Schuppen, Scheunen und Schamanen

Von Stefan Keim · 19.09.2011
Die Industriekultur des Ruhrgebietes ist zum Markenzeichen der Region geworden. Nun beschäftigt sich das Projekt "LandTanz" mit der landwirtschaftlichen Seite der Metropole Ruhr. Fünf Bauernhöfe zwischen Essen und Schwerte sind Schauplätze für Tanzperformances und ein Symposion.
"Guten Abend, meine Damen und Herren von fern und nah. Wir beginnen gleich mit der Vorstellung und wir werden sie in zwei Gruppen aufteilen."

Ungefähr 80 Leute haben sich vor dem Hof am Mechtenberg versammelt. Im Städtedreieck von Essen, Bochum und Gelsenkirchen liegt der traditionsreiche Bauernhof, der sich im Lauf der Zeit gewandelt hat. Kühe gibt es hier nicht mehr, der Schweinestall ist nun eine Rumpelkammer, wo früher der Misthaufen war, befindet sich nun ein Biergarten.

Bauer Budde und seine Frau haben noch Hühner und Schafe, sie leben vor allem vom Hofladen samt Café. Nun wird ihr Hof zum Theaterparcours. Am frühen Abend - noch bei Tageslicht - gehen zwei Zuschauergruppen über Felder und Wiesen, durch Baracken und Scheunen.

Zwischen Heuballen bewegen sich zwei Tänzerinnen. Sie haben Duftkerzen angezündet, die Kleidung in rot und weiß erinnert an osteuropäische Volkstracht. Ein Cellist begleitet sie, während sie von einem Engel singen und erzählen und die Besucher mit kurzen Gesten segnen.

"LandTanz" ist das Finale des von der EU geförderten Projektes "Sanctuary". Der Theatermacher Rolf Dennemann hat in Polen, Litauen, Malta und der Türkei nach Orten des Rückzugs aus dem Alltag, nach sakralen Orten gesucht. Im polnischen Lodsch haben Dennemann und einige der Tänzerinnen, die nun auch im Ruhrgebiet dabei sind, ein verfallenes Sanatorium im Wald wieder belebt. Anderswo gab es Recherchen, Interviews, Begegnungen.

"Für die Malteser ist die Insel an sich schon ein Heiligtum. Es gibt so viele Kirchen wie hier Kioske." Und in der Türkei war es eher die Erkenntnis, dass zumindest unter den Menschen, die wir getroffen haben, die Familie und der Ort der Familie als Heimatgedanke stark dominiert."

Im Ruhrgebiet sind es die Bauernhöfe, die der von der Schwerindustrie geprägten Region Zufluchtsorte geben. Auf einem weiten Feld sitzt ein asiatischer Musiker mit einer Pferdehalsgeige. Zu seinen Obertongesängen bewegen sich die Tänzerinnen, erst spielerisch, dann immer wilder. Während sich auf der Weide hinter ihnen ein Esel auf dem Rücken wälzt. Das ist natürlich Zufall, bekommt aber im Zusammenhang mit der Choreographie ein anderes Flair.

"Wenn das Publikum einen Weg erwandert mit der Hoffnung auf künstlerische Ergüsse, und man trifft auf diese, dann wird plötzlich - das ist dem Menschen eigen - fast jedes Objekt und jeder Zufall zu einer Inszenierung. Normalerweise gehen Kühe vorbei und man denkt: Ah, da gehen Kühe vorbei. In dem Fall wäre es so: Guck mal da - Kühe! Das Ganze bekommt so ein bisschen einen Heiligenschein."

Doch es gibt keineswegs nur heilige Momente bei "LandTanz". Eine Tänzerin ist in einem Käfig eingeschlossen, Hundefutter und ein Wassernapf stehen darin. Aber es gibt auch zwei Teppiche und eine schief hängende Deckenlampe. Sie bewegt sich lasziv zu wummernder Rockmusik, vielleicht ist sie eine Sexsklavin? Im Obergeschoss einer Scheune öffnet sich ein Tor. Eine Frau schaut heraus:

"Du musst zu mir kommen, nach Hause kommen. Ich bin bereit, wenn du nach Hause kommst. Ich habe mir die Haare gekämmt, wenn du nach Hause kommst."

Ein Monolog der Begierde, gerichtet an einen fernen Geliebten, den es vielleicht nur in den Träumen der Bäuerin gibt.

"Lauf,Cowboy, lauf zu deinem Auto, deinem Volvo, großer, weißer Volvo, schön groß, lauf, Cowboy, steig ein!"

Keiner kommt, sie schließt die Tür wieder. Aber resigniert sieht sie nicht aus, sie wird weiter träumen von ihrem Cowboy. Es wäre übertrieben, in diese Szene eine kritische Auseinandersetzung mit dem Leben heutiger Bäuerinnen hinein zu interpretieren. "Land Tanz" ist eine entspannte Aneinanderreihung unterschiedlichster Bilder und Stimmungen. Besonders berühren kurze, rätselhafte Szenen.

In einer Halle zwischen Anhängern und Mähdreschern sitzt eine alte Frau auf einem Plastiktrecker. Ein Mann putzt ihr die Finger mit einem Lappen ab, als sei sie ein landwirtschaftliches Gerät. Aber er spricht auch mit ihr, leise, die Worte sind nicht zu verstehen. Ein Akkordeonist spielt plötzlich schrille Töne. Da versucht sie, vorwärts zu kommen, aber die Räder bleiben stecken.

Der Bauernhof bleibt eine seltsame, eine fremde Welt - und kommt einem zugleich ganz nah. Auf dem Acker erzählen Bauer Budde und seine Frau von ihrem Leben und ihrer Arbeit. Ein Zuschauer stellt ganz präzise Fragen. Schließlich stellt sich heraus, dass er in der Gegend aufgewachsen ist und vor 40 Jahren von diesem Acker Kartoffeln geklaut hat.

Spontane menschliche Momente, skurriler Humor und kraftvolle Choreographien ergeben eine faszinierende Mischung. Am Ende des Rundgangs ist der Kopf voll gepackt mit Bildern. "Land Tanz" ist eine ungewöhnliche Theaterform, ein Gang durch eine lebendige Ausstellung, Wirklichkeit und Traum vermischen sich. Und fast ohne es zu bemerken hat man viel gelernt über die Bauernhöfe direkt vor der eigenen Haustür.

Link zum Projekt

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