Schlüsselfigur der Happening-Kunst

Von Birgit Rieger · 06.09.2011
Der amerikanische Komponist und Philosoph John Cage hat wie kein anderer das Kunstverständnis des 20. Jahrhunderts beeinflusst. Nun wäre er 99 Jahre alt geworden. Die Berliner Akademie der Künste würdigt ihn mit drei Ausstellungen.
So klingt ein Klavier, das auf Nüsse, Radiergummis und Schrauben hämmert. John Cage hatte keine Scheu, aus einem edlen Tasteninstrument ein Schlagzeug zu machen. Mit einem Konzert für zwei präparierte Klaviere startete heute Abend die Projektreihe "365 Tage Cage".

Programmdirektor Johannes Odenthal: "365 Tage bedeutet, wir fangen ein Jahr vor seinem 100. Geburtstag, also zu seinem 99. Geburtstag, an, uns mit den philosophischen, künstlerischen Ideen von Cage zu beschäftigen und machen damit das Haus am Hanseatenweg zu einer Art Werkstatt."

Was wird man erfahren über einen wie ihn? War er Komponist? Spaßvogel? Anarchist? Der Sohn eines Erfinders, der einfach keine Angst hatte, vor dem Neuen?

Johannes Odenthal: "Cage war eine Schlüsselfigur in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, hat also nicht nur die Musikszene radikal verändert, war auch natürlich ein Einbruch hier in das deutsche Nachkriegsdeutschland, das sehr stark noch in den konservativen Strukturen vorhanden war und wo Cage dann im Dialog mit Leuten wie Paik, oder später Beuys, und dann auch Schnebel eine Welt geöffnet hat, in der die Kunst aus ihrer bürgerlichen Schonzone heraustreten konnte und der Gegenstand einer kritischen, gesellschaftskritischen, kulturkritischen Programmatik wurde, die auch dann systematisch hin zu 68 geführt hat."
Im "Raum für Cage" fragen sich Akademiemitglieder und Gäste, was aus den Ideen von Cage geworden ist. Der Literat Reinhard Jirgl hat seine "Texte für Nichts" an die Wand gehängt. Wer sie lesen will, muss in ein Kiesbett steigen.

Der Betrachter tappt - und ertappt sich selbst beim Betrachten – auch das, ein Erbe von Cage. Die Installationen bleiben 365 Tage lang als Grundrauschen; aber eigentlich ist der "Raum für Cage" eine Leerstelle, die nur darauf wartet mit neuen Ideen und Fragen gefüllt zu werden.
Besonders nahe kommt man Cage, wenn nicht er selbst, sondern sein Weggefährte, der Choreograf Merce Cunningham, zu sehen ist.

In einem riesigen Raum, dem größten der Akademie, schweben mehrere Leinwände. Auf jeder sieht man Cunningham lebensgroß, wie er still auf einem Stuhl sitzt. Lockiges weißes Haar, violettes Hemd, ein gleichfarbiges Tuch um den Hals. Auf Einladung der britischen Künstlerin Tacita Dean, performt Cunningham, damals 88 Jahre alt, Cages Komposition "4’33", ein Stück, in dem kein einziger Ton erklingt. Es ist ein Schock, dass es in dem Raum trotzdem so laut ist.

Dass Cage nicht der Einzige war, der die Musik neu dachte, zeigt die dritte Ausstellung, die den Architekten und Komponisten Iannis Xenakis anhand seiner Notationen und Skizzen vorstellt. Waren Cage und Xenakis wirklich Gegenspieler?

Kurator Hubertus von Amelunxen: "Xenakis und Cage haben beide immer diese Unbestimmtheit gedacht, den Zufall gedacht, nur hat der eine ihn kalkuliert, Xenakis, und der andere hat ihn nicht kalkuliert, Cage. Der eine, Xenakis, hat gesagt, hat mit Wahrscheinlichkeitsrechnung gearbeitet, Probabilitätsrechnung, der andere, Cage, hat gesagt, die Probabilität des Menschen können wir nicht kalkulieren, also lassen wir es offen. Beide haben aber Freiheit gedacht."

Und beide wollten eine neue Situation für den Zuhörer. Eine Zeichnung zeigt eine Wolke aus wilden Linien, dazwischen sind schwarze Punkte gesetzt: Es sind Orchestermusiker zwischen umherwandernden Zuhörern. In den nächsten Monaten kann das Publikum entscheiden, wer die emotionalere Musik gemacht hat - der kalkulierende Mensch oder der Zufall. Vielleicht schafft es die Akademie der Künste sogar, die neue Musik etwas populärer zu machen. Xenakis Schlagzeug-Solo "Psappha" jedenfalls, passt auch gut in einen Berliner Club.

Und heute? Bestimmt der Zufall die Kunst? Die Kontrolle? Der kontrollierte Zufall? Mitkuratorin Angela Lammert hat Künstler der Akademie befragt. Ihre Videointerviews zeigen: Die Befragten haben beeindruckend unterschiedliche Meinungen. Deshalb ist es gut, dass sich die Akademie der Künste so viel Zeit nimmt.

Einer der Höhepunkte in den nächsten 365 Tagen: Die Merce Cunningham Dance Company kommt ein letztes Mal nach Berlin, bevor sie sich im November auflöst, so wie es Merce Cunningham verfügt hat. Drei Aufführungen wird es geben, unter anderem Cunninghams letzte Choreographie "Nearly 90 2" – die noch einmal die ganze Fülle seines Schaffens auf die Bühne bringt.