Schokolade, Arbeit, Sex

Wo liegt die Grenze zwischen Gewohnheit und Sucht?

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Belgische Schokolade © picture-alliance/ dpa
Von Volkart Wildermuth · 10.11.2016
Alkohol, Nikotin oder auch Cannabis - alles Substanzen, die direkt auf das Gehirn wirken und dort ein Verlangen nach mehr auslösen können. Und was ist mit Schokolade?
Tokunbo Akinro von Tok Tok Tok besingt ihre Schokosucht. Und sie steht nicht alleine da. Im Internet gibt es sogar schon Webseiten für den fachgerechten Schokoladenentzug. Im Alltag wird der Begriff "Sucht" nicht mehr nur für eine lebenszerstörende Krankheit gebraucht, sondern zunehmend spielerisch. Das findet Silke Biester Fachreferenten Suchthilfe beim Caritasverband Berlin, durchaus zwiespältig
Biester: "Wenn jemand über sich selbst sagt Ach ich bin schokoladensüchtig dann ist das häufig mit einem Lachen verbunden, wenn es über jemand anders gesagt wird, wird es häufig abwertend gebraucht."
Der Begriff "Sucht" ist negativ besetzt, deshalb sollte er korrekt verwendet werden. Natürlich geht es auch beim unwiderstehlichen Drang nach Schokolade um Gier, um Kontrollverlust.
"Sie essen sehr viel mehr, als sie wollten, als sie sich mal vorgenommen haben und vielleicht auch als gut für sie ist. Das reicht nicht als Kriterium für eine Sucht."
Eine echte Sucht ist mit Entzugserscheinungen verbunden, mit der Suche nach dem immer größeren Kick, der Konzentration des ganzen Lebens auf die Droge oder das Verhalten, auf Kosten von Job, Ausbildung, Beziehung. Für Mark Griffiths, Experte für Verhaltenssüchte an der Universität Nottingham Trent, ist der letzte Punkt entscheidend.
Griffiths: "Die Leute fragen mich immer: was ist der Unterschied zwischen einer extremen Begeisterung und einer Sucht? Das ist ganz einfach: eine Begeisterung bereichert das Leben, eine Sucht schränkt es ein."

Internetsucht wirkt wie Drogen

Es gibt viele Leute, die exzessiv Schokolade essen, Internet surfen, Joggen oder shoppen. Aber nur sehr wenige unter ihnen sind wirklich süchtig. Mark Griffiths beschreibt sich als Workaholic. Aber weil ihn die Arbeit befriedigt, weil seine Familie keine Probleme damit hat, betrachtet er sich nicht als süchtig. Obwohl er selbst mit echten Internetabhängigen, Spielsüchtigen und Sexjunkies arbeitet, kritisiert er den inflationären Gebrauch des Begriffes "Sucht".
Übertreibungen finden sich sogar in der wissenschaftlichen Literatur. Eine systematische Auswertung der Studienlage hat ergeben, dass 40 Prozent der Amerikaner nach irgendetwas süchtig sind – allerdings beruhen diese Ergebnisse vor allem auf Fragebögen, die gar nicht auf der medizinischen Definition von Sucht beruhen, sondern schon exzessives Verhalten als Sucht kategorisieren. Ähnlich übertrieben ist die Aussage von Forschern: drei bis sechs Prozent der amerikanischen Männer litten an einer Sexsucht.
Griffiths: "Wenn das stimmt, sollte es eine Sex-Suchtklinik in jeder Großstadt in den USA geben."
In vielen Fällen, so Mark Griffiths, dient der Begriff "Sucht" schlicht als Ausrede.
"Tiger Woods hat sich als Sexsüchtigen bezeichnet um seine ständige Untreue zu entschuldigen. Wäre er nicht erwischt worden, hätte er sich nie als sexsüchtig geoutet."
Dieser Sprachgebrauch verniedlicht einerseits das Problem Sucht. Andererseits verstärkt er auch latente Sorgen, beobachtet Silke Biester.
Biester: "Das haben wir zum Beispiel beim Thema Cannabis Eltern die ganz schnell Angst haben, dass ihr Kind schon abhängig ist. Auch beim Medienkonsum treffen wir das immer wieder. Und das ist natürlich auch nicht angemessen. Wir brauchen eine gute Differenzierung von exzessivem Verhalten von Phasen, wo zum Beispiel auch Jugendliche ein bestimmtes Verhalten und das nicht gleich als süchtig qualifiziert werden muss."
Trotzdem gibt es eine kleine Zahl von Menschen, die tatsächlich süchtig nach bestimmten Verhaltensweisen sind. Bei der Spielsucht ist das weitgehend anerkannt bei der Internetsucht wird es zumindest diskutiert. Mark Griffiths ist davon überzeugt, dass solche Verhaltensweisen das Gehirn ähnlich beeinflussen können, wie Drogen.
Griffith: "Bei einer Sucht geht es um Belohnung und Verstärkung und bei Videospielen und Spielautomaten kommt die Belohnung intensiv und schnell."

Anders als klassische Süchte

Das kann dann bei empfänglichen Personen zu einer Sucht führen, dafür sprechen inzwischen eine ganze Reihe solider Untersuchungen. Bei anderen Verhaltensbereichen ist die Datenlage dagegen noch sehr dürftig. Klar ist: pathologisches Kaufen, Fitnessrausch, Fresssucht oder Pornoabhängigkeit können problematisch werden. Noch gelten sie aber nicht als Sucht im medizinischen Sinne. Dabei können die Betroffenen durchaus von den Erfahrungen eines Suchttherapeuten profitieren, wenn es denn tatsächlich einen Leidensdruck und den Wunsch nach Veränderung gibt.
Biester: "Also bin ich enttäuscht von einer Freundin und gehe dann an den Kühlschrank und hab einen Fressanfall. Das bietet natürlich auch vom Sucht Konzept her Möglichkeiten, wie jemand sich erarbeiten kann, dem besser zu begegnen und es zulassen also sein Verhalten zu kontrollieren."
Allerdings ist das Therapieziel ein anderes, als bei klassischen Süchten, sagt Silke Biester. Beim Thema Essen oder Internet kann es nicht um Abstinenz gehen, es kommt drauf an, Strategien für die Selbstkontrolle zu entwickeln. Die arbeitet im Allgemeinen aber ganz gut, davon ist Mark Griffiths überzeugt.
Griffiths: "Egal, ob es um Sex geht, um Essen, Videospiele oder Wetten. Die meisten Leute haben damit keine Probleme. Sie machen diese Sachen immer und immer wieder, weil sie Spaß haben und nicht weil sie süchtig sind."
Und das gilt natürlich ganz besonders für die Schokolade.
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