Schlager-Techno statt "Schluffi-Gitarrenkram"

Moderation: Frank Meyer · 22.03.2013
Auf ihrem neuen Album überraschen Franz Schütte und Reimo Herfort ihre Fans mit Songs im Stil bierseliger Schlager- und Techno-Gassenhauer. Es sind Geschichten vom Scheitern, mit denen sie "die Leute aus ihrem traurigen Alltag" holen wollen, sagen die beiden Musiker der Band "Jeans Team".
Frank Meyer: "Menschen", ein Stück vom neuen Album der Berliner Band Jeans Team, heute ist diese Platte herausgekommen. Die Band besteht im Moment aus zwei Musikern, Franz Schütte und Reimo Herfort, und die beiden sind jetzt hier im Studio. Seien Sie beide herzlich willkommen!

Franz Schütte: Hallo!

Reimo Herfort: Tag!

Meyer: "Sie wollte tanzen wie ein Star, dann wurde sie zu schwer", die Madame von nebenan aus Ihrem Song, den wir gerade gehört haben. Solche Geschichten, also solche Geschichten ja eigentlich vom Scheitern, die bringt sonst keiner zusammen, glaube ich, mit so einer Musik, wie wir sie gehört haben, so Schlager-Kirmes-Techno-Musik. Warum bringen Sie das zusammen?

Schütte: Also wir können uns auch duzen, würde ich sagen.

Meyer: Wie Sie wollen, genau – aber die Frage, warum bringen Sie so was zusammen?

Schütte: Na ja, wir machen ja schon lange Musik, und wir haben bei dieser Platte uns so ein bisschen mehr auf so diese Ohrwürmer konzentriert, die uns so unter der Dusche eingefallen sind, und da, das ist ja – meistens fällt einem ja eine ganz einfache Melodie ein, und dazu nur so ein, zwei Sätze. Und irgendwie ist uns eingefallen, Menschen sind zum Träumen da, das müsste man eigentlich mal so geradeheraus einfach so als Lied bearbeiten. Und, ja, wir bringen das zusammen in dem Lied, auch, weil das die Rolle des Musikers ist. Die Rolle des Musikers ist irgendwie die Leute, die traurig … also die Leute aus ihrem traurigen Alltag herauszuholen und einen Schritt auf den Mann mit den tränenden Augen zuzugehen oder die Frau, die da jammert, und zu sagen: Hey, pass auf, träum weiter!

Meyer: Aber bei dem Lied wird ja nicht richtig klar, machen Sie sich jetzt eigentlich lustig über diese Menschen mit ihren traurigen Geschichten, mit Trullali und Trullala, oder nehmen Sie die ernst?

Herfort: Ja, das Trullali und Trullala, das ist ja eher so, da machen wir uns ja eher über unsere Rolle als Musiker wiederum lustig. Weil im Grunde genommen haben wir die Remedy, wir wissen, wir sagen, komm, jetzt lass nicht den Kopf hängen, ich singe dir jetzt ein Lied vor, und vergiss doch mal und träum mal weiter, und du kannst dich nicht immer nur nach hinten orientieren, sondern auch in die Zukunft, musst dann an die Zukunft denken, und jetzt lass doch mal alles easy und locker, und ich sing dir jetzt das Lied, und nichts – ich habe ja dann auch nicht viel mehr zu sagen, als: "Menschen sind zum Träumen da, Trallali und Trallala." Also was dann die Person Positives nach vorne denken soll, das bleibt ihr überlassen.

Meyer: Viele in der Musikkritik sind jetzt ganz – erschrocken nicht, also – erstaunt über diese Platte, weil Sie mit Ihrer Band sonst auch auf ganz anderen Hochzeiten tanzen, so eher im Indie-Pop vielleicht, im Popbereich unterwegs sind, und jetzt schlagen Sie da so diese Brücke zum volkstümlichen Popschaffen. Und viele fragen sich, warum tun die das, warum dieser Brückenschlag zwischen den Spezialistenzirkeln des Indie-Pops hier zu diesem großen Massenmarkt des volkstümlichen Pops?

Schütte: Ja, weil ganz klar – wir haben das nie anders gesehen. Also das ist eigentlich mehr oder weniger so ein Zufall mit der letzten Platte, da haben wir halt vier Gitarren benutzt, und das hat dann gut in diesen Indie-Bereich gepasst, aber im Grunde genommen, so wie unsere Band angefangen hat, auch mit keinem … ich singe keine Melodien, ich singe eins, zwei, drei, vier, da haben wir es ja schon so knapp gehalten, dass es im Grunde genommen jeder verstehen kann. Und das ist auch irgendwie der Witz für uns an Musik, wir sehen uns als Pop-Musiker schon auch als Menschen, die jetzt nicht Nischen bedienen, sondern irgendwie große Musik machen wollen oder Musik machen wollen, die für einen großen oder möglichst variablen Kundenkreis irgendwie auch erreichbar sein soll.

Herfort: Ja, aber auch das ist im Moment Musik, die wir wirklich gut finden.

Schütte: Ja, natürlich, genau, also wir haben immer die Musik gemacht, die wir wirklich gut finden. Also …

Herfort: Ja, das ist so für uns jetzt ein Beispiel für Musik, die eigentlich jeder heutzutage machen sollte.

Meyer: Das ist Ihr Ideal, so Musik, wo manche sagen – also ich habe so Blogeinträge gelesen, die dann verzweifelt fragen, warum machen Jeans Team, die ich immer bewundert habe, warum machen die jetzt so Stücke, die auch von DJ Ötzi sein könnten, zum Beispiel.

Schütte: Ja, kann ich ganz genau sagen, weil solche Leute, die so was schreiben, die haben uns ja nicht schon immer bewundert, sondern die sind wahrscheinlich – also ich denke mal – so bei der letzten Platte eingestiegen und haben uns dann gleich in diese Indie-Pop-Schublade, Singer-Songwriter-Schublade so reingesteckt. Da gehören wir gar nicht hin. Wir hatten dieses … wir sehen das alles ein bisschen offener und sind ein bisschen kosmischer drauf als irgendwie jetzt für so eine komische, so einen Schluffi-Gitarrenkram irgendwie, da so.

Meyer: Wir wollen noch ein Stück von Ihnen hören: "Gesundbrunnencenter" heißt das, das ist ja so ein Kaufhauscenter in Berlin, wie es Hunderte überall in der Republik gibt, liegt im Berliner Stadtteil Wedding, also eher in so einer prekären Gegend. Was bedeutet dieser Ort für Sie, das "Gesundbrunnencenter"?

Herfort: Ja, also der Wedding ist halt ein klassischer Arbeiterbezirk, und da haben wir unser Studio, und da bewegen wir uns. Also es ist halt anders als Charlottenburg, und …

Meyer: Der bürgerliche Bezirk von Berlin zum Beispiel, ja?

Herfort: Ja, genau, also nicht, dass ich das eine besser finde als das andere, aber für Musik fand ich das jetzt relativ gut, inspirierend: diese Leute, die da unten in diesem Center sitzen und an den Wassergespielen ihre McDonalds-Tüte aufmachen. Und das wird angenommen, dieses Center, also da sitzen türkische Familien, und da gehen Kinder am Wochenende hin, das ist ein Lebensraum, so ein Terrarium.

Schütte: Gleichzeitig macht sich dann natürlich auch eine riesige Welt auf, und auch überhaupt in dem ganzen Viertel, wo wir da so unterwegs sind. Und da wir uns gesagt haben, wir wollen bei dieser Platte so ganz ehrlich sein und jetzt nicht irgendwas konstruieren, sondern eher mal gucken, so, was sind denn die Ideen, die sowieso ganz locker da sind und einem so zufliegen, spielt natürlich der Wedding und auch das Gesundbrunnencenter dadurch eine ziemlich große Rolle.

Herfort: … eine zentrale Rolle.

Meyer: Genau, und das hören wir uns erst mal an: "Gesundbrunnencenter" …

"Gesundbrunnencenter", unverkennbar auf die Melodie von "Eviva Espana" vom Album "Alkomerz" von Jeans Team. Heute ist dieses Album herausgekommen, und Franz Schütte und Reimo Herfort, die beiden Musiker vom Jeans Team, sind hier bei uns zu Gast im Deutschlandradio Kultur.

Wir haben ja gerade gehört, ein Song also über die Real-Kassiererin und die Oma, die bei Real einkauft, und Spanien-Dieter – ist das von Ihnen auch gemeint als Musik für diese Leute, also können Sie sich vorstellen, dass die diese Songs auch hören?

Schütte: Ja, definitiv, also das ist keine – bei dieser ganzen Geschichte jetzt, bei diesem ganzen Album, dem "Alkomerz"-Album geht es nicht darum, sich irgendwie von außen über andere Leute irgendwie … von außen andere Leute zu betrachten. Es ist eine gemeinschaftliche Sache, und es ist auch Musik für diese Menschen, also so ganz klar.

Meyer: Aber glauben Sie, dass dann durch die Musik – Musik ist ja … von Musik nimmt man zuallererst natürlich die Musik wahr –, und glauben Sie, dass die Texte dann auch ankommen bei den Leuten, dass die durch diese Musik durchdringen?

Schütte: Ich glaube schon, weil das ist ja auch mit Humor. Und ich finde, man … ich lache zum Beispiel gerne über mich selbst. Und ich habe mich auch oft in solchen Situationen gesehen, die so sind, wie … ich meine, ehrlich gesagt, irgendwann standen wir an der Kasse bei Real, und es war so ähnlich, und da ist uns das auch eingefallen.

Meyer: Also aus dem echten Leben gegriffen.

Herfort: Also gerade bei Texten, die am Anfang ein bisschen sperrig und eckig sind, das sind die, die man am Ende auswendig kann. Es ist immer so: Wenn es zu süß ist, dann stößt irgendwann der Körper auch ab.

Meyer: Und die Musik hier dazu, ich habe ja gesagt, "Eviva Espana", die Vorlage, das ist ja … ist das auch so eine Absage an übertriebene Originalität oder überhaupt an Originalität, dass sie sagen, wir nehmen hier dieses Fundstück aus der Massenkultur und machen daraus, basteln das irgendwie weiter?

Schütte: Es hat einfach so gut gepasst, und in dem Text geht es ja auch darum, dass im Grunde genommen alle Protagonisten, die an der Kasse da sind, eigentlich im Grunde genommen davon träumen, nach Spanien zu fahren in den Urlaub, mit Dieter, und eine tolle Zeit zu haben, und stattdessen nervt sie halt alles. Aber es löst sich am Ende ja gut auf, der Protagonist nimmt ja alle mit nach Hause und dann gehen sie – DJ Dieter legt auf und …

Herfort: Man kann diese ganzen Leute auch ganz toll in unserem neuen Video sehen, es spielt nämlich genau da ums Eck, Gesundbrunnencenter, die Straße vom Gesundbrunnencenter runter zur Pankstraße, da haben wir das Video gedreht in den letzten zwei Wochen – also nicht zwei Wochen lang, aber …

Meyer: … immer wieder …

Herfort: Jetzt haben wir es hochgestellt, also "Scheiß drauf", und da sieht man halt so die Leute auf der Straße, wie sie mit uns zusammen das Lied singen.

Meyer: Jetzt ist das ganze Album – es heißt "Alkomerz", ich habe es gesagt, Merz mit E geschrieben wie bei dem großen Dadaisten Kurt Schwitters. Also ist das Gesamtprojekt die Versöhnung von Alkohol, Allkommerz, Prekariat und Dadaismus, ist das der Generalplan?

Schütte: Ja, also das mit dem Alkohol – also dieses Wort, Alkomerz, die Platte heißt ja "Das ist Alkomerz", das heißt, das ist sozusagen, es sagt so hallo, also jetzt kommt das erste richtige Alkomerz-Zeug von uns, also die Musik, die wir Alkomerz nennen. Alkomerz ist ein Überbegriff, der natürlich so was wie der besoffene Kommerz auch mit beinhaltet, aber auch einfach als neue Wortschöpfung auch ganz andere Dinge noch mit beherbergen kann, irgendwie, dieser ganze … es hat natürlich eher nicht so viel mit Alkohol, sondern eher vielmehr so mit einer kritischen Betrachtung des Kommerzes zu tun.

Also Alkomerz ist auch im Grunde genommen eine Aktion, also Alkomerz heißt, man nimmt die Sachen, die auf einen so zufliegen im Alltag und verwurstet die neu und baut sie auseinander, baut sie anders zusammen oder verknetet sie und schickt sie dann aber wieder dahin zurück, wo sie herkommen.

Meyer: Es gibt einen Song auf Ihrem Album, den wollen wir noch spielen, der heißt "Bomberjäckchen". Heißt das, dass sie jetzt über all die anderen hinaus, die sie in die Arme schließen mit dieser Platte, auch noch den rechten Skinhead mit dem Bomberjäckchen in die Arme nehmen wollen?

Schütte: Nein, auf gar keinen Fall. Aber das ist ja auch so eine Sache, das ist ja auch schon wirklich in der Realität, das ist so ein übriggebliebenes Bild, das von den Rechten und den Bomberjacken, das ist in der Realität eigentlich gar nicht mehr so. Und als wir das Lied gemacht haben, das ist jetzt auch schon ein bisschen her, war das auch schon nicht mehr so. Da geht es darum, es geht einfach um das Gefühl, wenn man eine Bomberjacke anhat. Und da, wo wir – jetzt mal wieder Wedding, also da, wo wir viel sind –, da ist die Bomberjacke auch eine ganz normale Arbeiterjacke. Das hat halt … der Dachdecker, der hat die Bomberjacke, und auch der Automechaniker, die haben die halt, weil die billig und warm ist. Und …

Herfort: Man fühlt sich halt so ein bisschen powermäßig da drin.

Schütte: Man fühlt sich so total super aufgepumpt da drin.

Herfort: Hattest du mal eine Bomberjacke?

Meyer: Ich habe noch keine, genau. Aber wir haben jetzt diesen Song "Bomberjäckchen" von dem Album "Alkomerz" von Franz Schütte und Reimo Herfort alias Jeans Team. Danke Ihnen für den Besuch hier bei uns!

Schütte: Danke sehr!

Meyer: Und jetzt kommt das Bomberjäckchen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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