Scheu vor Verantwortung

Warum wir nicht erwachsen werden wollen

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Erwachsen werden? Machen wir später! Der Berliner Hipster-Cup der Schnauzbartträger © Deutschlandradio Kultur - Andre Zantow
Von Volkart Wildermuth · 16.07.2015
Jung sein ist in. Alt sein weniger. "Es ist so bequem, unmündig zu sein", schrieb schon Kant. Für junge Menschen scheint das Erwachsene wenig verlockend zu sein und sie fragen sich: Warum erwachsen werden?
Emil: "Große können einfach Sachen nehmen und müssen nicht fragen zum Beispiel. Fernsehen gucken und haben Handys das ist fies!"
Emma: "Es ist besser, wenn man ein Kind ist, weil dann muss man nicht arbeiten, man kriegt Essen von den Eltern und man hat nicht so viele Probleme."
Jannis: "Ich würde eigentlich gerne relativ jung bleiben. Attraktiv an der Altersgrenze 18 ist, dass man danach nicht mehr von relativ vielen Konventionen gebunden wird. Der Vorteil der Arbeit ist, dass man autonom wird, wenn man selbst Geld verdient. Der Nachteil ist natürlich, dass man arbeiten muss."
Arbeit und Pflichten wirken nicht verlockend
Kinder und Jugendliche haben unterschiedliche Perspektiven auf die Erwachsenen, aber eines ist klar, Arbeit und Pflichten wirken nicht unbedingt verlockend.
"Es ist kein Wunder, weil die Welt der Erwachsenen ist tatsächlich als grau, abenteuerlos, lustlos und ohne Möglichkeiten dargestellt. Und die Frage ist warum?",
sagt Susan Neiman, Direktorin des Einsteinforums in Potsdam. Als Philosophin sucht sie die Antwort bei Immanuel Kant. In seiner Schrift „Was ist Aufklärung?" schreibt er:
Der Mensch muss sich also anstrengen, um aufgeklärt und erwachsen zu sein. Das ist aber noch nicht alles.
"Zwei Sätze danach sagt er: 'Die Regierungen wollen keine Erwachsenen und sie tun alles, was sie können, um uns vom Erwachsenwerden abzuhalten.' Und ich glaube, dass diese schlechte Darstellung des Erwachsenwerdens ist tatsächlich Teil einer 21. Jahrhunderte Versuch, das Erwachsenenleben so unangenehm darzustellen, dass man lieber diese Phantasie von ewiger Jugend behält."
Es gibt ja tatsächlich die jungen Erwachsenen, die endlos studieren, sich nicht festlegen und keine Verantwortung übernehmen wollen. Und die gerade deshalb manipulierbar sind. Aber sie sind die Ausnahme. Stephen Holmes ein Jurist an der New York Universität, beobachtet unter seinen Studenten sogar, dass sie immer schneller erwachsen werden wollen:
"Junge Leute stehen heute unter einem enorm großen Druck, schaut man in die USA und den Arbeitsmarkt dort, dann wird klar: Die jungen Leute sorgen sich, ob sie einen Job bekommen, ob sie Karriere machen können und gleichzeitig wollen vor allem sehr schnell, sehr viel Geld verdienen."
Stephen Holmes selbst hat als Student gegen das Establishment protestiert, seine eigenen Kinder versuchen dagegen vor allem möglichst schnell dazuzugehören.
Elsa: "Unbedingt möchte ich jetzt auch nicht erwachsen werden, aber ich glaub eher, dass ich eher meinen freien Job sozusagen machen kann."
Freund: "Wenn junge Leute sich vorstellen, wie das ist mittelalt oder gar alt zu sein, dann sehen sie eher einen bestimmten Zustand, den man nicht haben will. Man sieht den Menschen, der in seine Verantwortung eingebunden ist, der keinen Freiraum mehr hat, sich eine neue Karriere zu suchen, sich eine neue Familie zu gründen, sondern für den das alles schon gesettelt ist und der in einem bestimmten Zustand ist und der bedeutet für junge Leute häufig Stillstand."
Diese Vorstellung entspricht aber keineswegs dem Bild, das Menschen im mittleren Lebensalter von sich selbst haben, wie die Psychologin Alexandra Freund von der Universität Zürich herausgefunden hat.
Freund: "Das Schöne am mittleren Erwachsenenalter ist, es ist man hat häufig einen guten Status erreich in seinem Leben, man ist häufig da, wo man hinkommen kann. Das heißt, es ist so ein bisschen ein Durchatmen, während man noch mitten im Leben steht."
Die Mittelalten haben allerdings Angst, alt zu werden, denn das Alter gilt als Zeit der Krankheit und des Niedergangs.
Freund: "Wenn man aber ältere Personen nach ihrer Lebenszufriedenheit fragt nach ihrem emotionalen Wohlbefinden, dann sieht man, dass es ihnen in der Tat besser geht, als jungen Erwachsenen."
Falsche Vorstellung von den späteren Lebensphasen
Zumindest im Durchschnitt. Die falsche Vorstellung von den späteren Lebensphasen, die ja unerbittlich auf jeden zukommen, diese Wahrnehmungsverzerrungen sind in den Augen von Alexandra Freund ein Problem.
Freund: "Personen mit einem negativen Altersbild sterben früher. Und ich denke, das ist schon eine sehr harte Konsequenz dessen, dass wir so ein negatives Bild des Alterns haben und es wäre sehr wichtig, dass wir daran etwas ändern."
Vielleicht vermittelt ja die Werbung ein positiveres Bild des Alters, wenn erst die kaufkräftigen Babyboomer mehr an Rollatoren als an schnellen Autos interessiert sind. Und was das Erwachsen werden betrifft, das wird für Jugendliche wohl immer gleichzeitig verlockend und problematisch bleiben.
Jannis: "Wenn man erwachsen ist, hat man auf jeden Fall irgendeine Art Vorteil gegenüber einem Kind oder einem Jugendlichen. Zum Beispiel wäre die Erfahrung. Das Problem, dass damit kommt, wenn man Dinge gut analysieren kann und sozusagen selbst relativ objektiv über Dinge nachdenken und eben auch mehr weiß, wie die Welt funktioniert, ist das man die Wunder aus vielen Sachen in vielen Sachen nicht mehrerkennen kann."
Erwachsenwerden ist unvermeidlich, deshalb sollte man es im Sinne Kants angehen, meint die Philosophin Susann Neiman:
"Das richtige subversive wäre meiner Meinung nach, sich zu entscheiden, richtig erwachsen zu werden. Das heißt, selbst bestimmt, freier, kompetenter und auch mit erheblich mehr Möglichkeiten, als man meist Erwachsenen zuschreibt. Auch mehr Mühe. Ich habe nicht versprochen, dass man dabei glücklicher, aber freier und ehrlicher."
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