Schlacht um Mosul

Großangriff wird humanitäre Krise auslösen

Ein zerstörtes Fahrzeug der IS-Truppen östlich vor Mosul
Ein zerstörtes Fahrzeug der IS-Truppen östlich vor Mosul © EPA
Von Carsten Kühntopp · 22.10.2016
Am Montag um zwei Uhr morgens begann die Militäroffensive zur Rückeroberung der irakischen Stadt Mosul. Ein "logischer weiterer Schritt im Kampf gegen den IS" sei dies, hatte es geheißen. Doch der Angriff kam zu früh und wird schlimme Folgen haben, meint Carsten Kühntopp.
Die Schlacht um die Stadt Mosul könnte die größte im Irak sein, seit eine von den USA geführte internationale Koalition 2003 in das Land einmarschierte und den Machthaber Saddam Hussein stürzte. Der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi sieht die Befreiung Mosuls aus den Händen des IS als Ende der Präsenz der Jihadisten in seinem Land. Wenn Mosul nicht mehr unter der Fuchtel der Fanatiker stehe, sei der IS zumindest im Irak militärisch geschlagen.

Das "Reich der Finsternis" schrumpft

Damit hat Abadi nicht Unrecht: Das perverse "Reich der Finsternis" der Jihadisten schrumpft seit dem vergangenen Jahr, und im Irak würden sie dann kein nennenswert großes Territorium mehr kontrollieren. So wichtig dieser Preis, so mächtig das Bündnis, das sich zusammengefunden hat, um Mosul zu befreien. Die irakische Armee, kurdische Kämpfer, sunnitische Stammes-Milizionäre, schiitische Verbände und US-Spezialkräfte eint das Ziel, den IS aus der einstigen Millionen-Metropole zu vertreiben.

Militäroffensive ist kein Sonntagsspaziergang

Keine Frage: Diese Offensive ist richtig, denn zu jeder Strategie gegen die Jihadisten gehört immer auch eine militärische Komponente. Der IS ist eine so große Bedrohung für die menschliche Zivilisation, dass man ihr auch mit Waffengewalt begegnen muss. Doch es muss klar sein, dass die Befreiung von Mosul alles andere als ein Sonntagsspaziergang sein wird. Niemand weiß, wie viele Menschen dort noch wohnen - sind es anderthalb Millionen - oder lediglich noch 700 000?
Aber diese Menschen sind jetzt in allergrößter Gefahr, weil die IS-Kämpfer erbitterten Widerstand leisten werden. Je weiter die angreifenden Verbände in die Stadt vordringen werden, desto schlimmer wird die Situation der Bevölkerung. Vermutlich wird der IS diese Menschen als Geiseln nehmen, wird sie als Schutzschilde missbrauchen. Auf den Versuch, die Stadt zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen, steht im Terrorkalifat schon jetzt die Todesstrafe.
Die Befreiung von Mosul dürfte also um den Preis der weitgehenden Zerstörung der Stadt und einer sehr hohen Zahl ziviler Opfer geschehen. Einige Beobachter hatten zudem empfohlen, die Offensive um ein halbes Jahr zu verschieben. Den internationalen Hilfsorganisationen hätte dies mehr Zeit gegeben, um sich auf die humanitäre Krise vorzubereiten, die der Großangriff auslösen dürfte. ...

Es droht eine humanitäre Katastrophe

Mehrere hunderttausend Menschen werden Hilfe aller Art benötigen, früher oder später während der kommenden Wochen und Monate des Kampfes. Längst sind diese Organisationen in der Region rund um Mosul noch nicht auf alle Eventualitäten vorbereitet, obwohl sie seit dem Frühjahr sehr engagiert daran arbeiten. Auch aus politischen Gründen wäre es sinnvoll gewesen, zunächst zu warten. Denn die Iraker haben sich noch nicht darauf geeinigt, wer Mosul fortan regieren wird.
Zudem verfolgen die Angreifer völlig unterschiedliche Ziele, Gegensätze, die am "Tag danach" sofort aufbrechen werden. So haben beispielsweise die Kurden Gebietsansprüche angemeldet: Landstriche, die sie dem IS entrungen haben, möchten sie nicht wieder hergeben. Das bedeutet, dass sich die innerirakischen Spannungen verschärfen werden. Seit dem Sturz von Saddam Hussein 2003 schwelt ein Streit über die innere Verfasstheit des neuen Irak; das Verhältnis der Volksgruppen, Konfessionen und der verschiedenen Regionen zu einander und zur Zentralregierung in Bagdad ist nach wie vor nicht geklärt und dürfte nach der Befreiung von Mosul neue Nahrung erhalten.

Angriff kommt zu früh

Dass Ministerpräsident Abadi dennoch aufs Tempo gedrückt hat und darauf bestand, den Sturm auf Mosul noch in diesem Jahr zu starten, das dürfte sich mit dem desolaten Zustand seiner Regierung erklären.
Abadis Vorgänger, Nuri al-Maliki, ist hinter den Kulissen weiterhin einer der wichtigsten Strippenzieher im Regierungslager; er sitzt Abadi im Nacken und will womöglich wieder an die Macht. Vermutlich ist die Großoffensive gegen den IS also Teil einer Nach-vorne-Verteidigung des ansonsten so schwachen Ministerpräsidenten. So wird deutlich: Zwar ist die Schlacht von Mosul ein logischer weiterer Schritt im Kampf gegen den IS. Aber sie kommt verfrüht. Das Risiko ist deshalb hoch, dass sie die inneren Konflikte im Irak weiter verschärft.
Jegliche Schadenfreude über den Untergang des IS-Kalifats ist deshalb unangebracht.
Carsten Kühntopp, ARD-Korrespondent, berichtet derzeit aus Kairo. Er war unter anderem Leiter des ARD-Studios Tel Aviv, sowie Korrespondent im Amman und in Dubai.
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