Schöne neue Welt

Wenn die Datenkrake das Leben bestimmt

Ein Graffiti auf einer Hauswand in Weimar: "Wir denken nicht! Wir googlen!"
Wie wir mit unseren Daten umgehen, liegt in unserer Verantwortung, sagt Marc Elsberg. © picture alliance / dpa / Martin Schutt
Moderation: Katrin Heise · 26.05.2014
Eine Plattform, die Millionen Daten speichert und verarbeitet und den Nutzern Tipps im alltäglichen Leben gibt, macht Jagd auf einen Online-Aktivisten. Soweit das Szenario in Marc Elsbergs neuem Buch "Zero". Im echten Leben käme es darauf an, gezielt gegen Datenmissbrauch vorzugehen, sagt Elsberg.
Katrin Heise: Bekannt geworden durch seinen Thriller "Black Out" über einen weltweiten Stromausfall, hat der Autor Marc Elsberg jetzt in seinem neuen Roman "Zero" noch eine Schippe Beklemmung draufgelegt, wie ich finde. Die Menschen lassen sich lenken von einer Datenkrake, die vorgibt, ihnen das Leben zu erleichtern, von der Internet-Plattform Freemee nämlich, und es liest sich verführerisch, wenn eine Stimme mir ein paar Verhaltensregeln einflüstert, während ich zum Beispiel ein Vorstellungsgespräch absolviere oder das lang ersehnte Rendezvous habe und vor Nervosität sonst gar kein Wort rausbringen würde, würde mir nicht jemand soufflieren. Die Stimme kommt aus einer Datenbrille, die die Reaktionen meines Gegenübers scannt und seine, meine Vorlieben kennt und auswertet.
Es gibt nur noch wenige Menschen in dem Roman, die selbst versuchen zu denken: die Journalistin Cynthia und der Internet-Aktivist beziehungsweise die Internet-Aktivisten um Zero herum. Mehr will ich jetzt aber überhaupt nicht verraten vom Plot, den gibt es nämlich ab jetzt zu lesen. Aber über die Motivation des Autors können wir reden, denn der ist mir zugeschaltet. Schönen guten Morgen, Marc Elsberg!
Marc Elsberg: Schönen guten Morgen!
Heise: Niemand, Herr Elsberg, wird ja gezwungen, eine Datenbrille oder ein Datenarmband zu tragen. Niemand wird gezwungen, alles über sich auszuplaudern. Wir tun das alles freiwillig. Nun gut, seit Snowdens Enthüllungen sind wir da vielleicht ein bisschen sensibler geworden. Ist es Ihr Anliegen, Ihre Mission, uns, die User aufmerksam zu machen, welche Verantwortung wir für unsere Daten tragen?
Elsberg: Zuerst einmal wollte ich ein spannendes Buch schreiben, aber natürlich spielt das mit eine Rolle, keine Frage.
Heise: Aber ist es nicht auch toll? Ich habe diese heiklen Situationen geschildert, ein Vorstellungsgespräch oder so, und ich bekomme da Ratschläge, weil meine Datenbrille die Situation viel schneller als mein Hirn analysiert und deshalb weiß, was zu tun ist, bevor ich das eigentlich weiß.
Elsberg: Es ist toll und wir verwenden solche Mechanismen bereits. Denken wir zum Beispiel an das Navigationssystem im Auto, das heute schon sehr gut funktioniert und auch schon in meine Zukunft schauen kann: Fahr nach links, kommst Du durch, fahr nach rechts, fahr in den Stau. Ich kann da zwar noch selber entscheiden, genauso wie ich beim vorher angesprochenen Rendezvous noch selber entscheiden kann, ob ich das jetzt wirklich sag, den Tipp, den ich bekomme, oder nicht, aber es sind viele kleine Helferlein, die wir, wie gesagt, heute schon benutzen, und es werden immer mehr.
Immer mehr Leute tragen so Datenarmbänder auch, lassen sich Tipps geben bei Fitness, Ernährung und so weiter und so fort, und ich denke das einfach ein bisschen weiter.
Heise: Würden Sie eine solche Brille, so ein Armband tragen, wo Körperfunktionen, Hautreaktionen, Bewegungsarmut und was weiß ich mitgeschnitten und ausgewertet werden und Sie dann auf Maßnahmen oder Krankheiten aufmerksam gemacht werden?
Elsberg: Derzeit nicht, weil das ist ja was ...
Heise: Sie schließen es nicht aus?
"Zunehmendes Machtungleichgewicht"
Elsberg: Nein, weil das ist das eigentliche Problem, glaube ich, was ich auch versuche, in "Zero" zu erzählen und worauf auch die Cynthia Bonsant, die weibliche Hauptfigur, irgendwann kommt. Das ist erst mal nur eine Technologie. Die kann ich positiv oder negativ einsetzen. Das Problem ist, dass momentan das Wissen über diese Technologien und über die gesammelten Daten in den Händen weniger sind, großer Unternehmen, Geheimdienste, Staaten, Behörden, während der Einzelne nichts darüber weiß.
Er weiß weder, wie sie verarbeitet werden, noch, wie sie gesammelt werden, was daraus in weiterer Folge entwickelt wird, und da herrscht eigentlich ein zunehmendes Machtungleichgewicht. Das ist das eigentliche Problem und solange das nicht wiederhergestellt ist, würde ich so was zum Beispiel zumindest versuchen zu vermeiden.
Die Datenbrille Google Glass, bei der Informationen in das Sichtfeld der Brillengläsern einblendet wird
Die Datenbrille Google Glass, bei der Informationen in das Sichtfeld der Brillengläsern einblendet wird© picture alliance / dpa / Google
Heise: Im Moment hört man davon, ich habe die Meldung jetzt aus San Francisco gehört, dass Träger von Datenbrillen angegriffen werden, weil die Leute das um sie herum offenbar nicht akzeptieren, weil sie sich nicht ausspähen lassen wollen. Aus dem Grund wahrscheinlich, den Sie genannt haben: Man weiß nicht, was passiert damit eigentlich?
Elsberg: Man weiß zum Teil nicht, was passiert damit. Ich will aber gar nicht ausschließen, dass das auch erste Reaktionen sind, wie es sie bei den ersten Handys gab. Wenn da im Café jemand saß mit seinem Handy und laut telefoniert hat, hat man gesagt, so ein Angeber, hör auf damit. Sagt man zum Teil heute auch noch, aber ...
Heise: Also dass das nicht unbedingt für eine Verantwortung meiner Daten spricht, sondern eher für Neid?
Elsberg: Auch! Kann sein! Ich glaube, man fühlt sich auch beobachtet, das mag man auch nicht. Aber ich will nicht ausschließen, dass es noch andere Motive gibt.
Heise: Sie haben eben davon gesprochen, dass wir ja im Moment überhaupt nicht wissen, was mit unseren Daten passiert. Wir haben jetzt eine leichte Ahnung bekommen und eine Gänsehaut, nachdem wir mitgekriegt haben, dass alles irgendwo gespeichert wird und damit herumgerechnet wird. Den Usern in Ihrem Roman werden die Daten nicht mehr heimlich entwendet, mitgeschnitten, sondern die verkaufen sie in gewisser Weise. Sie bekommen dafür Ranking-Punkte und die sind wichtig auf der sozialen Leiter.
Und ich meine, es wird ja tatsächlich momentan darüber diskutiert, dass wir Verantwortung für unsere Daten übernehmen sollen, für unsere Privatdaten, und dass wir das tun, wenn wir merken, wie wertvoll die sind. Das hat einen aufklärerischen Aspekt. Bei Ihnen ist das schon wieder gewendet in was überhaupt nicht mehr Aufklärerisches.
Elsberg: Na ja, die sogenannte Datensouveränität, also das Wissen über die eigenen Daten und das, was damit gemacht wird, ist per se erst einmal auch kein verkehrter Ansatz, ist aber natürlich in einer kommerzialisierten Welt letztlich auch nur ein Geschäftsmodell. Da kann man sehr viel Geld verdienen mit Daten. Nicht umsonst ist Google inzwischen eines der reichsten Unternehmen dieser Erde. Das kommt woher, nämlich von unseren Daten.
Und das Geschäftsmodell, das ich zeige, das übrigens inzwischen auch am Markt ist, sowohl in den USA als auch in Deutschland gibt es Unternehmen, die das bereits anbieten, dass man selber seine Daten verkauft, das würde dann das Geld eher mir zugutekommen lassen.
Das ist aber natürlich ganz genau wieder dieses Trojanische Pferd, mit dem ich verführt werde, etwas zu machen, während im Hintergrund womöglich jemand anderer noch ganz andere Dinge macht, so wie ich heute ein Smartphone mit 80 oder 100 oder 200 Apps drauf habe, die mir irgendwelche kleinen Vorteile bieten, und im Hintergrund ziehen die Apps meine ganzen Daten ab.
Heise: Wenn ich jetzt auch noch ein bisschen Geld für meine Daten bekäme, dann wären das quasi die kleinen Peanuts, und tatsächlich: Das Geld wird weiterhin ganz woanders gemacht. Aber diejenigen beispielsweise in Ihrem Roman, die diese Plattform gegründet haben, sind ja nicht per se schlechte Menschen, sondern vielleicht auch sogar erfüllt von ihrer Mission, nämlich die Gesellschaft effizienter zu machen, perfekter zu machen. Läuft denn unser Datenumgang zwangsläufig auf eine totalitäre Gesellschaft hinaus, Herr Elsberg?
"Wir haben die Möglichkeit, das selber zu beeinflussen"
Elsberg: Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Wir haben die Möglichkeit, das selber zu beeinflussen. Wir haben uns immer wieder Gesetze geschaffen, auch und gerade wenn neue Technologien entstanden sind, in denen wir es geschafft haben, zumindest in den letzten 50, 100 Jahren gesellschaftlich halbwegs ein Gleichgewicht herzustellen. Irgendwann zum Beispiel gab es eine Sklaverei und dann hat man gesagt, nein, das wollen wir nicht.
Also wir sind durchaus in der Lage, Gesetze zu schaffen gegen Dinge, die wir nicht wollen, und nicht zu sagen, da kann ich eh nichts tun. Wie gesagt, es ist erst mal eine Technologie und die kann man so oder so nutzen, und es liegt in unseren Händen, das so oder so zu bestimmen und mitzugestalten.
Heise: Der Schriftsteller Marc Elsberg im Gespräch im "Radiofeuilleton" über seinen heute erscheinenden Roman "Zero". Es geht dabei aktuell um Macht durch Wissen unserer privatesten Daten.
Herr Elsberg, Sie haben gerade auch darüber gesprochen, wie die gesellschaftliche Diskussion läuft. Da ist ja noch viel Spielraum drin. Wir waren vor ein paar Tagen oder anderthalb Wochen doch sehr erstaunt, dass beispielsweise jemand wie Springer-Vorstand Mathias Döpfner quasi so etwas wie einen fast Angstruf abgesendet hat, der die große Gefährdung in der Alleinstellung, die Sie eben auch angesprochen haben, durch die Machtposition von Google sieht. Sie haben eben gesetzliche Möglichkeiten angesprochen. Welche Möglichkeiten haben wir tatsächlich? Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen.
Elsberg: Das Rad, das technologische Rad lässt sich nicht zurückdrehen, und wie gesagt, das fände ich auch gar nicht gut. Ich verwende solche Technologien eigentlich auch gerne. Es gibt erstens die Möglichkeit, die Politik muss hier aktiv werden beziehungsweise, wie das Google-Urteil ja vor wenigen Tagen gezeigt hat, es gibt in Wahrheit bereits eine ganze Menge Gesetze, die einfach einmal jemand umsetzen müsste.
Und dann muss man sich aber natürlich auch noch eine Menge Gedanken machen über das, was kommen soll. Auch vor ein paar Tagen ein interessanter Artikel, ursprünglich "WIRED" erschienen und dann in deutschen Medien aufgegriffen, über das selbstfahrende Auto von Google. Unfallsituation: Das Auto hat nur noch die Möglichkeit, links in den Kleinwagen oder rechts in den SUV zu fahren. Wie wird es sich entscheiden? Das ist eine wichtige Frage, weil letztendlich entscheidet in dem Augenblick ein Algorithmus.
Aber es entscheidet natürlich nicht der Algorithmus, es entscheidet jener, der den Algorithmus vorher geschrieben hat, beziehungsweise der Auftraggeber, beziehungsweise stellt sich dann die Frage, nach welchen Regeln kann der hier ein Programm schreiben. Und über diese Regeln müssen wir ganz dringend nachdenken, weil Google will das Ding in drei Jahren am Markt haben, und selbst wenn es fünf Jahre sind, ist das nicht mehr sehr viel Zeit.
Das Auto, das keinen Fahrer braucht: Google Car
Das Auto, das keinen Fahrer braucht: Google Car© picture alliance / dpa - Google
Google auf der Suche nach rechtsfreien Räumen?
Heise: Und Google interessiert sich, ohne dass wir jetzt nur über Google sprechen wollen, für schwimmende Arbeitswelten, befindet sich wohl quasi auf der Suche nach rechtsfreien Räumen, wo man dann im Ozean, wo dann nicht das eine und nicht das andere Ländergesetz greift, sich vielleicht doch wieder über die Mittel der Politik hinwegsetzt.
Elsberg: Das halte ich für tatsächlich ein dramatisches Problem und tatsächlich eine Bedrohung, weil wenn man sich dann noch dazu anhört, was einer der Google-Gründer in dem Zusammenhang oder in einem anderen Zusammenhang, aber wenn man das zusammenpackt dann, gesagt hat, nämlich, dass er gern manchmal einen rechtsfreien Raum quasi hätte, wo er ausprobieren kann, unbehindert von Regeln, von Gesetzen, was man mit den Menschen machen kann, dann finde ich das schon höchst beunruhigend, muss ich sagen.
Er hat es vielleicht nicht so extrem gemeint, wie das herüberkommt, aber letztendlich die Geisteshaltung, die dahinter steht, ist ein ganz großes Problem.
Heise: Die ist ein großes Problem. Zu allererst müssten aber wir Nutzer uns überhaupt mal dafür interessieren, für unsere Daten. Da schließt sich quasi unser Kreis wieder. Das ist in Ihrem Roman auch ganz auffällig: Der Nutzer interessiert sich eigentlich gar nicht so richtig dafür, was mit seinen Daten passiert.
Elsberg: Das ist ja heute auch so. Die Diskussion wird ja in Wahrheit seit Jahren geführt. Es gibt ja prononcierte Stimmen wie die Juli Zeh zum Beispiel in Deutschland, die immer wieder laut schreit, aber die Diskussion ist bis heute nicht wirklich in der breiten Bevölkerung angekommen. Da fehlen uns oder den Leuten, die sie in die Bevölkerung tragen wollen, offensichtlich bis jetzt noch die Geschichten oder die Ideen, um das dort hinzubringen.
Heise: Eine Geschichte können wir ja ab heute nachlesen, Ihrem Roman "Zero" jedenfalls. – Marc Elsberg, vielen Dank dafür, für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.
Elsberg: Danke schön, Ihnen auch.
Heise: Und der Roman "Zero" ist bei Blanvalet erschienen.
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