Schorlemmer: Schulmaterial kritisch prüfen

Helmut Schorlemmer im Gespräch mit Joachim Scholl · 20.04.2012
An vielen Schulen findet heute Unterricht statt, der von Unternehmen gesponsert wird. Die Materialien müssten von Lehrern gründlich geprüft werden, meint Helmut Schorlemmer, NRW-Beauftragter für Schulsponsoring. Man müsse allerdings nicht unbedingt auf Materialien von außen zurückgreifen.
Joachim Scholl: Wirtschaftsunterricht in Schulen, darüber wurde in den letzten Jahren viel diskutiert, und er wurde vielerorts gefordert. Dass Informationen über Geld, Vermögen, Vorsorge etwa nötig sind, darüber sind sich Pädagogen wie Politiker einig. Inzwischen findet ein solcher Unterricht tatsächlich statt, vielerorts unterstützt, gesponsert von Wirtschaftsunternehmen selbst, durch kostenlose Unterrichtsmaterialien und eigene Mitarbeiter, die in den Schulen Kurse veranstalten.

Und hier wird die Sache kritisch, wie jetzt eine Untersuchung der Bundesverbraucherzentrale festgestellt hat. Gestern war hier Interview mit der Verbraucherschützerin Tatjana Bielke (MP3-Audio) im "Radiofeuilleton" Tatjana Bielke von der Verbraucherzentrale zu Gast, und das war ihr Befund:

Tatjana Bielke: "Wir haben ja ein Werbeverbot an deutschen Schulen, das heißt also Product-Placement so funktioniert nicht, aber es wird eben tendenziös berichtet. Das heißt, es wird kurzerhand mal das Solidarprinzip zum Beispiel für null und nichtig erklärt, als nicht funktionierend, um dann hinterher zu sagen, private Altersvorsorge ist das, was wir brauchen, und da gibt es halt entsprechende Unternehmen."

Scholl: Soweit Tatjana Bielke von der Bundesverbraucherzentrale über Sponsoring an Schulen. An einer solchen, nämlich dem Pestalozzi-Gymnasium in Unna ist Helmut Schorlemmer Direktor, und zugleich ist er der Beauftragte für Schulsponsoring des Landes Nordrhein-Westfalen.

Er ist jetzt am Telefon, guten Morgen, Herr Schorlemmer!

Helmut Schorlemmer: Guten Morgen!

Scholl: Die Bundesverbraucherzentrale hat die Unterrichtsmaterialien einer bestimmten Finanzgruppe analysiert und kommt eben zu dem Schluss, hier finde keine objektive Schulung statt, sondern Eigenwerbung, Lobbyismus. Sie, Herr Schorlemmer, werden in Ihrer Funktion sehr vielfältige Materialien solcher Art gesichtet haben. Können Sie denn den Verdacht der Verbraucherzentrale auf verdeckten Lobbyismus bestätigen?

Schorlemmer: Es gibt mit Sicherheit solche Materialien, die auch an die Schulen geliefert werden oder auch Angebote für den Unterricht, und da ist es in der Verantwortung der Schule, jedes einzelnen Lehrers, dies zu verhindern. Nicht nur die Landesverfassung hat ein Neutralitätsgebot auch in anderen Landesverfassungen gesetzt, damit man eben einseitige Beeinflussung verhindert.

Scholl: Sie, Herr Schorlemmer, haben in einem Vortrag zum Thema gerade auf den Unterschied auch zwischen allgemeinem Mäzenatentum, Spendentum und Sponsoring ausdrücklich hingewiesen. Der Sponsor will auch etwas von einem Engagement haben, schreiben Sie, Sponsoring sei immer auch Imagewerbung. Klarer Zusammenhang, aber eben haben Sie das Neutralitätsgebot schon genannt, es darf eigentlich keine Werbung gemacht werden, wie geht das zusammen?

Schorlemmer: Ja, verboten ist in allen Bundesländern die direkte Produktwerbung, die Imagewerbung folgt dem Prinzip: Tue Gutes und rede darüber. Das heißt, wenn also tatsächlich bildungsrelevante Unterstützung in den Schulen ankommt, von Bewerbungstrainings bis vielleicht die Unterstützung von Theater-AGs oder von Schülerunternehmen, dann kann man im defensiven Rahmen in Pressekonferenzen, bei Veranstaltungen der Schule den Sponsor nennen.

Das ist ein Eingriff in Inhalte oder Unterricht, und meine Erfahrung ist, dass die Unternehmen oder selbstständigen Organisationen, die die Schule unterstützen, Schule auch ernst nehmen in ihrem Auftrag, sowohl Bildungs- und Erziehungsauftrag, und dann gibt es keine Beeinflussung, und das ist ganz klar die rote Linie, die nicht überschritten werden darf, und in der Verantwortung des Schulleiters und der einzelnen Lehrerin, des einzelnen Lehrers liegt diese Hauptaufgabe.

Scholl: Wie verbreitet ist denn so ein zusätzlicher Wirtschaftsunterricht inzwischen?

Schorlemmer: Das ist unterschiedlich, weil wir haben 16 Bundesländern und 16 Regelungen, da gibt es unterschiedliche Konstruktionen. Aber in allen Bundesländern, auch in Nordrhein-Westfalen, ist der ökonomische Anteil zumindest ein Drittel, teilweise kann er auch erhöht werden. Und ökonomische Bildung ist ja auch nachher in der Praxis für die Schülerinnen und Schüler von der Verbraucherbildung bis hin zu Finanzprodukten ganz wichtig.

Und da ist es eben auch wichtig im Sinne der Grundkriterien der politischen Bildung, dafür zu sorgen, dass das, was in der Realität kontrovers ist, auch im Unterricht kontrovers zu behandeln mit allen Positionen, und das erste Gebot dieses sogenannten Beutelsbacher Konsenses ist es, für ein Überwältigungsverbot zu sorgen, dass Schüler eben nicht indoktriniert werden.

Und es ist klare Leitlinie für alle Fächer - nicht nur für die Politik oder die Ökonomie -, in denen politische Bildung erfolgt, und das müssen wir auch eingrenzen im Sinne des mündigen Bürgers. Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Schülerinnen und Schüler ernst nehmen, und ihnen ihre Entfaltungsmöglichkeiten bieten und sie dabei unterstützen.

Scholl: In diesem konkreten Fall, den die Verbraucherzentrale untersucht hat, da geht es um Finanzen und Versicherungen, da sind der Allianz-Konzern, die McKinsey-Unternehmensberatung dabei, und hier hat man eben zum Beispiel festgestellt, dass nicht nur ganz massiv etwa für die private Vorsorge geworben wird mit Blick auf das eigene Unternehmen, sondern auch das traditionelle Rentensystem, das ja auf dem Solidarprinzip basiert, diskreditiert wird. Wenn Sie dieses Material gesehen hätten, hätten Sie gesagt, hier ist Stopp?

Schorlemmer: Wenn ein Material so einseitig angelegt ist, dass es gegen wesentliche Grundprinzipien jetzt auch der Verfassung und der sozialen Gesetze verstößt, dann wird gestoppt, andererseits könnte man es auch benutzen, um mit den Schülern genau herauszuarbeiten, dass das unzulässig ist. Im Geschichtsunterricht werden ja auch zum Teil Originaltexte aus dem Nationalsozialismus verwendet. Hier gibt es ja auch dann die Möglichkeit, wirklich sehr intensiv sich damit auseinanderzusetzen, und man sollte auch die Schülerinnen und Schüler nicht unterschätzen.

Das ist ja das Gute, wenn man einen Konzeptsatz der Selbstständigkeit und er Verantwortung in der Schule - dann werden Schülerinnen und Schüler Ihnen fast von allein schon drauf kommen und sagen, da stimmt doch was nicht. Und das ist Aufgabe des Lehrers, dies auf jeden Fall umzusetzen, und noch mal, es gibt ja auch Curricula und Lehrpläne, in die die Materialien eingebunden sind.

Vielleicht auch noch mal ein Hinweis, die Schulbuchverlage haben ganz hervorragende Produkte, mit denen man arbeiten kann, auch das sollte man nicht vergessen. Man muss nicht unbedingt auf Materialien von außen zurückgreifen.

Scholl: Wirtschaftsunterricht gratis oder verdeckter Lobbyismus? Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Beauftragten für Schulsponsoring des Landes Nordrhein-Westfalen, Helmut Schorlemmer. Ja, Stichwort Lehrer und Schüler im direkten Kontakt, zusätzlich zum kostenlosen Material kommen ja auch durchaus Mitarbeiter der Firmen in die Schule, also jene Finanzgruppe, von der wir gerade gesprochen haben, etwa schickt 450 sogenannten Coaches, um den Schülern die Finanzwelt zu erklären.

Das hört sich ja erst mal gut an, aber, Herr Schorlemmer, sind das wirklich Lehrer, die jetzt dann doch beide Seiten einer Medaille zeigen? Ich stelle mir auch vor, dass es für einen Lehrer schwierig ist, dann kritisch über dieses Thema zu sprechen, wenn da so ein Herr nebendran steht, der ja doch eine ganz andere Einstellung hat, oder?

Schorlemmer: Ja, andererseits sollten Sie das Selbstbewusstsein der Kolleginnen und Kollegen nicht unterschätzen. Und wenn Sie dieses Feld ansprechen, es gibt ja in allen möglichen Fächern Unterstützung, auch für den Biologieunterricht durch einen Arzt oder Mediziner zum Beispiel, das ist nur politisch nicht so relevant. Die Kolleginnen und Kollegen sind ja ausgebildete Politiklehrer und Sozialwissenschaftler, und von daher ist es ihr Auftrag, und es ist völlig klar - darauf leisten sie auch einen Amtseid -, dafür zu sorgen, dass eben Manipulation, einseitige Indoktrination nicht passiert.

Zum anderen, wie gesagt, ist das ja alles eingebunden in Curricula und auch in Lehrpläne, die in den Fachkonferenzen verabschiedet worden sind. Das wird zum Teil ja auch in den Schulkonferenzen dann transportiert, da sind sehr viele Instanzen eingebaut, sodass das nicht passiert. wo in den einzelnen Fällen dies passiert und aufgedeckt wird, ist der Schulleiter gefordert, da für Abhilfe zu sorgen.

Also in meinem Überblick der vielen Partnerschaften zwischen Schulen und Unternehmen stelle ich jetzt einen Eingriff so in der Menge nicht fest. Bei diesen Materialien muss man sehr aufpassen, die muss man sich sehr gründlich angucken, und da ist wirklich der einzelne Lehrer, die einzelne Lehrerin, die Fachkonferenz verantwortlich, das wirklich ganz kritisch zu prüfen. Das ist in die Verantwortung der Lehrerinnen und Lehrer gelegt, da habe ich aber an sich sehr viel Vertrauen in die Kolleginnen und Kollegen.

Scholl: Dieses Sponsoring, das nimmt ja doch also richtig große Züge an, was ja auch zu begrüßen ist, dass die Wirtschaft sich hier engagiert, aber ein Kollege erzählte uns gestern, es fängt auch schon im Kindergarten an, sein Sohn bekam in der Kita ein gestiftetes Buch über Autos geschenkt und hat natürlich begeistert geblättert, und merkwürdigerweise - hat es dann dem Papa gezeigt, und der sah dann, dass merkwürdigerweise alle Autos einen Stern trugen.

Schorlemmer: Ja, ich halte es auch für wichtig, alle pädagogisch Verantwortlichen zu sensibilisieren. Ich habe diese Tatsache schon in meiner Studie "Werbung und Sponsoring in der Schule", die ich 2005 schon gemacht habe für den Bundesverband Verbraucherpolitik, Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin, da war schon ein sehr aggressives Vorgehen in den Kindergärten zu beobachten, um sehr früh dort Marken zu platzieren.

Und das kann nicht im Sinne der Eltern sein, der Schüler, aber auch nicht im Sinne der Gesellschaft, einseitige Manipulationen zu fördern. Wir brauchen kreative Köpfe, auch Unternehmen brauchen Querdenker, und wenn wir von intelligentem Wissen reden in einem rohstoffarmen Land, bedeutet intelligentes Wissen, dass man auch kontroverse Positionen wahrnimmt und sehr vernetzt denkt, auch in Kontroversen. Insofern müsste man auch die Kindergärten, die dortigen Mitarbeiter sensibilisieren, solche Produkte nicht vorzulegen. Im Kindergarten schon gar nicht!

Scholl: Wann wird Schulsponsoring zum Lobbyismus und wann beginnt er? Das war Helmut Schorlemmer, der Beauftragte für Schulsponsoring des Landes Nordrhein-Westfalen und Direktor am Pestalozzi-Gymnasium in Unna. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Schorlemmer: Ich danke Ihnen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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