Schuld bekennen, Buße tun

Von Peter Kaiser · 12.11.2011
Katholiken gehen zur Beichte, Protestanten nicht - wenn es um die schnelle Unterscheidung der verschiedenen Ausprägungen des Christentums geht, ist diese Faustregel schnell bei der Hand. Dass sie in dieser einfachen Form überhaupt nicht stimmt, ist dagegen nicht so weit bekannt. Die Beichte aber wird in evangelischen Gemeinden zunehmend populär.
"Wenn jemand ein Alkoholiker ist, ist er sicher im Beichtgespräch nicht richtig. Denn die Alkoholtherapie kann nicht durch den Pfarrer durchgeführt werden."

"Herr, du erforschest mich und kennst mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es."

"Auf der anderen Seite heißt ja Therapie, griechisch "Pflege" und "Hilfe", "Kur". Also bis zu einem gewissen Grade ist auch ein Beichtgespräch eine Pflege, eine Kur oder eine Hilfe. Wir sind nur als Pfarrerinnen und Pfarrer Fachleute für den Umgang mit Schuld."

Jeder Christ, der wirklich bereut, hat Anspruch auf völligen Erlass von Strafe und Schuld, auch ohne Ablassbrief. Martin Luther, These 36

In der Beichte wenden sich Christen mit dem, was sie bedrückt, belastet oder gar das Leben beschwert, an den Beichtvater. In der sogenannten Ohren-, Einzel-, oder Privatbeichte bekennen die Beichtenden ihre Sünden und bitten um Vergebung.

"Beichten beginnt eigentlich, im strengen Sinne, schon in der Antike. Und zwar als öffentliche Beichte. Ähnlich wie heute. Man beichtet vor der ganzen Kirche und steht hinten, so dass alle sehen können, dass man ein Büßer ist."

Der protestantische Theologe Christoph Markschies ist Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität.

"Und im Mittelalter verschiebt sich das etwas hin zur Privatbeichte und zum Beichtgeheimnis. Man beichtet auch, aber man tut es heimlich. Und außer dem Priester weiß niemand mehr, was man gebeichtet hat. Und in der frühen Neuzeit, kommt es zu der berühmten Aufspaltung, da schaffen die Evangelischen die Privatbeichte ab."

Doch auch wenn die Privatbeichte in der evangelischen Kirche abgeschafft wurde, bestritten wurde der Nutzen der Beichte nie.

"Martin Luther sagt ja in seinen berühmten Reformationsthesen, dass das Leben der Christen alle Zeit, also das ganze Leben, eine Buße sein soll. Sehr altmodisches Wort. Man denkt an Verkehrsbuße. Gemeint ist, dass man merkt, was einen von Gott und den Nächsten trennt. Was man also getan hat. Zum Beispiel, in dem man sich den Bauch vollgeschlagen hat und nicht gesehen hat, dass neben einem einer hungert. Das ist gemeint. Dass man erkennt in der ernüchternden Betrachtung seiner Person, was einen alles von dem Leben trennt, wie man es eigentlich führen sollte, könnte und im Kern ja auch will."

Man soll den Christen lehren: Dem Armen zu geben oder dem Bedürftigen zu leihen ist besser, als Ablass zu kaufen. Martin Luther, These 42.

Besonders im Mittelalter war die Beichte mit dem kirchlichen Handel von Ablassbriefen, also der käuflichen Vergebung verknüpft.

"Obwohl man nüchtern zur Kenntnis nehmen muss: Das gibt es heute noch. Also, wenn Sie beispielsweise in eine italienische Kirche gehen, katholische, steht häufig in lateinischer Sprache darüber: "Wenn man dieses und jenes tut, bekommt man so und soviel Tage, Jahre, oder was auch immer Ablass."

Doch Schuld, Sühne und Buße sind keine antiquierten Denkmuster aus grauer Vorzeit. Christen bitten damals wie heute um Vergebung ihrer Schuld. Bis heute werden darum in der katholischen Kirche Beichtstühle besucht. Auch evangelische Kirchen haben vielfach noch Beichtstühle aus vergangenen Jahrhunderten. Diese stoßen heute aber nur noch bei Kunsthistorikern auf Interesse. Jenseits des Beichtmobiliars aber belebt sich bei den Protestanten die Beichte seit einiger Zeit. Wie in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde zum Heiligen Kreuz in Berlin-Wilmersdorf. Dort findet regelmäßig mehrmals im Monat ein Beichtgottesdienst statt. Markus Büttner ist Pfarrer an der Heilig-Kreuz-Kirche:
"Die Beichte ist heute, genauso wie es sonst auch immer gewesen ist, ein Sakrament. Auch ein Sakrament in der evangelisch-lutherischen Kirche. Und sie dient dazu, dass Menschen frei werden von Schuld und Verfehlung. Im Unterschied zu einem Psychotherapeuten, zum Beispiel, der kann keine Schuld vergeben, wird im Auftrag Jesu Christi Schuld und Sünde vergeben und so ein neuer Anfang geschenkt."

Lieder, Schriftlesungen und Predigt schaffen im evangelischen Beichtgottesdienst Raum für die persönliche Besinnung. Auf die Beichtfragen hin bekennen alle in der Gemeinschaft der Gemeinde ihre Sünden und bekommen Gottes Vergebung zugesprochen. Im Anschluss an diesen Zuspruch erfolgt eine persönliche Segnung der Beichtenden.

"Beichte hat auch zum Ziel, nicht nur die Vergangenheit wirklich abzuschließen, sondern eben auch zukunftsfähig zu werden. Das heißt also, nicht in die alten Verhaltensmuster zurückzufallen. Und das zeigt sich konkret auch, denke ich, im Leben von Menschen, die gebeichtet haben. Dass sie frei werden von der belastenden Vergangenheit, um einen Blick in die Zukunft machen zu können."

Zwei junge Frauen aus dieser Gemeinde berichten von ihren persönlichen Erfahrungen mit der Beichte:

"Man kann es wirklich vergleichen, wenn man sich mit jemanden gestritten hat, der einem sehr wichtig ist. Wenn man sich dann wieder verträgt, dann ist ja auch erst mal alles wieder gut. Und man will alles besser machen. Und man hat neue Vorsätze. Und das ist auch in der Beziehung zu Gott so."

"Die Beichte ist einfach der Zuspruch vom Boten Gottes zur Vergebung meiner Sünden. Also, ich glaube das ist das Essenzielle. Ich muss auch nicht um Gott herumschleichen und weiterhin nen schlechtes Gewissen haben, sondern ich kann so vor Gott treten im Gebet und natürlich auch vor den Altar, ohne mich weiterhin schuldig zu fühlen. "

"Wir haben bei uns in der Gemeinde eben auch diesen Beichtgottesdienst, wo es gar nicht so diese Einzelbeichte ist, sondern wo ich im Endeffekt den Rahmen hab. Und auch dann die Lossprechung vom Pfarrer bekomme. Aber das ja trotzdem auch mit Gott eben dann ausmache. Also, innerlich im Gebet."

Dieses tiefe Bedürfnis des sich Vertragens mit Gott, das die jungen Frauen formulieren, ist für viele Gläubige die Essenz des Beichtens. Dieses Gut sein mit Gott zieht immer weitere Kreise.

Auch im Berliner Dom, einem der Touristenmagnete Berlins, bietet Pfarrer Thomas Müller Termine für gläubige Protestanten zum Beichtgespräch an. Während es bei der katholischen Beichte im Beichtstuhl ein streng festgelegtes Zeremoniell gibt mit Begrüßung, Bekenntnis, Reuegebet, Lossprechung, Dank, Entlassung und dem Gebet zur Danksagung, geht es bei der evangelischen Ohrenbeichte weniger rituell zu.

"Der Beichte geht immer auch ein offenes Gespräch voraus. Das ist also nie so, dass das nur ein reines Zeremoniell ist."

Die evangelische Beichte ist mehr ein seelsorgerisches Gespräch, ein Bekenntnis der Sünde unter vier Augen.

"Die Absolution, die Vergebung, ist dann schon ein wichtiges Element um neu anfangen zu können. Und das wird von bewussten Christen in Anspruch genommen. Durchaus in alltäglichen Situationen."

Was aber nicht heißt, betont Pfarrer Müller, dass man nach der Beichte nicht trotzdem wieder in alte Muster zurückfallen kann. Denn:

"Man bleibt immer derselbe, man hat auch immer wieder mit ähnlichen Strukturen zu kämpfen, und dennoch gibt es Veränderungen. Wir sind nicht die, die wir vor zehn Jahren waren."

Wie auch Markus Büttner von der Kirche zum Heiligen Kreuz sieht Thomas Müller, dass immer mehr Protestanten beichten wollen.

"Ich denke, an allen Ecken und Enden bricht das auf, dass Menschen aus einer reinen formalen Form des Christseins, in der ich sozusagen nur das Einzelne, in der ich nur den Gottesdienst als einen Teil meiner eigenen Tradition erkenne, dass diese Form des Christseins nicht mehr befriedigend ist. Sondern dass immer mehr Menschen danach fragen: 'Was bedeutet es für mich?'"

Gott ist, nach dem großen Reformator "allein aus Gnaden großzügig." Dieses "allein aus Gnaden" heißt: ohne Vorbedingungen großzügig. Das ist es, was die Beichtenden erfahren im seelsorgerischen Gespräch: eine neue Freiheit, die Kraft des neuen Anfangs. Der evangelische Theologe Christoph Markschies:

"Ich habe als Student einmal beschlossen, das zu machen, was es als katholische Form gibt: eine Generalbeichte. Also, sozusagen vor Ostern, vor Karfreitag, auf mein ganzes Leben zurückzugucken. Nicht nur auf die letzte Woche und den letzten Tag, sondern, damals war ich so etwa zwanzig, auf die zwanzig Jahre, die da passiert waren. Und es ist ja so, dass wir mit uns herumschleppen, in unserem Leben, Peinlichkeiten. Die, wenn wir darauf gucken, uns die Fingernägel kräuseln machen und uns Kribbeln bereiten. Das Schöne an der Beichte ist, wenn es konkret aufgegriffen wird, haben Sie wirklich das Gefühl, nicht dass Sie es losgeworden sind, das bleibt ja, Sie haben das getan, aber jedenfalls, dass Sie ein entspannteres Verhältnis dazu haben. Es belastet Sie nicht mehr so stark. Ich denke schon es ist eine Form von Reinigung."

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