Schlaumeierei auf der Bühne

Von Michael Laages · 20.09.2013
Florian Illies montiert in seinem aktuellen Bestseller "1913" aus einer Unmenge von Zitaten ein Panorama des Vorkriegsjahres. Das mag im Buch funktionieren, auf der Bühne aber bricht die Inszenierung unter der Vielzahl der Daten und Fakten zusammen.
Zuerst hatte der Journalist und Autor Florian Illies die "Generation Golf" erfunden, dann formulierte er die "Anleitung zum Unschuldigsein" - und profilierte sich als pointierter Propagandist für eine Art neokonservativen Zeitgeist, der kritisch umgeht speziell mit den Mainstream-Haltungen der Altergenossen des Autors selbst. Jetzt steht wieder ein Buch von Illies auf den Bestseller-Listen - darin montiert der Autor aus Unmengen von Zitaten ein Panorama des Vorkriegsjahres 1913.

Kunst, Kultur und Wissenschaft seien vor dem Schicksalsjahr 1914 auf dem Gipfel der Moderne angelangt gewesen, und der Krieg habe diese Blüte nicht (wie oft behauptet) explosiv befördert, sondern gestoppt. Das mag sehr interessant sein - aber muss darum ein Theaterstück draus werden? Die Uraufführung in Oberhausen, an einem der rührigsten Theater der Republik, lässt zweifeln.

Und das nicht, weil auf der Bühne nicht die beträchtliche Wirkung von Gleichzeitigkeit zu erzielen ist, die die vielstimmige Textsammlung suggeriert. Was mehr kann entstehen als "name dropping" auf kulturell hochprominentem Niveau? Wer war wichtig akkurat vor hundert Jahren, am Vorabend der Katastrophe, die kaum jemand heraufziehen sah - das mag sich Florian Illies gefragt haben. Und so kommen die "Top Soundsoviel" der (von heute aus gesehen) Kultur-Promis der damaligen Moderne zu Wort.

Thomas Mann etwa - der ist besonders instinkt- und ahnungslos; hat gerade Gattin Katja besucht, in Davos und im Sanatorium, und ist dort auf einen großen Roman-Plot verfallen. Die Welt im Sanatorium; auf dem "Zauberberg" - die Welt wird diesen Roman später als DIE Vorkriegs-Analyse rühmen; Mann selbst hält die Idee jetzt, 1913, noch für "zu weltabgewandt".

Außerdem hat er andere Sorgen: die Garderobe im Zug. Und dass ihn im Hotel in Berlin auch jeder erkennt. Er reist übrigens zur Premiere eines eigenen Textes - und muss dort, im Deutschen Theater, auch noch die höhnischen Attacken von Alfred Kerr ertragen, mit dem er mal (vergeblich) um dieselbe Frau konkurrierte.

Überhaupt ist viel von Liebe und Beziehungen die Rede; das Oberhausener Theater erkühnt sich sogar, als Motto über diese Uraufführung "Make love, not war!" zu schreiben. Else Lasker-Schüler liebt kurz, heftig, aber letztlich glücklos Gottfried Benn; Rainer Maria Rilke liebt jede bessere Dame, die Geld hat; Oskar Kokoschka liebt Alma, spätere Werfel, derzeit noch verwitwete Mahler: ein Eifersuchtsdrama!

Der Schweizer Analytiker C.G. Jung streitet derweil mit Sigmund Freud - und trennt sich vom Übervater. Lou Andreas-Salomé liebt ziemlich querbeet, Gertrude Stein weiß noch nicht so recht (nur, dass "eine Rose eine Rose eine" ist und so weiter); Bertolt Brecht wird gerade 15, steht noch stark unter Mamas Augsburger Fuchtel, hat aber erste lyrische Anfälle - wenn auch noch zu Ruhm und Preis des Thronjubiläums von Kaiser Wilhelm Zwo. Derweil erschießt sich in Wien der arme Oberst Redl, der -um Liebhaber auszuhalten- die Aufmarschpläne Österreich-Ungarns an die Russen verriet. Und in einem Park an der Donau treffen gar die Herren Hitler und Stalin aufeinander - und spielen Schwuppdiwupp in dieser Inszenierung. Wer gewinnt die Welt? Herzig.

Ein gewisser Josip Broz ist auch gerade in der Stadt. Aber der wird ja erst nach Weltkrieg 2 so richtig interessant, als Marschall Tito - nächstes Jahr steht erstmal die erste Völkerschlacht an. Ach ja - und die Mona Lisa wird aus dem Louvre geklaut 1913: ein "runnig gag" in Oberhausen.

Unter der Vielzahl von historischen Daten und privaten Fakten aber bricht der Theaterabend schier zusammen; und das liegt nicht nur an der mäßig einfallsreichen Inszenierung des rumänischen Gastes Vlad Massaci. Die laboriert stark an der Misch-Form aus szenischem und erzählerisch-kommentierendem Ich; aber auch schon das Illies-Material selbst hat ein Konstruktionsproblem, das hinderlich ist für die Bühne - der Autor will erzählen wie ein überzeitlicher Reporter, also immer nah am Ereignis; aber er tut das natürlich mit dem Wissen das Nachgeborenen.

Charmant mag die Methode beim Lesen wirken - auf der Bühne ist sie von Schlaumeierei kaum zu unterscheiden. Und einigermaßen beliebig ist sie auch, die Beispiele Stein und Brecht zeigen das deutlich, auch das vom Oberst Redl - obwohl gerade das nun wirklich wichtig war für die Politik des Augenblicks. Redl leitet ja wirklich symbolisch das Ende der Habsburgerei ein.

Kenntnisreich, aber unterschiedlos hat Illies Material angehäuft; Massaci hat es letztlich nur leidlich illustrieren können - in Oberhausen. Andere Bühnen werden folgen und den Bestseller bearbeiten - viel Hoffnung dabei soll sich aber niemand machen. "1913" von Carl Sternheim taugt viel eher als "Stück zur Stunde".