Scheer: Rettungspaket ist "vollständig unzulänglich"

Hermann Scheer im Gespräch mit Nana Brink · 21.05.2010
Vor der Abstimmung in Bundestag und Bundesrat über den deutschen Anteil am 750-Milliarden-Rettungspaket für den Euro hat der SPD-Bundesabgeordnete Hermann Scheer die geplante Stimmenthaltung seiner Fraktion verteidigt.
Nana Brink: Derzeit gerade in Regierungskreisen, aber nicht nur da, sehr populär ist das Tina-Prinzip. Kennen Sie nicht? – Übersetzt heißt das "there ist no alternative", also es gibt keine Alternative. Damit begründet zum Beispiel Bundeskanzlerin Merkel die Zustimmung zum Rettungspaket für den Euro. Das Rettungspaket, das die EU für stolpernde Mitglieder aufspannen will, soll 750 Milliarden Euro Kreditbürgschaften betragen und allein Deutschland soll davon 148 Milliarden tragen. Darüber stimmt heute der Bundestag ab, obwohl die Parlamentarier gerade mal ein paar Tage Zeit hatten, um über dieses Paket nachzudenken.

Wird die Geschwindigkeit, mit der solche fundamentalen Entscheidungen getroffen werden, zu einem Demokratieproblem? – Genau darüber möchte ich jetzt sprechen mit Hermann Scheer, Bundestagsabgeordneter der SPD. Einen schönen guten Morgen, Herr Scheer!

Hermann Scheer: Schönen guten Morgen!

Brink: Erst einmal: Werden Sie dem Rettungspaket der Regierung zustimmen?

Scheer: Nein, das werde ich nicht.

Brink: Sie lehnen es ab, oder enthalten sich?

Scheer: Ich werde mich enthalten, wie sich die SPD-Bundestagsfraktion auch insgesamt enthalten will, aber ich komme auch aus einer ganz individuellen Entscheidung dazu, weil es ist zwar jetzt etwas dringend nötig geworden, das Euro-Rettungspaket, 750 Milliarden, wie auch das Griechenland-Rettungspaket nötig geworden war, aber man muss eine politische Entscheidung auch danach bewerten, wem man damit ein Vertrauen gibt. In diesem Fall verlangt die Bundesregierung ein Vertrauen für eine Maßnahme, die vollständig unzulänglich ist, weil sie nicht eingebettet ist in weitere Maßnahmen, die jetzt nichts kosten würden, die aber eine neue Blase, eine neue Katastrophe, auf die dann ganz eilig reagiert werden muss, verhindern könnte.

Brink: Hatten Sie denn als Parlamentarier überhaupt Zeit, sich darauf vorzubereiten?

Scheer: Nein, die Zeit gab es natürlich nicht, schon gar nicht bei einem derartigen Gesetz. Wir haben es ja aus gutem Grund mit einem parlamentarischen Willensbildungsverfahren zu tun, das sogar verfassungsmäßig verankert ist, wo Beratungsfristen eingebaut sind, die erste Lesung, zweite Lesung, dritte Lesung, zwischendurch Ausschussberatungen. Das hat doch nicht seinen Sinn darin, dass man jetzt einfach nur formal etwas hinausschiebt, sondern damit Beratungs-, Abwägungszeit bleibt, damit man sich im Klaren ist, was wird dort gemacht und wie sehen unter Umständen weitere Maßnahmen oder Ergänzungen oder Modifikationen eines Gesetzes aus. Das ist in keinem Fall gegeben.

Es ist im Grunde genommen fast eher eine Entscheidung, wie übrigens es nicht die erste ist – bei Griechenland war es ähnlich; es gab auch frühere Entscheidungen auch bei früheren Regierungen in noch nicht allzu langer Zeit, die ganz ähnlich waren -, die im Grunde genommen eher an eine Notstandsverfassung erinnern, wo ein Parlament normal gar nicht zusammentreten kann und dann ein Notparlament entscheidet, aber das ist für Notstandssituationen gedacht. Wir sind im Grunde genommen natürlich in der äußeren Sicherheit und so weiter nicht in einer Notstandssituation, aber wir sind in einer Notstandssituation anderer Art und das Problem ist, dass das eigentliche Problem in diesem ganzen Zusammenhang, dass über Jahre hinweg – und das muss uns eine große Lehre sein; das gilt nicht nur für die heutigen Regierungsparteien – Signale dort offenkundig waren, dass sich hier Unglaubliches zusammenbraut, unverantwortlich zusammenbraut, dass hier massenhafte Spekulation gegen ganze Staaten, gegen ganze Währungen betrieben wird. Woran liegt das jetzt - das ist das eigentliche Problem -, bis es so aufgelaufen ist, dass man jetzt bei der Situation gelandet ist.

Brink: Herr Scheer, das klingt aber sehr, als ob Sie sagen, das ist ein Ausverkauf von Politik. Wir haben als Parlamentarier keine Handlungsmöglichkeiten?

Scheer: Es geht nicht nur um meine Parlamentarierrolle. Es geht hier ja um die Frage, wie heute Politik, sogenannte moderne Politik gemacht wird. Es ist offensichtlich so, dass man sich über Jahre hinweg selbst Sand in die Augen gestreut hat, unkritisch gewesen ist. Das gilt übrigens auch für vorherige Regierungen, auch vorherige Finanzminister.

Brink: Das heißt, haben Sie es vorhergesehen? Hat es die Regierung auch unter Beteiligung der SPD auch nie vorhergesehen?

Scheer: Ich kann mich gut erinnern, dass vor 12 Jahren die Organisation Attac gegründet worden ist, die kampagnenmäßig Finanztransaktionssteuern gefordert hat. Ich habe zu denen gehört, die immer wieder darauf hingewiesen haben, hier muss etwas geschehen, immer wieder, und es ist hingestellt worden als wirtschaftsfeindlich, als wirtschaftsinkompetent und so weiter. Wenn Sie zufällig den Film "Let’s make Money" gesehen haben, der vor zwei Jahren angelaufen ist und der schon vorher gedreht worden ist, der genau dies alles zeigt, auch zeigt, warum das so nicht geht - in dem Film trete ich mit auf als Kritiker dieses ganzen Systems -, dann kann es doch nicht sein, dass Leute, die in verantwortlicher Stellung über Jahre hinweg waren, auch unter den Medien, die in verantwortlicher schreibender Stellung waren, überrascht sind über das, was da kommt. Es gab doch X Vorwarnungen. Das ist das eigentliche Problem in diesem Zusammenhang. Es ist im Grunde genommen eine Besinnungsstunde, um das mal jetzt höflich auszudrücken, darüber, wie man Politik nicht machen darf, über viele Jahre hinweg solche Probleme schleifen zu lassen.

Brink: Vielen herzlichen Dank. – Hermann Scheer, Bundestagsabgeordneter der SPD, und wir sprachen über das Rettungspaket für den Euro und die Demokratiedefizite. Das Gesetz wird heute im Bundestag verabschiedet.