Schlechtes Geschäft mit schnellen Büchern

Christopher Schroer und Heinrich von Berenberg im Gespräch mit Dieter Kassel · 19.02.2013
Nach dem Skandal um Leiharbeiter bei Amazon hat der Verleger Christopher Schroer die Zusammenarbeit mit dem Versandhändler eingestellt. Sein Kollege Heinrich von Berenberg kann darauf nicht verzichten. Doch beide finden: Die Rabatte, die Verlage dem Konzern einräumen müssten, seien zu hoch.
Dieter Kassel: Leiharbeiter, die für geringen Lohn und auf Abruf beschäftigt unter unwürdigen Bedingungen in abgewrackten Freizeitparks untergebracht werden, bewacht von einem Sicherheitsdienst, dessen Mitarbeiter wie eine Pseudopolizei auftreten und dessen Chef der rechten Szene nahestehen soll – eine Fernsehreportage in der ARD hat schwere Vorwürfe gegen den Internetversandhändler Amazon erhoben.

Die Kunden haben darauf reagiert, im Internet zumindest ist ein echter Shitstorm über Amazon hereingebrochen. Die Verlage allerdings, deren Bücher über Amazon vertrieben werden, die halten sich noch überwiegend zurück – mit einer Ausnahme allerdings, der Verlag Christopher Schroer hat seine Zusammenarbeit mit Amazon beendet, ohne Wenn und Aber, wie es in einer öffentlichen Mitteilung heißt. Verlagsgründer Schroer ist jetzt aus unserem Studio in Köln zugeschaltet, der Verlag ist in der Nähe von Köln. Schönen guten Tag, Herr Schroer!

Christopher Schroer: Ja, guten Tag, Herr Kassel!

Kassel: Und bei mir hier in Berlin im Studio ist Heinrich von Berenberg, er ist der Geschäftsführer des gleichnamigen Verlages, also des Berenberg Verlags. Schönen guten Tag auch an Sie!

Heinrich von Berenberg: Hallo, ja!

Kassel: Herr von Berenberg, können Sie sich denn vorstellen, auch solche Konsequenzen aus den neuesten Berichten zu ziehen und ihre Zusammenarbeit mit Amazon einzustellen?

von Berenberg: Nein, das tun wir nicht. Die Erwägung ist in erster Linie ganz einfach, wir haben eine ganze Menge Autoren, Amazon ist einer der größten Kunden unseres Verlages, und ich glaube, meine Autoren hätten überhaupt kein Verständnis dafür, wenn ich das machen würde.

Kassel: Sind Sie sich sicher? Ich könnte mir als Autor auch vorstellen inzwischen zu sagen, das ist gar nicht mehr gut für mein Image, wenn meine Bücher bei diesem Versandhändler angeboten werden.

von Berenberg: Gut, da müsste man sie fragen, das ist von Fall zu Fall sicherlich verschieden. Grundsätzlich glaube ich das nicht, denn nach meiner Erfahrung ist es ja eine – wie auch immer man darüber denkt – eine Konvention geworden für die Autoren, dass die, wenn ein Buch raus ist, dass die nicht in die Buchhandlung gehen und gucken, wie es geht, sondern dass sie Amazon anklicken und gucken, auf welchem Verkaufsrang sie sind. Also daraus können Sie sehen, dass auch die Autoren längst einen Teil dieses großen Zusammenhangs sind, zu dem wir gehören, zu dem die Kunden gehören, die bei Amazon kaufen, und zu dem der Markt gehört, auf dem dieses Unternehmen halt sich ausgebreitet hat.

Kassel: Herr Schroer, für die, die Ihren Verlag vielleicht noch nicht gut kennen – im eigentlichen Verlag Christopher Schroer erscheint Belletristik, Romane, viele Debutromane, Sie haben auch eine Kunst-Imprint-Reihe namens "Die neue Sachlichkeit". Würden solche Argumente nicht für Ihre Autoren – bleiben wir bei der Belletristik – möglicherweise auch gelten?

Schroer: Bei meinen Autoren ist die Sache tatsächlich anders gelagert. Meine Autoren unterstützen diesen Schritt zu 100 Prozent.

Kassel: Aber Herr Berenberg – Sie sagen bitte, wenn ich das falsch interpretiere – sagt ja auch zusammengefasst, die Bedeutung von Amazon und die Marktmacht ist so groß, dass man es sich als Verlag gar nicht erlauben kann, da nicht präsent zu sein. Warum können Sie sich das denn erlauben?

Schroer: Bei mir ist Amazon tatsächlich nicht der größte Kunde, der mir meine Bücher abkauft. Amazon rangiert irgendwo bei maximal fünf Prozent des Gesamtumsatzes. Da kann ich natürlich dann so eine Entscheidung fällen.

Kassel: Würden Sie sie auch fällen, wenn, sagen wir mal, Ihr Gesamtumsatz zu 80 Prozent bei Amazon stattfände?

Schroer: Nein, das wäre wirtschaftlicher Selbstmord.

Kassel: Das heißt aber auch, Herr von Berenberg, wenn ein Händler so wichtig ist, kann er machen, was er will?

von Berenberg: Ja, wenn ein Händler so wichtig ist, kann er machen, was er will, oder macht auch, was er will. Das sieht man ja nicht nur bei Amazon, das sieht man auch, das sehen Sie bei anderen Unternehmen, die eine entsprechende Marktmacht haben. Also ich bin kein Wirtschaftsmensch, aber ich glaube, das kann man mit Fug und Recht sagen. Wir leben ja zum Glück in einem Land, in dem es Gesetze gibt, auch in dem es Arbeitsgesetze gibt, und in diesem Fall bei Amazon ist ja im Wesentlichen auch das Arbeitsrecht gefordert, und soweit ich das sehe, hat ja Frau von der Leyen auch schon etwas gesagt, und gesagt, es gibt Konsequenzen – wie auch immer die aussehen werden. Auf der Ebene kann Amazon sicherlich nicht machen, was sie wollen. Es ist die Frage, ob, wenn sich die Empörung gelegt hat, in einem halben Jahr oder spätestens beim nächsten Weihnachtsgeschäft, wir wieder mit den gleichen, oder in Variation mit den gleichen Phänomenen konfrontiert werden.

Kassel: Was übrigens den erwähnten Sicherheitsdienst angeht, hat Amazon Deutschland inzwischen mitgeteilt, die Verträge mit diesem Unternehmen gekündigt zu haben. Herr Schroer, es gab ja mal einen Fall – wie lange ist das her? Sechs, sieben Jahre? –, irgendwann Mitte des letzten Jahrzehnts, da hat Diogenes vorübergehend seine Bücher nicht mehr bei Amazon angeboten, die sind zurückgekehrt, niemand von uns – oder ich zumindest –, weiß, was genau dann am Ende sie dazu bewogen hat, sie haben es halt gemacht. Können Sie sich denn vorstellen, wenn der Shitstorm vorbei ist, und wenn Sie vielleicht sagen, diese fünf Prozent, die wir jetzt nicht mehr haben, tun uns doch weh, dann kämen wir zu Amazon zurück?

Schroer: Nein, dazu müsste Amazon, glaube ich, sein Geschäftsmodell für die Verlage grundlegend ändern. Also was mich primär wirklich daran stört, ist einfach, dass es Kommissionsware ist, die unpfleglich behandelt wird, ich räume Riesenrabatte ein, muss dann irgendwann nachgelagert jetzt in der ARD vernehmen, dass da Leiharbeiter nicht anständig behandelt werden – da muss sich grundlegend was ändern.

Kassel: Glauben Sie, dass das passiert, wenn ein Verlag Ihrer Größe allein bleibt und sagt, wir machen da nicht mehr mit?

Schroer: Nein.

Kassel: Reden wir doch mal auch mit Ihnen, Herr von Berenberg, über einen anderen Grund, den Herr Schroer ja auch ausführlich nennt in seiner Erklärung, warum er aussteigt, nämlich das Geschäftsgebaren, das Amazon gerade kleineren Verlagen gegenüber an den Tag legt. Ihrer ist größer als der von Herrn Schroer, aber er ist kleiner als, sagen wir mal, die Random House-Gruppe oder Suhrkamp, Fischer oder ähnliches. Ist es auch für Sie schwierig, Ihre Bücher unter vernünftigen Bedingungen da zu verkaufen?

von Berenberg: Wir verkaufen unsere Bücher unter genau diesen Bedingungen, die Herr Schroer auch geschildert hat. Uns werden auch – wir bekommen die gleichen Rabatte wie Herr Schroer, die sind saftig, aber wir sind bei Amazon als ein kleiner Kunde vertreten, wir sind ja mit dem Kunstmann-Verlag in München vertriebsmäßig verbunden, müssen also auch sowieso darauf Rücksicht nehmen, aber Sie haben bei Amazon sowieso relativ wenig Einflussmöglichkeiten, glaube ich, wenn Sie nicht zu den wirklich umsatzriesigen Vorzugskunden gehören. Dann haben Sie bestimmte Rechte, wie die genau aussehen, weiß ich auch nicht, also ich weiß, dass man dann also die Bücher praktisch selber reinstellen kann, dass die irgendwie bessere Möglichkeiten haben, bei der Titelpräsentation und so weiter. Wie sich das auf die Rabatte auswirkt, das weiß ich nicht, aber da müsste man die größeren Verlage fragen.

Kassel: Das haben wir übrigens Versucht, ich muss zur Ehrenrettung sagen, der Fischer-Verlag hat am Ende nur zu spät sich dann auch noch bereit erklärt, mit uns zu reden. Viele der ganz Großen, auch einen, den ich schon erwähnt habe, den ich aus juristischer Vorsicht jetzt nicht noch mal nenne, er sitzt in München und hieß früher mal anders als er heute heißt, hat zum Beispiel nicht geantwortet auf die Anfrage.

Wir reden jetzt deshalb gerade im Deutschlandradio Kultur – und das tun wir auch sehr gerne – mit Heinrich von Berenberg vom Berenberg-Verlag und mit Christopher Schroer vom Christopher Schroer Verlag. Herr Schroer, vielleicht erklären Sie es noch mal ein bisschen, nicht jeder hat Ihren öffentlichen Brief gelesen, was nun die Geschäftsbedingungen angeht, Sie haben Rabatte erwähnt. Was stört Sie denn alles an dem Gebaren, dass Amazon da Ihnen gegenüber an den Tag gelegt hat?

Schroer: Also es ist einfach so eine Aufsummierung von mehreren Kleinigkeiten: Es ist diese überzogene Rabattforderung für die Leistungen, die Amazon tatsächlich dann erbringt, es sind dann die Remissionen, die Amazon einfach – die Bücher, die kann ich in die Tonne kloppen, wenn die von Amazon zurückkommen.

Kassel: Also einfach, Remissionen, erklärt, die Bücher, die bei Amazon schon mal waren, die sie dann nicht verkauft haben und Ihnen zurückschicken.

Schroer: Genau richtig, die kann ich dann quasi aussortieren und ins Altpapier werfen. So, dann ist das ein erheblicher Verwaltungsaufwand. Man meint ja, so ein Online-Händler würde es tatsächlich für die Verlage einfacher machen, also Amazon verlangt schon gewisse Kriterien für die Rechnungsstellung, das fängt damit an, dass man die nach England schicken muss, es fängt damit an, dass man sich einen Verkaufsbericht herunterladen muss, diese Rechnung muss eine gewisse Form, die Amazon vorgibt, aufweisen. Wenn dann was mit der Rechnung nicht stimmt, ist das ein erheblicher Kommunikations- und Verwaltungsaufwand, das wieder gerade zu biegen, und unterm Strich rechnet sich das für mich als wirklich kleiner Verlag nicht.

Kassel: Herr von Berenberg, aber ist denn das beim stationären Buchhandel, wenn wir über große Ketten reden – der Markt ist ja übersichtlich geworden, also im Wesentlichen Thalia und die Weltbild-Hugendubel-Gruppe –, Sie müssen nicht, wenn Sie nicht wollen, ins Detail gehen, aber grob gesagt, ist es nicht ähnlich?

von Berenberg: Das kann ich tatsächlich nicht beurteilen. Das kann ich nicht beurteilen, weil ich ganz einfach den Vertrieb bei uns nicht leite, nicht? Das läuft über Kunstmann, aber soweit ich weiß, diese Komplikation, die Herr Schroer eben geschildert hat, die gibt es beim stationären Buchhandel natürlich nicht. Der stationäre Buchhandel in Deutschland läuft nach bestimmten Kriterien, und es gibt manchmal, in Stoßzeiten gibt es – das wird Herr Schroer auch kennen, den Ärger mit den Wahlsortimenten, weil man irgendwie, wenn man gut laufende Titel hat, in den Stoßzeiten nicht reinkommt, weil anderen gut laufenden Titeln der Vorzug gegeben wird, das sind solche Sachen.

Ansonsten ist es in Deutschland kein Problem, und ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass das natürlich mit Amazon ein Problem ist, weil Amazon halt ein – Amazon hat zwar in Deutschland seine großen Niederlassungen, aber soweit ich weiß, ist, glaube ich, die Zentrale in Luxemburg, und es gibt sie in Frankreich, in Italien, in England, und das ist etwas ganz anderes, nicht? Aber es ist eben auch bei uns die Sache, es ist tatsächlich, ich glaube, es ist unser größter Kunde, und da muss man leider ein paar Sachen in Kauf nehmen.

Kassel: Herr Schroer, wir sind ja rein theoretisch – praktisch müssen wir das nicht – alle nicht nur, wie Sie beide, Menschen, die auch etwas verkaufen bei Amazon, wir sind auch potenzielle Kunden. Wenn Sie es je getan haben, würden Sie jetzt sagen, egal was, es muss ja kein Buch sein, es kann auch ein Kühlschrank sein, bei Amazon bestellen, das geht nicht mehr?

Schroer: Ich habe tatsächlich in der Vergangenheit nur Bücher bei Amazon bestellt. Meine Waschmaschine, oder eher gesagt, der Trockner, den ich kürzlich gekauft habe, habe ich im Fachhandel vor Ort gekauft.

Kassel: Herr von Berenberg, Sie haben selber gesagt, Sie können nicht drauf verzichten, die Bücher Ihres Verlages auch bei Amazon zu verkaufen. Können Sie nicht als Geschäftsführer eines Verlags, sondern als Privatmann darauf verzichten, einzukaufen bei Amazon?

von Berenberg: Ich werde nicht darauf verzichten. Ich kann Ihnen auch ganz einfach sagen, warum: Ich mache sehr viele Bücher, die übersetzt sind, ich mache sehr viele Bücher aus dem englischen Bereich, ich mache sehr viele Bücher aus Frankreich, aus Spanien, aus Italien, und der Service bei fremdsprachigen Büchern, den Amazon bietet, ist ein Service, den Sie leider in dieser Weise nirgendwo anders bekommen. Also ich habe alle, die meisten meiner englischen Titel, die ich in den letzten Jahren gekauft habe, tatsächlich über Amazon bestellt. Es wird einige Berliner englische Buchhandlungen geben, die darüber sehr sauer sind, das kann ich gut verstehen, …

Kassel: Bevor ich hier komisch klinge, gebe ich zu, dass ich das gerade bei fremdsprachigen Titeln auch getan habe, aber ich frage mich selber: Der Service ist gut, und oft ist es am nächsten Tag da, wenn man es früh bestellt hat, aber ist es okay, diesen Service zu genießen, wenn man inzwischen weiß, wie dieser Service möglich ist?

von Berenberg: Da kommen wir an das Problem, das ist ein gesellschaftliches Problem.

Kassel: Ja, aber wir sind ja alle Teil der Gesellschaft.

von Berenberg: Wir können natürlich sagen, selbstverständlich, wir als, sagen wir mal, die kritischen Leute, können sagen, wir schränken da unser Konsumgebaren mal ganz gehörig ein. Ich kenne auch eine ganze Menge Freunde, die das tatsächlich tun. Es gibt auch einige Leute, Freunde, die ich habe, die gesagt haben, was, du kaufst immer noch deine englischen Bücher bei Amazon, das darfst du nicht tun. Ich bin mit solchen Sachen immer mit der Zeit vorsichtiger geworden, weil ich sehe, dass das praktisch am Gesamtgebaren mit solchen Einzelhandlungen praktisch sich nichts ändert. Es ist, wir haben einfach ein bestimmtes Konsumsystem, ein bestimmtes Online-Konsumsystem, was so funktioniert, und es ist leider so, es ist nicht sehr schön, das gebe ich zu, aber es ist so.

Kassel: Wir müssen diese Diskussion an dieser Stelle beenden, wobei ich aber glaube, zu Ende ist sie noch nicht, aber wir können sie ja an anderer Stelle fortsetzen. Ich danke – er sitzt in unserem Studio in Köln – Christopher Schroer! Danke Für das Gespräch, Herr Schroer!

Schroer: Gerne, gerne! Danke auch!

Kassel: Sie finden seinen Verlag im Internet, und bevor ich tausend Adressen sage, finden Sie das als Link auch bei uns unter dradio.de, wie natürlich auch einen Link zum Berenberg-Verlag. Heinrich von Berenberg war auch bei uns zu Gast, vielen Dank auch an Sie!

von Berenberg: Danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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