir möchten ihn behalten –, dann sozusagen die Gemeinde um sich zu versammeln, aber das gibt es natürlich auch in der Gegenrichtung. Aber das sind zwei unterschiedliche Vorgänge.

Meyer: Das hat sich ja in den letzten Tagen dann herauskristallisiert. Die Wissenschaftler, muss man sagen, sie haben eine Weile gebraucht, bis sie in die Gänge gekommen sind, aber dann doch mit Macht jetzt am Ende. Es gab ja diese Initiative junger Wissenschaftler, die vor allem auch gegen den Umgang der Kanzlerin mit dieser ganzen Affäre protestiert haben. Auch die haben in kürzester Zeit eine Menge Unterstützer zusammenbekommen – 50.000 Wissenschaftler, die muss man ja erst mal tatsächlich aktiviert kriegen. Was denken Sie, welche Rolle hat dieser Massenprotest auch aus der deutschen akademischen Elite sozusagen jetzt in den letzten Tagen gespielt?

Kammann: Ich glaube, der hat auch eine ganz besondere Rolle gespielt. Ich glaube schon, dass dann auch bei der Wahrnehmung solcher Stimmen das Gewicht unterschiedlich ist. Ich glaube schon, dass die Wissenschaftler da ein anderes Renommee hatten und dass dann auch Teile der Öffentlichkeit, die vorher vielleicht unentschieden waren, gemerkt haben, das ist schon ein sehr wesentlicher Vorgang, den Guttenberg da ausgelöst hat. Es ist eben kein Kavaliersdelikt. Ich glaube, das war eine sehr gute Sprachregelung auch, um zu zeigen, das ist etwas, was nicht nur den Wissenschaftsbetrieb im Kern trifft, sondern was ohnehin menschliche Charaktereigenschaften anbetrifft, die wichtig sind – eben Seriosität, Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit – und die nicht nur dort Geltung haben, sondern auch woanders. Damit wurde das übertragbar, und natürlich, der wissenschaftliche Hintergrund hat das dann in der Seriosität noch mal verstärkt. Und damit war dann auch eine Position, glaube ich, sehr stark angegriffen, die von Angela Merkel, die ja die These vertreten hat, man kann Charaktereigenschaften, die jemand an einer bestimmten Stelle gezeigt hat, also hier beim Fälschen und beim Betrug, der ja nun so offensichtlich war, vergessen, wenn man eine andere fachliche Eigenschaft in den Vordergrund schiebt, eben die des Ministers. Dass das eigentlich unhaltbar war, das ist durch diese Aktion der Wissenschaftler, glaube ich, dann sehr offenkundig geworden, und darum hat das ja auch so, wie ich das beobachtet habe, in den Nachrichten und in den entsprechenden Beiträgen im Hintergrund noch mal ein sehr großes Gewicht bekommen. Das ist ja sehr stark fast immer so die erste Schlagzeile auch gewesen.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Uwe Kammann, Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts, über die Beteiligung der Medien und insbesondere des Internets am Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg. Er hatte ja einen starken Verbündeten, einen sehr starken, mit einer Auflage von über drei Millionen, eben die "Bild"-Zeitung, die ja in Nibelungentreue fest zu ihrem Lieblingsminister gehalten hat. Muss man jetzt am Ende auch sagen, das Internet hat "Bild" besiegt?

Kammann: Nein, ich glaube, "Bild" musste man da auch nicht besiegen. "Bild" hat eine sehr klare Position bezogen, ich glaube, das war eine Art von Interessensgemeinschaft. Meine Vermutung ist nicht so sehr, "Bild" hat eine Kampagne gemacht, sondern "Bild" hat die Popularität für sich nutzen wollen, indem sie sagt, wir stellen uns an eine Seite, wie jemand, der dann in den Augen mancher als gemobbt gilt, der bekommt Mitleid, zu dem hält man eher, und dann sind diejenigen, die unterstützen, dann auch sympathisch – so vermute ich eher. So wie ja gestern die Schlagzeile dann war, wie sehr ihn das schmerzt und wie er leidet, das war dann sozusagen die Mitleidstour. Nein, ich glaube, das ist nicht ... es sind ja viele, viele Stimmen hier gewesen – das Erstaunliche ist ja eher, dass die Presse inklusive sozusagen auch natürlich jetzt Radio und Fernsehen und so weiter, alle Medien an der Stelle in der Mehrzahl doch sehr, sehr kritisch waren und im Grunde dieses Verhalten als verwerflich und nicht nur als ein Kavaliersdelikt eingestuft haben.

Meyer: Aber wenn Sie am Anfang gesagt haben, Herr Kammann, dass letztlich entscheidend waren die Aktionen, die im Internet stattgefunden haben, haben wir da in den letzten Tagen eine Verschiebung der Gewichte in unserer Öffentlichkeit erlebt, weg von der vierten Gewalt, den konventionellen Medien, hin zu den Neuen Medien, eben zum Internet? Haben wir erlebt, dass die Bürgermacht sozusagen sich dort sehr viel stärker artikuliert, artikulieren kann als früher?

Kammann: Es gibt sicherlich tendenziell eine Öffnung der früheren klassischen Öffentlichkeit, also das waren die etablierten Medien, die klar hierarchisch verantwortet werden, zugunsten einer ganz offenen Öffentlichkeit, wenn man das so sagen darf. Das zeigt sich auch an vielen Stellen in der Welt, weil das Netz einen ganz entscheidenden Vorteil hat, der sich auch zum Nachteil wandeln kann, dass es eigentlich nicht zu kontrollieren ist, dass es über die Grenzen tritt, dass es jederzeit und überall verfügbar ist. Und wir haben ja die Parallelbeispiele jetzt im Augenblick in Nordafrika bei den dortigen revolutionären Bewegungen, wir hatten das vor zwei Jahren im Iran, als es ja auch dort schon eine Art von Aufstand gab, der erst sein Gewicht bekommen hat und seine Schlagkraft durch die Veröffentlichung weltweit von Internetbeiträgen. Da waren Twitter, Facebook einmal Organisationsplattform und zugleich haben sie das geschafft, was sonst ein Regime verhindern konnte, nämlich Informationen zugänglich zu machen für die Weltöffentlichkeit. Und das schafft dann wiederum einen eigenen Druck und eine eigene Realität. Insofern ist das wirklich eine Veränderung der bisherigen Rolle.

Meyer: Und das haben wir gerade in Deutschland auch miterlebt beim Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg. Darüber haben wir gesprochen mit Uwe Kammann, Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts. Herr Kammann, vielen Dank für das Gespräch!

Kammann: Gerne!