Schauspielhaus Bochum

Gaming-App "Rempire" lässt das Publikum träumen

Ausschnitt eines Screenshots der Game-App "Rempire", die Stefan Scheer für das Schauspielhaus Bochum entwickelt hat.
Ausschnitt eines Screenshots der Game-App "Rempire": Das Spiel ist inspiriert durch eine wissenschaftliche Arbeit über das Träumen. © © Schauspielhaus Bochum / Stefan Scheer
Von Tobias Nowak · 28.04.2018
Mit einem Smartphone-Spiel auf die digitale Bühne: Das Schauspielhaus Bochum hat den Designer Stefan Scheer die App "Rempire" entwickeln lassen. Beim Spielen soll man auf einer assoziativen und surrealen Reise Träume nacherleben können.
"Du begibst Dich umgehend zum staatlichen Institut für mehrschichtige Speisen. Der Leiter des Instituts hält auch Durchwackfleisch für eine geeignete Zutat." (aus dem Spiel-Skript)

Das Phänomen ständig wiederkehrender Träume

"Das Spiel ist inspiriert durch eine wissenschaftliche Arbeit, die im Jahr 2003 veröffentlicht wurde, die sich mit dem Thema wiederkehrender Träume befasst.
"Und es gibt einen seit Jahren und Jahrzehnten, immer wieder aktualisierten Katalog wiederkehrender Träume, mit dem sich Traumforscher auf der ganzen Welt, das sind eigentlich Psychiater, befassen, den die aktualisieren, wo sie versuchen herauszufinden, wo kommen diese Träume her. Und das interessante an dieser Arbeit ist, dass das Ergebnis dieser Arbeit ist, dass wir alle unabhängig von unseren kulturellen Hintergründen, unabhängig vom Geschlecht, die gleichen wiederkehrenden Träume haben."
Der Autor und Designer Stefan Scheer
Stefan Scheer hat "Rempire" enwickelt.© privat

Wie eine endlose Pinnwand gestaltet

In "Rempire" kann man die häufigsten dieser Traummuster "nacherleben", so gut das bei vollem Bewusstsein und mit einer digitalen Anwendung halt möglich ist. Die Reise, auf die das Spiel uns schickt, ist jedenfalls sehr assoziativ und surreal. Optisch präsentiert sich "Rempire" als endlose Pinwand, von der Spielende immer nur einen kleinen Ausschnitt sehen, während sie versuchen, den sprichwörtlichen roten Faden mit Fotos, Wörtern, Sternenkarten, Kochrezepten oder anderen Traumobjekten zu verbinden.
Cut-up und Collage sind offensichtlich. Dabei gilt es, das Vermächtnis einer verstorbenen Traumforscherin zu ergründen, hinter dem sich ein Tor zu einer anderen Welt zu verstecken scheint. Die Geschichte wird erzählt in traumhaften Textsequenzen:
"Auf einmal hast du das Gefühl, Gott zu begegnen. Du erhältst den Teil eines geheimen Schlüssels." (aus dem Spiel-Skript)

Angelehnt an Techniken der Surrealisten

Stefan Scheer: "Also es ist tatsächlich so, dass an einigen Stellen so ein bisschen automatisch, also 'écriture automatique' fast angewendet wurde, weil wir Texte genommen haben und die mit Markov Generatoren bearbeitet haben. Das ist so eine Methode des 'predictive writings', das zum Beispiel bei T9, wie man es aus dem Handy kennt, zur Anwendung kommt: Wo ein Algorithmus vorhersagt, was das nächstes Wort sein müsste. Und den kann man speisen mit Texten und der wirft dann seltsame, völlig sinnlose Texte aus, die man aber wiederum redigieren kann um daraus wieder neue Texte zu erschaffen. Also das sind schon eigentlich Techniken der Surrealisten, aber angewendet mit Algorithmen der Neuzeit."
Spieldesigner Scheer erwähnt Borges als literarischen Einfluss und ordnet das Ergebnis ihres Experiments in der Nähe des magischen Realismus ein.
"Wiederkehrende Träume repräsentieren den Algorithmus unserer Abenteuerreisen. Zu deinem Entsetzen hat sich ganz in der Nähe ein tragischer Flugzeugabsturz ereignet." (aus dem Spiel-Skript)

Eher keine Herausforderung für echte Gamer

Das "gameplay" selbst, also das, was Spielende tun müssen, bewegt sich zwischen leichtem Geschicklichkeitsspiel, Puzzle und Memory. Dabei ist der Schwierigkeitsgrad so überschaubar, das alle, die mit einem Touchscreen umgehen können, das Finale der Geschichte erleben sollten. Für echte Gamer dürfte das etwas schlicht sein, und kleine Designfehler dürften sie ärgern. Aber ist "Rempire" überhaupt für Gamer gedacht?
Stefan Scheer: "Also ich glaube, wer sich für digitale Medien erwärmen kann und an Kultur interessiert ist und an kreativen Prozessen, der kann sich auch für diese App interessieren. Und wir gehen einfach davon aus, dass beim Publikum des Schauspielhauses Bochum oder aller anderen Theater in Deutschland, genug Leute sind die sich für sowas interessieren und unabhängig davon natürlich alle Gamer, die interessiert an verrückten, seltsamen, surrealen Adventures sind."

Eine Brücke zwischen zwei Welten

"Rempire" soll demnach eine Brücke schlagen zwischen zwei Welten, die zwar seit Jahren diskursiv zusammengesperrt werden, die in der Realität aber wenig miteinander zu tun haben: Obwohl Games seit Jahren aus allen Richtungen als "Kulturgut" besungen werden, wird das der Realität nicht gerecht. Während nämlich traditionelle Kulturinstitutionen eine zutiefst kulturelle Denke zeigen, ist die Computerspielbranche, egal ob Riesenkonzern oder Indie-Truppe, meist an Produktionen interessiert, die Spaß machen.
Grundlage für diesen Spaß ist, unsere neuronalen und psychologischen Mechanismen so perfekt zu manipulieren, dass unser Belohnungszentrum fast durchgehend Dopamin ausschüttet. Das unterscheidet sich prinzipiell von Theateraufführungen, die, auch wenn sie keinen Spaß machen, große Kunst sein können. Und Kunst ist auch "Rempire": Es reiht sich ein in die durchaus vorhandene, aber in der Breite kaum wahrgenommene Tradition von Spielen, in denen Kreativität und künstlerische Visionen im Vordergrund stehen.
"Du erinnerst Dich an diesen Ort und weißt: Es ist nun Zeit zu erwachen." (aus dem Spiel-Skript)

Rempire
Spiel-App, die für das Schauspielhaus Bochum entwickelt wurde. Die Spielzeit beträgt – je nach persönlichem Rythmus − etwa eine Stunde. Für 2,29 Euro ist sie in den AppStores für iOS und Android als Download zu kaufen.

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