Schipanski kritisiert parteitaktische Spielchen bei Bundespräsidentenwahl

Dagmar Schipanski im Gespräch mit Ute Welty · 01.07.2010
Dagmar Schipanski aus dem CDU-Bundesvorstand sieht die Politiker in der Pflicht, das Land mit mehr Verantwortung zu führen. Um viele politische Fragen werde hart gerungen, aber dies komme bei der Bevölkerung nicht richtig an, sagt Schipanski.
Ute Welty: Gerne wäre Dagmar Schipanski Mitglied der Bundesversammlung gewesen, um den Bundespräsidenten zu wählen, aber die CDU-Politikerin wurde von ihrer Partei nicht als Wahlfrau aufgestellt, weil sie beide Kandidaten als geeignet empfunden hat: Christian Wulff als den Kandidaten von CDU/CSU und FDP, aber eben auch Joachim Gauck, bekanntlich Kandidat von SPD und Grünen. Statt mittendrin war Dagmar Schipanski also nur am Fernseher dabei, und jetzt ist sie im Radio. Guten Morgen, Frau Schipanski!

Dagmar Schipanski: Guten Morgen, ich grüße Sie!

Welty: Wie geht es Ihnen heute früh mit einem Bundespräsidenten Christian Wulff? Sind Sie erleichtert oder sind Sie enttäuscht?

Schipanski: Ich finde, dass die Voraussagen erfüllt wurden.

Welty: Und mit welchen Gefühlen haben Sie die Geschehnisse rund um die Bundesversammlung gestern verfolgt?

Schipanski: Ich war anfangs überrascht, da ja im Vorfeld doch schon sehr viel Nervosität war, wie ja auch meine Nichtdelegierung zur Bundesversammlung noch einmal verdeutlicht. Aber dann war ich froh, dass die Abgeordneten doch nach ihrem Gewissen entschieden haben und es eben nicht von vornherein feststand, dass Christian Wulff die absolute Mehrheit hat, weil auch Gauck eben eine Persönlichkeit war oder ist. Und das ist besonders in dieser Wahlkampagne zum Ausdruck gekommen, der sinnstiftend ist, der der Demokratie ein neues Gesicht gibt und der bestimmt auch viele Gefühle des Volkes ausdrückt.

Welty: Aber wenn die Abgeordneten nach ihrem Gewissen entschieden haben, wie erklären Sie sich dann letzten Endes doch die absolute Mehrheit für Christian Wulff? Hat das Gewissen dann aufgehört zu existieren?

Schipanski: Das hoffe ich nicht, das nehme ich nie an, dass das Gewissen aufhört zu existieren …

Welty: Aber es hat doch einen Prozess der Umentscheidung gegeben?

Schipanski: Ja, es muss jeder für sich selbst entscheiden, wie er in den Diskussionsrunden, die ja zwischen den Wahlgängen dann in den Fraktionen und bei den Wahlfrauen und Wahlmännern stattfinden, wie er sich danach entscheidet. Da habe ich mit niemandem gesprochen, ich will auch nicht spekulieren. Ich nehme das Ergebnis so, wie es ist, jetzt zur Kenntnis.

Welty: Aber vor allem im ersten Wahlgang haben Christian Wulff ja reichlich Stimmen gefehlt aus seinem eigenen Lager, von CDU/CSU und FDP, nämlich 44. Woran hat das Ihrer Meinung nach gelegen – wirklich nur an der Gewissensentscheidung dieser Abgeordneten?

Schipanski: Ich nehme es für die Abgeordneten an, dass es nur an ihrer Gewissensentscheidung gelegen hat. Ich kann nicht ausschließen, dass es parteitaktische Erwägungen dabei gegeben hat, denn das ist relativ offensichtlich.

Welty: Sie kennen Bundesversammlungen aus eigener Erfahrung, waren selbst '99 Kandidatin für das Amt des Staatsoberhauptes in der Bundesrepublik – wie muss ich mir vorstellen, dass da Druck ausgeübt wird zwischen den einzelnen Wahlgängen - weil es muss ja wohl in dieser entscheidenden Unionsfraktionssitzung vor dem dritten Wahlgang durchaus deutliche Worte der Kanzlerin gegeben haben?

Schipanski: Also ich war gestern nicht dabei, ich habe auch mit Absicht niemanden angerufen. Wenn Sie nach meinen Erfahrungen bei den letzten Bundesversammlungen fragen, ich war Wahlfrau in beiden Bundesversammlungen für Horst Köhler, und da gab es solche Diskussionen nicht. Ich erinnere daran, dass er im ersten Wahlgang gewählt worden ist. Bei meiner eigenen Wahl war ich ja nicht Wahlfrau für mich, das geht nicht, und das heißt, da habe ich auch an diesen Sitzungen nicht teilgenommen.

Welty: Wenn wir uns jetzt mal konzentrieren auf die Stimmung in Ihrer Partei, in der CDU, können Sie erklären, warum Angela Merkel zunächst solche Schwierigkeiten hatte, ihren Kandidaten an den Wahlmann und an die Wahlfrau zu bringen?

Schipanski: Es war eine relativ kurzfristige Entscheidung. Ich erinnere daran, es ist innerhalb einer Woche die Entscheidung gefallen. Dann gab es drei Wochen Vorstellungsrunden von Christian Wulff. Ich glaube, insgesamt war diese Aktion sehr kurzfristig, und das Gesetz gibt es vor, dass es innerhalb dieser kurzen Zeit das Problem gelöst werden muss. Und es war ja ein Problem, dass der Bundespräsident zurückgetreten ist – auch ein einmaliger Vorgang, den es bis jetzt noch nicht gegeben hat. Und daraus erkläre ich mir schon eine gewisse Nervosität.

Welty: Aber hat sich diese Nervosität nicht auch entladen aufgrund einer bestimmten Konstellation, aufgrund einer bestimmten Grundstimmung gegen die CDU-Vorsitzende und gegen die Kanzlerin?

Schipanski: Also ich spekuliere nicht, ich habe niemanden gefragt, ich weiß auch nicht, wer dagegen gestimmt hat …

Welty: Aber Sie kennen doch Ihre Partei.

Schipanski: Ja, na, ich sage es Ihnen ja. Die Art von Frau Merkel, die ja sehr klug ist und die mit sehr viel Ruhe regiert, wird offensichtlich nicht von allen gebilligt. Deshalb meine ich, das war der Unmut über ihren Kandidaten. Es wird viele Diskussionen geben für die Zukunft, dass sich diese Koalition auf die Hauptprobleme konzentriert und nicht bei jeder kleinen Differenz einen Nebenkriegsschauplatz daraus macht. Es geht in Deutschland darum, die großen anstehenden Probleme zu lösen, und dazu wird es eines ruhigen und auch eines richtungweisenden Führungsstils bedürfen.

Welty: Könnte es sein, dass nicht nur die Wähler politikverdrossen sind, sondern inzwischen auch schon sogar die Politiker?

Schipanski: Politikverdrossenheit, die ich in unserem Land jetzt wahrnehme, bedaure ich sehr, und ich glaube ja auch und habe es auch immer wieder betont, dass der Rücktritt von Horst Köhler mit diesem Verhalten der Politiker zusammenhängt. Es geht einfach darum, dass die Politiker mit mehr Verantwortung dieses Land führen müssen und das auch in der Kommunikation und Diskussion zum Ausdruck kommt.

Ich weiß, dass hier hart um bestimmte Dinge gerungen wird, aber viele Dinge kommen eben bei der Bevölkerung nicht richtig an, und auch viele politischen Spielregeln sind so, dass sie nicht mehr für die Bevölkerung transparent sind. Und das bedeutet für mich, dass wir ernsthaft darüber nachdenken müssen, wie wir diese Spielregeln verändern oder wie wir anders mit ihnen umgehen. Also parteitaktische Spielchen zur Wahl des Bundespräsidenten finde ich persönlich nicht angebracht.

Welty: Die CDU-Politikerin Dagmar Schipanski am Tag eins nach der Bundespräsidentenwahl. Ich danke für Ihre Einschätzung!

Schipanski: Bitteschön!