Schulessen

Zum Fraße vorgesetzt

04:01 Minuten
Ein Schüler wirft nach dem Mittagessen Essensreste in bereitgestellte Behälter
Das Schulessen an einer großstädtischen Regelschule mache auch den Ekel vor dem Essen zu einer körperlichen Qual, meint Eva Sichelschmidt. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Ein Standpunkt von Eva Sichelschmidt · 12.12.2019
Audio herunterladen
Man ist, was man isst, sagt ein altes Sprichwort. Wenn man das wörtlich nimmt, dann ist es schlecht bestellt um unseren Nachwuchs. Die Schriftstellerin Eva Sichelschmidt wagt einen Blick in eine Berliner Schulkantine. Guten Appetit!
Mit elf ist man weder Fisch noch Fleisch, sagten die Erwachsenen, als ich in diesem speziellen Alter war. Meine Jüngste ist nun elf und isst weder Fisch noch Fleisch. Das heißt, Fisch isst sie nie, Fleisch nur zu Hause. In der Schule würde sie am liebsten gar nichts essen, aber das ist nicht erlaubt. Irgendetwas muss man beim Mittagessen immer probieren, so will es die Hausordnung. Das ist natürlich Unsinn, wenn man schon seit der Einschulung die Qualität des Schulessens täglich überprüfen durfte, der Menüplan sich nie ändert und man immer zu dem gleichen Schluss kommen muss: Das Essen ist und bleibt ein Graus.
Richtig schlimm wird es paradoxerweise, wenn man – um die Zufuhr von Ekelfleisch einzudämmen – zum Vegetarier geworden ist. Dann ist der Schulpaps schlicht ungenießbar. Ohne Fleisch zu kochen, ist gleichbedeutend mit geschmacksneutral. Einzige Ausnahme: Das Essen am Donnerstag, da gibt es süße Gerichte, richtig süße. Warum? Weil die Kinder eventuell unter Zuckermangel leiden?
Gekocht wird in der Schule natürlich nicht, es wird nur aufgewärmt. Steht Milchreis auf dem Plan, ist der Brei so überzuckert, dass die Zuckerkörner zwischen den (hoffentlich noch unverplombten) Zähnen knirschen. Meine Tochter sagt, der Reis sei dann so süß, dass einem die Augen tränen und sich der Hals zuzieht.

Fast Körperverletzung

Während sie mir von der Tortur berichtet, wenigstens die gewünschten zwei Löffel von diesem Zeug zu sich zu nehmen, wird mir rot vor Augen – vor Wut. Das grenzt ja an Körperverletzung! Da renne ich ständig zum Bioladen, bemühe mich jeden Abend um eine frisch gekochte Mahlzeit, und die Schulspeisung macht alles zunichte. Hier der Versuch möglichst gesunder Ernährung, da die volle Dröhnung Schadstoffe.
Mit elf läuft der Geruchssinn auf Hochtouren und der Geschmackssinn ist extrem sensibel. Doch das Schulessen an einer großstädtischen Regelschule macht noch etwas anderes zu einer körperlichen Qual – der Ekel.
In der Pubertät ekelt man sich so gründlich wie nie zuvor und selten danach. Der fade Geschmack der wässrigen Gemüsesuppe in der Mensa ist das eine – die großen Fettaugen, die auf ihr schwimmen – infernalisch aber sind die blauen Gummihandschuhe der Kochgehilfen.

Die Schweinefütterung lässt grüßen

Beim Austeilen der Suppe werden sie zusammen mit den Plastikkannen in die Bottiche getaucht. Niemand, erst recht kein Erwachsener, möchte sein Essen wie Schweinefraß vorgesetzt bekommen.
Auf dem Whiteboard, das im Klassenzimmer die gute alte Schultafel abgelöst hat, werden in den Frühstückspausen manchmal Kindernachrichtensendungen geschaut. Wenn nicht von Klimakatastrophen die Rede ist, geht es dort meist um das gesunde Leben, Sport und die richtige Ernährung. Aber während der Sportlehrer die Kinder am Nachmittag im Kasernenhofton über den Platz hetzt – der Sportunterricht stammt mit Bundesjugendspielen und Trillerpfeifenalarm noch aus den Zeiten von Turnvater Jahn –, liegen den Kindern als Grundlage für die körperliche Ertüchtigung Wienerwürstchen auf Nudeln mit hartgekochten Eiern im Magen.

Beim Essen für die Kinder wird mal wieder gespart

Wer bitte hat sich so ein Menü ausgedacht? Und warum kommen sowohl die Würste als auch die Eier aus Plastiktüten? Ich würde den Schuldigen gern in der Schulmensa anketten und mit Schulessen nicht unter fünf Jahren bestrafen. "Nur zwei Löffelchen, für den Schulsenator…."
An der Ernährung der Menschen, die unsere Zukunft sind, wird gespart. Wie immer sind’s die leeren Kassen. Komisch ist das schon: Eine Stadt, die sich 15 Jahre Misswirtschaft geleistet hat, um einen Großflughafen am Tropf des Landes zu ernähren, kann unseren Nachwuchs nicht vor Mangelerscheinungen durch minderwertiges Schulessen bewahren.

Eva Sichelschmidt, geboren 1970, ist Schriftstellerin. Sie wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach der Gesellenprüfung zur Damenschneiderin zog sie 1989 nach Berlin und machte sich mit einem Maßatelier für Braut- und Abendmoden selbstständig. Mit ihrem Ehemann Durs Grünbein und ihren drei Töchtern lebt sie in Rom und Berlin. Ihr zweiter Roman "Bis wieder einer weint" erscheint im Frühjahr 2020 im Rowohlt Verlag.

© Privat
Mehr zum Thema