Schuldenkrise und kein Ende

Franz Hörmann im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 30.12.2010
Auch große Länder könnten bald ihre Zinsen auf die Staatsschuld nicht mehr bezahlen, sagt der Ökonom Franz Hörmann voraus: "Genau dieser Fall wird jetzt 2011 eintreten. Das ist dann in Wirklichkeit der Staatsbankrott."
Liane von Billerbeck: Die heutige Krise geht von den Banken aus, Banken erfinden Geld, denn sie geben Kredite von Geld, das sie gar nicht haben, dafür nehmen sie Zinsen. Und wenn einer dann weder Kredit noch Zinsen zurückzahlen kann, dann verliert er alles, es findet also eine Enteignung statt. Das sagt Franz Hörmann, er lehrt Revisions-, Treuhand- und Rechnungswesen an der Wirtschaftshochschule Wien und prognostizierte schon 2009 für das nächste Jahr, also 2011, das Ende der Währungen, und für ebenfalls in absehbarer Zeit, für 2013 nämlich, das Ende unseres derzeitigen Finanz- und Gesellschaftsmodells. Klingt utopisch. Wie er das begründet und wo er die Alternativen sieht, das werden wir uns jetzt erklären lassen. Herr Hörmann, ich grüße Sie!

Franz Hörmann: Ja, schönen guten Tag!

Liane von Billerbeck: Fangen wir mit der aktuellen Krise an: Das Vertrauen ins Finanzsystem ist ja eigentlich hin, aber trotzdem funktioniert das Bankensystem weiter. Wie geht das?

Hörmann: Ja, das geht, weil die Banken zurzeit auf Kosten der Steuerzahler leben. Und dieses Geld, das angeblich den Banken zur Verfügung gestellt wird, existiert nach wie vor nicht. Auch dieses Geld muss erst erzeugt, also geschöpft werden.

Liane von Billerbeck: Gestern war ja zu lesen, dass die Deutschen wieder hemmungslos ihr Geld in Derivaten anlegen. Das ist ja nichts anderes als so eine Art Wettschein, mit dem man auf die Wertentwicklung von Aktien, Rohstoffen und anderen Vermögenswerten wettet. Dabei kursierten doch haufenweise Geschichten von Rentnern, die beispielsweise durch die Lehman-Pleite ihr gesamtes Erspartes verloren haben. Warum tun die Leute das dennoch?

Hörmann: Ja, die Menschen machen das aus dem Grund, weil sie keine anderen Alternativen sehen. Wenn wir uns die Rohstoffe ansehen, Edelmetalle et cetera, dann sind alle diese Mengen, die zur Verfügung stehen, begrenzt. Das heißt, es ist vollkommen klar, dass bei einem steigenden Angebot die Situation irgendwann einem Pyramidenspiel gleich. Das heißt, der Letzte, der die Ware zum teuersten Preis kauft, findet dann keinen Käufer mehr. Dann stürzt der Preis zusammen und die sogenannte Blase platzt.

In Wirklichkeit haben wir es überall dort, wo wir nicht mit zusätzlichen Produktionsmengen den Preis wieder senken können, mit einem Pyramidenspiel zu tun. Und unser wirkliches Problem in der Finanzkrise zurzeit ist die unsinnige Art und Weise, wie Geld überhaupt von den Banken erzeugt wird. Das erfolgt in einer Buchung, Forderung an den Kreditnehmer, an Verbindlichkeit gegenüber dem Kreditnehmer. Die Forderung ist soweit klar, die wird besichert, dinglich besichert und verzinst, und die Verbindlichkeit der Bank gegenüber dem Kreditnehmer ist schlicht und einfach sein Girokonto, sein Guthaben, das Giralgeld. Und das erfolgt in einem Buchungssatz. Geld im eigentlichen Sinn, Münze und Schein werden erst gedruckt und nachgeliefert, sollte es behoben werden. Bleibt es elektronisch, wird es elektronisch überwiesen, dann bleibt es auch als Bit und Byte einfach in den Rechnern der Banken. Aber das Problem ist: Wenn neues Geld erzeugt wird, wird im gleichen Ausmaß eine Schuld erzeugt, die wieder verzinst werden muss.

Liane von Billerbeck: Sie haben das mal in einem Zeitungsinterview mit dem "Standard" gesagt, dass der wirkliche Skandal ist, dass unser gesamtes Geldsystem auf Schulden basiert. Das gilt ja weltweit.

Hörmann: Richtig.

Liane von Billerbeck: Wir sehen das gerade, dass die Welt also ganz tief im Dispo steckt quasi, aber irgendwie scheint sich kaum einer so richtig drum zu scheren. Warum nicht?

Hörmann: Weil das in Wahrheit ein politisches Problem ist. Sie dürfen nicht vergessen, dass der Großteil der Zentralbanken weltweit in privatem Eigentum steht, und dass da die Geldmenge und damit, versucht man ja, auch das Preisniveau gesteuert wird beziehungsweise zu steuern versucht wird.

Liane von Billerbeck: Außer die Oesterreichische Nationalbank, die ist verstaatlicht worden.

Hörmann: Da ist eben ein mutiger Schritt erfolgt und da haben sich ja einige Leute im Hintergrund offensichtlich auch etwas dabei gedacht. Nicht, also das ist wirklich ein vernünftiger Schritt gewesen, zumindest um also ja dem Ganzen ein bisschen die Spitze zu nehmen. Aber der springende Punkt an der ganzen Problematik ist, dass die Geldschöpfung selbst transparent und demokratisch vollzogen werden muss. Es muss einfach …

Liane von Billerbeck: Wie kann das gehen?

Hörmann: Ja, das könnte funktionieren, wenn die gesamte Gesellschaft in den elektronischen Netzen bestimmt, für welche Leistungen und Güter welche Menge von Geld aus Luft geschöpft, also neu erzeugt wird. Geld wird schon seit ewigen Zeiten aus Luft geschöpft, und daran ist an sich auch nichts zu kritisieren. Denn die Goldmenge reicht nicht weltweit, um Währungen im eigentlichen Sinn noch decken zu können, das ist ganz klar, dass das nicht funktionieren kann.

Deswegen kann Geld eigentlich nur aus Luft geschöpft werden, aber es sollte auf Leistungsbasis entstehen und nicht als Schuld. Das heißt, es sollte als Belohnung für erbrachte Leistungen in die Gesellschaft gegeben werden und dort umlaufen und nicht als Schuld mit einer Rückzahlungsverpflichtung plus Verzinsung. Denn das kann nicht funktionieren. Immer, wenn in unserem System heute Geld entsteht, entsteht eine gleich hohe Schuld, die aber zusätzlich noch verzinst wird. Und das ist der Grund, warum niemand heute seine Schulden bezahlen kann, auch keine Kommunen, Staaten und Staatenbünde, denn sie zahlen die Schuld mit einer neuen Schuld, die aber selbst wieder verzinst wird.

Liane von Billerbeck: Das klingt alles ganz schön, wenn wir uns vorstellen, dass alles transparent werden soll und wir als Gesellschaft darüber entscheiden soll, wer da was bekommt. Allein, man erinnert sich, der Sozialismus ist auch zusammengebrochen – nicht, weil der Sozialismus keine gute Idee gewesen wäre, sondern weil die Menschen eben nicht dafür gemacht waren und anderes wollten. Und ich fürchte, auch die Menschen, die weltweit derzeit agieren, würden sich nicht so schnell auf dieses System einlassen …

Hörmann: Sie dürfen eines nicht vergessen: Auch im Sozialismus hat es eine Zentralbank gegeben, und auch Geld wurde in diesem System so verwendet, wie wir es eigentlich heute verwenden. Es wurden auch Preise mehr oder weniger fixiert und festgesetzt und nicht demokratisch verhandelt. Denn unser Problem der heutigen Preissetzung ist, dass ja der Mächtigere oder besser Informierte die Preise am Markt durchsetzt, die ihn selbst individuell zum besseren Vorteil gereichen. Und das ist ja gesamtgesellschaftlich ein ziemlicher Unsinn, weil wir dann die ganzen Kollateralschäden, die externen Effekte, also Umweltverschmutzung, Gefahren für nächste Generationen und so weiter völlig ignorieren und in den Preis nicht wirklich hineinkalkulieren.

Das heißt, immer wenn ein Mächtigerer auf einem Markt einen Vorteil für sich sieht, dann wird er so den Preis festsetzen. Das haben die freien Märkte als Kriterium so an sich. Wenn man das aber demokratisch verpackt, das heißt, alle Betroffenen mit gleichen Gewichtungen hier ihre Stimme abgeben, dann kann sich alles zum Besseren wenden, beziehungsweise, was entscheidend wäre, das ist eben meine Theorie, die Gesellschaft als neuronales Netz, dass man die Gewichtungen mit jeder Abstimmung auch wieder neu verteilt.

Denn meiner Meinung nach ist die Demokratie – also jeder Kopf hat eine Stimme – eben nicht das eigentliche Entscheidungsinstrument, sondern ein Meta-Entscheidungsinstrument. Die Demokratie müsste eigentlich die Gewichtungen der Stimmen für die tatsächliche Abstimmung verteilen, und das bei jeder Abstimmung immer wieder neu. Denn das menschliche Gehirn als neuronales Netz lernt im Prinzip genau so, es werden Gewichtungen neu verteilt.

Liane von Billerbeck: Herr Hörmann, das klingt auch wieder sehr schön, ich kann mir das auch sofort vorstellen, sagen wir in einem Schweizer Dorf mit 100 Einwohnern, wo man das überschauen kann. Aber wie soll das funktionieren, ein Austausch in einer so kompliziert vernetzten globalen Welt?

Hörmann: Da kommt uns heute das Internet zu Hilfe und ich möchte darauf hinweisen, dass es seit dem Jahr 2006 zum Beispiel schon eine Schweizer Software gibt, die genau so etwas leisten kann, wo Sie ganz einfach über neun Milliarden Konten für einzelne Menschen einrichten können und denen basierend auf echter Leistung einen Kredit zur Verfügung stellen mit einem eigenen Kreditrahmen.

Liane von Billerbeck: Aber wer stellt den zur Verfügung, es muss doch auch darüber Abstimmungsmechanismen geben. Wie kann man das weltweit organisieren? Vor allen Dingen: Wie wollen Sie den Mächtigen klarmachen, dass sie ihre Macht abgeben?

Hörmann: Die sogenannten, von Ihnen sogenannten Mächtigen haben in Wahrheit überhaupt keine Macht, sondern sie machen sich, wenn sie das System in der heutigen Form weiter betreiben, immer mehr zum Feind der gesamten Gesellschaft und riskieren eigentlich immer mehr ihre eigene Sicherheit. Das ist ja das wirkliche Problem. Denn die Art und Weise, wie das Geldsystem seit Jahrhunderten missbraucht wird, kann heute jeder in der besseren Literatur, im Internet nachlesen. Das heißt, es ist nicht mehr geheim und es werden auch die Politiker irgendwann offen zugeben müssen, dass das eine falsche Konstruktion ist. Das heißt, in Wahrheit haben wir auch schon etliche von sogenannten Mächtigen als Unterstützer auf der Seite für die Umstellung dieses Systems.

Liane von Billerbeck: Wen denn beispielsweise?

Hörmann: Diese Menschen können sich momentan, oder wollen sich momentan noch nicht outen. Hinter den Kulissen wird aber die Umstellung des Systems bereits heftig betrieben. Denn eines ist ja klar: In einer Gesellschaft, wo es der gesamten Gesellschaft besser geht, geht es auch den Eliten in Wirklichkeit nicht schlechter. Der springende Punkt ist, dass der Wohlstand, den sie dann dort zu Recht genießen können, auch nicht in Neid und Missgunst umschlägt.

Das ist ja der springende Punkt, nicht, denn die Mächtigen können ihr Geld in Wirklichkeit ja gar nicht ausgeben. Das, was sie in der Realwirtschaft zum guten Leben wirklich ausgeben können, ist ja nur ein Bruchteil von dem, was sie an Papier und in den Rechnern rein formal besitzen. Und das Geld, das sie haben, aber nicht ausgeben können, das verzocken sie auf den Kapitalmärkten und verlieren es dann in irgendwelchen Pyramidenspielen wieder. Also das kann ja auch nicht für unsere Eliten sehr lange zufriedenstellend sein.

Liane von Billerbeck: Nun sind Sie heute einer Meinung mit der alternativen Tageszeitung, die "taz", die ja heute die Titelzeile hat: "Preisfrage: Überlebt der Euro das Jahr 2011?" Sie haben das schon vor einem Jahr gesagt, dass der Euro 2011 an sein Ende kommt, und Sie haben da ein neues Gesellschaftssystem nach dem finalen Crash für 2013 vorausgesagt. Was macht Sie so sicher, dass das tatsächlich in so kurzer Zeit passiert?

Hörmann: Das ist eine ganz einfache Antwort. Es wird der Menschheit, wenn sie weiter bestehen will, in Wahrheit nichts anderes übrig bleiben. Wir müssen global kooperieren und der entscheidende Punkt ist, dass wir das auch können. Denn wir brauchen uns zum Beispiel nicht um knappe Ressourcen zu streiten. Der springende Punkt ist, dass wir ja nicht einen Rohstoff als Rohstoff brauchen, sondern immer verbunden mit einem Funktionsnutzen.

Ich gebe Ihnen kurz das Beispiel: Wenn Russland beispielsweise genug Reserven hätte, Erdgasreserven, um Europa fünf Jahre damit zu versorgen, dann könnten die Russen das tun und Europa würde beispielsweise im Gegenzug keine Bezahlung in Geld anbieten, sondern würde in diesen fünf Jahren versuchen, für die wichtigsten drei Anwendungsgebiete von Erdgas alternative Technologien zu entwickeln, sodass man für diese Anwendungsgebiete von Erdgas eigentlich Erdgas in Zukunft nicht mehr braucht. Und diese Technologie …

Liane von Billerbeck: … trotzdem die Frage, weshalb 2011 und 2013? Und was, wenn das nicht passiert?

Hörmann: Also von der reinen Finanzmathematik her wird es passieren, weil in absehbarer Zeit viele Staaten, auch große Staaten in Wirklichkeit nicht einmal mehr die Zinsen auf die Staatsschuld bezahlen können. Genau dieser Fall wird jetzt, 2011, eintreten, das haben weltweit schon sehr viele Finanzmathematiker vorhergesagt, da bin ich also beileibe nicht alleine. Und das ist dann in Wirklichkeit der Staatsbankrott. Denn wenn Sie sehen, dass Sie für Ihre Staatsanleihen nicht einmal mehr Zinsen bekommen, ja, dann sind auch die Staatsanleihen nichts mehr wert und dann sind die Staaten offiziell pleite.

Liane von Billerbeck: Franz Hörmann war das von der Wirtschaftshochschule Wien. Ich danke Ihnen!
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