Schmusekatze frisst Beuteltier

Haustiere bedrohen australische Tierwelt

Von Andreas Stummer  · 10.10.2016
Die einzigartige Fauna Australiens schrumpft in alarmierendem Tempo. In keinem anderen Land der Welt sind Säugetiere mehr vom Aussterben bedroht. Schuld daran sind Raubtiere, die eigentlich gar nicht auf den Kontinent gehörten: Katzen, Füchse und wilde Hunde.
Morgengrauen in Yookamurra. So langsam wie der Tag erwacht auch der Busch und die Stille der Nacht weicht den Geräuschen der Natur.
Schwärme von Regenbogen-Papageien steigen auf, Nasenbeutler und kleine Rattenkänguruhs tapsen durchs Unterholz, unten am Teich taucht eine Schnabeltier-Familie nach ihrem Frühstück. Die südaustralische Millionenstadt Adelaide ist nur zwei Autostunden weit weg und wirkt doch Lichtjahre entfernt.
Eine Führung kurz nach Sonnenaufgang ist eine Mini-Expedition in ein ganz besonderes Tierreich. Denn Yookamurra ist kein Zoo sondern ein Schutzgebiet. Natürlicher Lebensraum für Arten, die es jenseits des Maschendraht-Zauns nicht mehr gibt.
Familie Hunger: "Wir sind ja hergekommen um sie fast in freier Natur zu erleben. – Es ist wie wenn man im normalen Forst oder Wald rumläuft. Es sind keine Zäune zu bemerken, das ist schon toll."
Eineinhalb Stunden lang ist Familie Hunger aus Thüringen staunend durch den Wildpark gewandert. Neben Flughunden, Bürstenkänguruhs und Haarnasen-Wombats ist ihnen auch ein Name immer wieder begegnet: Dr. John Wamsley, Natur- und Tieraktivist – der Mann, der Yookamurra in den späten 80-Jahren gekauft und zum Schutzgebiet gemacht hat.
"People grow up thinking the place where animals should live is in cages. That's not where animals should live, animals should be wild."

Natur wurde über Nacht zum Schlachtfeld

Unbeirrbarer Dickschädel, respektloser Schlapphut und ein mächtiger, grauer Vollbart auf den Hemingway stolz wäre: Der 78-jährige John Wamsley ist selbst eine Naturgewalt, ein Selfmade-Öko-Rebell. John wuchs auf einer Farm auf, mitten in unberührtem australischen Buschland.
Er war das glücklichste Kind der Welt – keine zehn Pferde hätten ihn auch nur in die Nähe einer großen Ortschaft gebracht. Doch dann kam die Stadt zu ihm. Immer mehr Nachbarn brachten immer mehr Katzen mit, andere hielten Hühner hinter dem Haus. John Wamsleys Spielplatz der Natur wurde, buchstäblich über Nacht, zu einem Schlachtfeld.
"Als ich 12 war sind die ersten Füchse und Katzen bei uns aufgetaucht – als ich 14 wurde waren alle anderen Tiere im Busch ausgerottet. Für mich war es eine Tragödie, dass sie einfach so verschwunden sind. Aber das Unglaubliche war: Niemand wusste davon und niemanden kümmerte es. Dagegen wollte ich etwas tun."
Bäche, Teiche und Sümpfe, Eukalyptuswälder und nur einheimische Tierarten. Es brauchte 30 Jahre harte Arbeit bis John Wamsley mit Yookamurra seinen Traum verwirklichte: Ein Schutzgebiet frei von eingeschleppten Tieren und Pflanzen, ein Stück australische Natur wie sie einmal war.
1100 des mehr als 5000 Hektar großen Areals sind von einem zweieinhalb Meter hohen Drahtzaun umgeben. Nicht um die Tiere drinnen im Schutzgebiet, sondern um Räuber und Schädlinge draußen zu halten. Peter Elliot, einer der Wildhüter in Yookamurra, ist stolz darauf, dass der Zaun seit fast 30 Jahren dicht hält.
"Der gesamte Drahtzaun reicht bis zu einen Meter tief in den Boden. Die obere Hälfte ist sehr lose gespannt so dass Katzen daran keinen Halt finden. Sollte ein Tier so clever sein trotzdem durch den Überhang zu klettern dann tapst es ganz oben direkt in einen bösen, elektrischen Draht, der es zwar nicht umbringt aber sicher davon abhält es je wieder zu versuchen."

30 einheimische Landsäugetierarten sind schon ausgestorben

Von europäischen Siedlern im 17. und 18. Jahrhundert eingeführt, haben sich wilde Katzen, Hunde und Füchse über drei Viertel des australischen Kontinents verbreitet. Mit verheerenden Folgen. 30 einheimische Landsäugetierarten sind seitdem ausgestorben, nach Zahlen des Umweltministeriums gelten über 20 als gefährdet, vier sind kurz davor für immer zu verschwinden.
"Wir sollten uns schämen", sagt der Evolutionsbiologe John Woinarski von der Charles Darwin-Universität in Darwin, denn Australien sei unangefochtener Weltmeister im Ausrotten der eigenen Tierwelt.
"Nirgendwo auf der Erde sind in den letzten 200 Jahren mehr Säugetierarten ausgestorben als in Australien. Trotzdem geben die Besitzer von Haustieren mehr Geld aus als unsere Regierung für den Schutz bedrohter Arten. Es ist frustrierend, dass unsere einheimische Fauna eingeschleppten Raubtieren zum Opfer fällt. Und das mit Abstand größte Problem sind wilde Katzen."
Für Australiens Naturschutzorganisationen ist die Katze längst Staatsfeind Nummer eins, die Regierung aber scheint andere Prioritäten zu haben. Greg Hunt hat als Umweltminister drei Jahre lang einen Krisengipfel versprochen ohne einen abzuhalten, seit kurzem für Wissenschaft und Innovation zuständig schiebt er das Problem auf die noch längere Bank.
"Es sollte uns in den nächsten zehn Jahren gelingen alle großen Bestände wilder Katzen ausgerottet haben. Ob mit Giftködern, mit Fallen oder durch Viren. An all diesen Kontrollmethoden wird gearbeitet oder geforscht. Aber wir müssen sicherstellen, dass wir nicht durch unüberlegte Maßnahmen unserer Natur noch mehr schaden."
Das Umweltministerium hat alles schwarz auf weiß: Die Zahl wilder Katzen in Australien schwankt zwischen 20 und 23 Millionen. Es wird geschätzt, dass sie Nacht für Nacht die unglaubliche Menge von 75 Millionen einheimischen Tieren vertilgen: Vögel, Reptilien und Insekten, Mäuse, Ratten oder Beuteltiere bis zu Wallabies und kleineren Känguruhs.
Die Lehrerin Anne-Marie Ewing hilft seit Jahren der Naturschutzbehörde australische Tierarten in freier Wildbahn zu studieren und zu zählen. Doch da wo es wilde oder streunende Katzen gibt, hat sie nicht viel zu tun.
"Das sind keine Miezekätzchen, die einem abends am Kamin auf dem Schoß sitzen – diese Tiere sind Killer. Sie fressen alles, was ihnen begegnet. Alles, was zu wertvoll ist, um gefressen zu werden."

Viele Australier sind sich des Problems nicht bewusst

Kein Wunder, dass es von mindestens zehn Säugetierarten in Australien nur noch weniger als tausend Exemplare gibt. Tiere wie das scheue Gelbfuß-Felskänguruh, das nur in Gebirgsregionen vorkommt oder den nördlichen Haarnasenwombat, einen ferkelgroßen, höhlengrabenden Pflanzenfresser, der aussieht wie ein auf vier Füßen watschelnder Teddybär. "Koalas sind knuddelig, stecken sie in Schwierigkeiten dann spendet die ganze Welt", gesteht Tammie Matson vom World Wildlife Fund. Aber es ginge um Tiere, die fernab der Städte leben und langsam aussterben – auch weil sich viele Australier des Problems gar nicht bewußt sind.
"Bei uns leben Kreaturen, die es nirgendwo anders auf der Welt gibt – deshalb sind sie so bedeutend. Doch oft handelt es sich um Arten, die niemand kennt, weil sie scheu oder Nachttiere sind. Wir sind so weit, dass wir sagen: 'Wir können nicht jede Art retten'. So schlecht steht es um unsere Wildtiere."
Zwei Gelbfuß-Felsenkänguruhs, aufgenommen im Berliner Tierpark in der Sonne
Von den scheuen Gelbfuß-Felsenkänguruhs gibt es in Australien nur noch weniger als 1000 Exemplare.© imago/Olaf Wagner
Südlicher Haarnasenwombat, Lasiorhinus latifrons
Auch bedroht: der Haarnasenwombat© picture alliance / Hinrich Bäsemann
Niemand wird gern geimpft – auch Dudley nicht. Der mies gelaunte, dunkel-braune Burma-Kater hält minutenlang die ganze Werribee-Tierklinik auf Trab. Hauskatzen wie Dudley oder wilde Katzen – Adrian Witham macht da keinen Unterschied. Für den Melbourner Tierarzt sind sie alle "Dr Jekyll und Mr Hyde" auf Pfoten. Schnurrende, niedliche Schmusekater bei Tag und fauchende, eiskalte Raubtiere wenn sie über Nacht draußen wildern gehen. Immer wieder muss Witham ungläubigen Katzenbesitzern die Beweise, buchstäblich, erst auf den Tisch legen. Sprich: Den Mageninhalt ihrer Vierbeiner, die angeblich "nur etwas schlechtes gefressen haben".
"Für mich ist das wie Weihnachtsgeschenke zu öffnen, denn man weiß vorher nie, was man zu sehen kriegt. Ich finde alles in Katzenmägen: Von Falken und Papageien über Beuteltiere bis zu Tausendfüsssler und Skorpione. Eidechsen, Schlangen oder Frösche und jede Art von Fledermäusen. Kein Vogel und kein Säugetier kleiner als ein ausgewachsenes Känguruh ist vor Katzen sicher."
In anderen Ländern sind Tiere gefährdet, weil der Mensch, das Vorrücken der Städte in die Natur, ihren Lebensraum immer mehr beschneidet. Nicht so im dünn besiedelten Australien. Platz gibt es genug – für die einheimischen aber auch für die eingeschleppten Arten. Gegen Füchse, wilde Hunde und Katzen werden Giftköder ausgelegt, nicht aber in der Nähe von Farmen oder Siedlungen und nicht in allen Bundesstaaten. Deshalb wird der Krieg gegen wilde Katzen in weiten Teilen Australiens immer noch im Nahkampf geführt. Mit Fallen und mit Gewehr.

Ranger locken Katzen mit panierten Hähnchenstücken

"We’re just on the west coast of French Island, just on a walking track, because cats like to use tracks, open roads, that’s why people do see them…"
French Island, eine 170 Quadratkilometer kleine Insel, eine knappe Stunde mit der Fähre südwestlich von Melbourne. Entlang Weidezäunen, ausgetretenen Wegen und Dünen kontrollieren Wildhüter "Dave" Stevens und Gemeindejäger Vince Taylor einige der rund 100 Katzenfallen auf French Island: Vince trägt eine 22er-Kaliber Flinte unterm Arm, David Familienpackungen Fast Food. Mit Speck fängt man vielleicht Mäuse, wilde oder streunende Katzen aber lockt der Ranger mit panierten Hähnchenstücken an.
"Wir haben alles ausprobiert: Muschelfleisch, Kaninchen verschiedene Sorten Fisch – aber frische Hähnchen sind am besten, sie verderben nicht so schnell. Wir wärmen die Hähnchenteile immer in Alufolie auf der Kühlerhaube noch ein wenig auf damit sie noch verlockender riechen."
Auf der Insel leben gerade einmal 100 Einwohner aber, geschätzt, etwa achtmal so viele Katzen. Seit 2009 haben Vince und David mehr als 1000 Tiere gefangen und erlegt. Diesmal sitzt ein dicker, rot-brauner Kater regungslos in der Falle. Als hätte Garfield zu viel Lasagne gefressen.
"It’s definitely a tabby and by the smell of it, it stinks from a mile away. But it’s definitely a male…"
Wilde Katzen haben die Pinguine von French Island vertrieben, einige See-Vogelarten fast ausgerottet und die lokale Wallaby-Bevölkerung dezimiert. Wer auf der Insel wohnt, der weiß, dass Katzen nachts draußen nichts verloren haben. Ohne zu zögern macht Vince mit Garfield kurzen Prozess.
"That’s game over, as you can tell. Instant. Nice and quick and cheap."

Tragen Katzenvideos auf Youtube eine Mitschuld?

Eine wildernde Katze weniger auf French Island, bleiben nur noch über 20 Millionen weitere in ganz Australien. Für Jäger Vince Taylor hat Youtube Mitschuld. Nicht alle Katzen wären so putzig wie die in den Internetvideos. Verantwortungsvolle Katzenbesitzer müssten dafür sorgen, dass ihre Tiere sterilisiert seien und vor allem nachts nicht durch die Gegend streunten.
"Je mehr wir alle über das Verhalten wilder Katzen bescheid wissen desto mehr wird auch ihre Verbreitung zurückgehen und hoffentlich eines Tages bei Null sein. Aufklärung ist alles – wir reden hier nicht von Schmusekätzchen. Werden die Folgen weiter unterschätzt dann gibt es in zehn Jahren doppelt so viele Katzen. Deshalb wird es Zeit, dass ganz Australien dieses Problem ernst nimmt."
Doch obwohl die Regierung Millionen für die Entwicklung eines Allround-Giftköders bereitgestellt hat ist eine landesweite Lösung nicht in Sicht. Denn was im tropischen Norden Australiens Erfolg hat, das wirkt vielleicht nicht im knochentrockenen Westen oder in den kühlen Wäldern Tasmaniens. Zu oft verenden auch die Wildtiere an den Ködern, die sie eigentlich schützen sollten, ein Gift gegen das heimische Arten resistent sind, wird noch erforscht. Deshalb setzen immer mehr Zoologen auf natürliche Schädlingsbekämpfung: Auf Raubtiere mit Heimvorteil wie Dingos oder den Tasmanischen Teufel.
Er ist die Müllabfuhr der tasmanischen Wildnis, ein Aasfresser mit unstillbarem Appetit. Sein Biss ist stärker als der eines Hais und sein gurgelndes, wildes Fauchen kilometerweit zu hören. Zoologe Chris Johnson von der Universität Tasmanien ist ein Fan. Obwohl ausgewachsen nur etwa 60 Zentimeter lang ist der Tasmanische Teufel der größte Raubbeutler der Welt und so furchtlos, dass er vor niemandem seinen Schwanz einzieht. Auch nicht vor wilden Katzen.
"Der Tasmanische Teufel könnte mithelfen das Problem eingeschleppter Raubtiere lösen, ihre Zahlen niedrig halten und ihre Verbreitung verhindern. In Tasmanien ist bisher nicht eine einzige Säugetierart wegen wilder Katzen ausgestorben. Vielleicht können wir so besser funktionierende Ökosysteme schaffen wenn wir dominante, einheimische Raubtiere wieder in gewissen Gegenden einführen."
Die Zeit drängt. Jede fünfte Säugetierart in Australien gilt als bedroht. Brutprogramme in Tierparks oder das Umsiedeln gefährdeter Arten auf Inseln sind auf lange Sicht keine Lösung. Dezimierte Koala-Populationen etwa vermehrten sich in manchen Gegenden so stark, dass sie bald nichts mehr zu fressen hatten und Tiere erschossen oder eingeschläfert werden mussten.

"Große Teile unserer Tierwelt sind zerstört oder in Gefahr"

Was es braucht ist viel Geld für ein koordiniertes, landesweites Ausrottungsprogramm für Raubtiere und Schädlinge", glaubt Evolutionsbiologe John Woinarski. Sparen am falschen Ende würde Australiens einheimische Tierwelt jedenfalls teuer zu stehen kommen.
"Die Zukunft wäre trostlos. Australiens Fauna ist eine der unverwechselbarsten, reichhaltigsten und interessantesten der Erde. Trotzdem sind große Teile unserer Tierwelt zerstört oder in Gefahr. Wenn das Aussterben unserer einheimischer Arten in diesem Tempo weitergeht, dann wird sich daran auch nichts ändern."
Hinter dem Drahtzaun im Yookamurra-Schutzgebiet nord-westlich von Adelaide ist die australische Tierwelt noch in Ordnung. Der Park ist sichere Zufluchtsstätte für bedrohte Arten, Blaupause für eine grünere Zukunft und eine Pilgerstätte für Öko-Touristen.
Familie Hunger: "Wenn man weiß, dass die Tiere, die hier leben und sich vermehren als ausgestorben galten – dann ist das natürlich toll. Für uns war es ein großes Erlebnis."
Auf dem Weg zum Parkplatz kommt den Hungers aus Thüringen eine Gruppe Dritt- und Viertklässler entgegen. Yookamurra wird regelmäßig von Schulen besucht – sogar aus den Nachbarstaaten. "Die nächste Generation soll nicht die Fehler früherer machen", hofft Wildhüter Michael Baulderstone. Für den früheren Biologie-Lehrer ist es ein Traumjob wenn er Stadtkindern zeigt wie sie – statt auf Smartphones oder iPads einzuhämmern – nur still dazusitzen brauchen, um selbst die scheusten Tiere aus nächster Nähe kennenzulernen.
Michael Baulderstone: "Die Kinder verlassen den Park mit einem Gefühl der Verantwortung – nicht nur für den australischen Busch sie verstehen auch, dass jeder Einzelne etwas tun kann. Zum Beispiel: Katzen nachts nicht nach draußen zu lassen oder ihnen eine Glocke umzubinden. Es ist schön wenn man den Kindern ansehen kann wie sich ihre Einstellung zu vielen Dingen ändert."
"Wir alle müssen umdenken bevor es zu spät ist", glaubt Yookamurra-Gründer John Wamsley. Der Naturaktivist sehnt sich nach dem unberührten Buschland seiner Kindheit zurück, das voller Leben war. Australien brauche mehr geschützten Lebensraum für einheimische Arten und die radikale Kontrolle eingeschleppter Haus- und Raubtiere. Und zwar schnell. Denn sonst wären weite Teile der einmaligen, australischen Tierwelt unwiederbringlich für die Katz.
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