Schauspieler Rolf Lassgard

"Es gibt so viele Arten der Ausgrenzung"

Der schwedische Schauspieler Rolf Lassgard als Gustav Arctander bei den Dreharbeiten zum Kinofilm "Das Löwenmädchen".
Der schwedische Schauspieler Rolf Lassgard als Gustav Arctander bei den Dreharbeiten zum Kinofilm "Das Löwenmädchen". © Henning Kaiser/dpa
Moderation: Susanne Burg · 16.09.2017
In dem norwegischen Erfolgsfilm "Das Löwenmädchen" geht es um ein Mädchen, das durch einen Gen-Defekt am ganzen Körper behaart ist. Ihr von Rolf Lassgard gespielter Vater versteckt das Kind. In der heutigen Zeit müsse für das Recht auf Anderssein gekämpft werden, sagt Lassgard.
Susanne Burg: Herr Lassgard, wie vertraut waren Sie vor Drehbeginn mit dem Phänomen Hypertrinosis lanuginosa?
Rolf Lassgard: Ich muss Ihnen sagen: nicht so sehr. Ich habe nur davon gehört. Es gab diese durch Europa tingelnden Freakshows – menschliche Kuriositätenkabinette – mit Frauen, die Bärte hatten und so. Mir war zuvor gar nicht bewusst, dass der Körper eines jeden Ungeborenen ganz und gar von einem Haarflaum überzogen ist, und dass dieser Flaum vor der Geburt ausfällt.
Burg: Also haben Sie eine Menge gelernt. Wie sind Sie vorgegangen?
Lassgard: Als ich das Skript las, habe ich vor allem auf die Story geachtet. Sie handelt von Verwandlung und von Ausgrenzung. Man kann sie sicher aus verschiedenen Winkeln betrachten. Die Geschichte des Löwenmädchens ist schon sehr stark. Ich glaube, es gibt weltweit nur etwa 50 bekannte Fälle mit einem vergleichbaren Schicksal. Ja, ich habe eine Menge gelernt beim Lesen des Drehbuchs.

Burg: Der Film basiert auf einer Romanvorlage des norwegischen Schriftstellers Erik Fosnes Hansen. Die Person, die Sie im Film verkörpern, wird von Fosnes Hansen sehr detailliert beschrieben – als ein Mann, der pünktliche Züge liebt und geschlossene Türen. Wie wichtig war der Roman für Sie als Vorbereitung auf die Rolle?
Lassgard: Der Roman war sehr wichtig, denn ich hatte zuerst das Drehbuch gelesen. Es macht einen Unterschied, einen Film zu drehen, der auf einem Romanstoff basiert. Man kann den Film nur als Film sehen und den Roman außen vor lassen. Ich habe schon in einer Reihe von Filmen mitgespielt, die auf Romane zurückgreifen, zum Beispiel auf die Mankell-Krimis. Im Schwedischen gibt es den Ausdruck "mehr Fleisch auf den Knochen". Das meint, wenn man als Schauspieler imstande ist, sich in die Charaktere einzufühlen. Man hat die Figur die ganze Zeit im Hinterkopf. Vibeke Idsøe, die Regisseurin, hat mich schon vor den Dreharbeiten auf eine Romanpassage aufmerksam gemacht, die im Film nicht vorkommt: Es ist Abend und Gustav Arctander, der Vater des "Löwenmädchens", denkt an seine tote Frau. Er denkt über das Trauern nach und dass er versuchen will, eine Ebene zu erreichen, in der die Trauer sich verflüchtigt. Dann wäre da nur noch Leere. Er wollte die Trauer völlig in sich einkapseln. Für mich war die Lektüre dieser Szene ein wichtiges Element für das Verständnis der Figur.
Burg: Der Film beginnt im Jahr 1912 - mit dem Tod von Gustav Arctanders Frau und der Geburt ihrer Tochter. Ihr kleiner Körper ist überall mit Haaren bedeckt, und er ist völlig entsetzt bei ihrem Anblick. Seine Reaktion ist schon extrem. Wie haben Sie sich mit dieser Verhaltensweise vertraut gemacht?
Lassgard: Ich denke, er steht total unter Schock. Er hat seine Frau sehr geliebt und weiß nicht, wie er mit dem Verlust klar kommen soll. Und dann ist er auf einmal Vater. Er ist völlig unerfahren. Er versucht, seine Tochter zu schützen, indem er sie von anderen Leuten, von der Gesellschaft fern hält. Natürlich ist das nicht lebbar, aber er weiß sich nicht anders zu helfen.
Burg: Glauben Sie, dass das seine Motivation ist? Er versteckt sie zuhause und ich frage mich, tut er das, um sie vor Gemeinheiten zu schützen oder weil er selbst Angst hat, zum Gespött des Dorfes zu werden?
Lassgard: Ich denke schon, dass er die treibende Kraft ist. Dann sucht er nach Gründen, sein Kind zu beschützen. Im Kontakt mit anderen siehst du, wie sie sich dir gegenüber benehmen. In gewisser Weise war es für ihn einfach, das Problem zu lösen.

Kämpfen für das Recht auf Anderssein

Burg: Die Geschichte spielt wie gesagt vor 100 Jahren in einem kleinen norwegischen Dorf. Sie sagten, dass der Plot für Sie Parabelcharakter hat. Es geht um Ausgrenzung. Ich frage mich, ob die Parabel auf unsere Zeit übertragbar ist.
Lassgard: Sicher, wir reden sehr viel mehr darüber. Wir leben in einer Zeit, in der für das Recht auf Anderssein gekämpft wird. Ich meine, man muss ja nicht wie die am ganzen Körper behaarte Eva aussehen, um als "anders" wahrgenommen zu werden. Es gibt so viele Arten der Ausgrenzung. Der Weg, den sie beschreitet, ist sehr stark. Und die Zuschauer können Evas Erfahrung hoffentlich auf das Heute beziehen.
Burg: Der Film ist eine norwegische Produktion. Ich habe ihn in der deutschen Fassung gesehen und konnte nicht erkennen, in welcher Sprache er ursprünglich gedreht wurde. Wurde Norwegisch gesprochen?
Lassgard: Gedreht haben wir in Norwegen. In der Originalfassung spreche ich Schwedisch. Es spielen auch ein paar Dänen mit. Der "Doktor" aus Kopenhagen spricht zum Beispiel Dänisch. Ich wurde in einer Grenzregion zu Norwegen geboren und bin dort aufgewachsen, ich verstehe Norwegisch. Ich glaube, das trifft auch für die Leute in Südschweden zu. Das passt schon.

Gemeinsame Filme mit Hannelore Hoger

Burg: Der Sprachmix ist Ihnen also vertraut. Sie sind in Deutschland ja auch bekannt durch Bella-Block-Filme. Die wurden auf Schwedisch und Deutsch gedreht. Was macht das mit Ihnen als Schauspieler, wenn Sie eine Sprache hören, die Sie nicht verstehen? Was bedeutet es für das Zusammenspiel?
Lassgard: Mit Hannelore Hoger zu spielen, das ist schon etwas Besonderes. Wir haben in drei Filmen zusammen gearbeitet. Anfangs habe ich Englisch gesprochen und sie Deutsch. Sie verstand mich natürlich ganz gut, aber ich hatte keinen Schimmer von dem, was sie redete. Im zweiten Film sprach ich Schwedisch, das war dann für sie ziemlich hart. Aber wir hatten einen guten Draht. In gewisser Weise steigert das Nichtverstehen einer Sprache die Intensität des Zuhörens.
Burg: Sie sind jetzt in Deutschland, und da komme ich wirklich nicht umhin, noch einmal an Rollen zu erinnern, mit denen Sie hier in den 90 Jahren bekannt wurden – als Kommissar Wallander, als Polizist in der Beck-Serie und in dem norwegischen Kinofilm "The Hunters". Immer wieder Polizisten zu spielen, war das eine befriedigende Erfahrung oder haben Sie irgendwann befürchtet, dass man Sie nur noch auf diese Rolle festlegt?
Lassgard: Ja, es war seltsam, denn ich musste daran denken, dass ich mit den "Beck"-Filmen angefangen hatte, dann ging es mit "Wallander" weiter. Ich verstand, dass Gundar Lasrsson meinte, beide Figuren könnten sich nicht in einem Raum aufhalten. Es sind völlig gegensätzliche Charaktere und es war eine Herausforderung, sie auseinander zu halten. Polizisten zu spielen, war für mich kein Problem, aber es gab bei mir eine Sehnsucht danach, in einer anderen Art Kino mitzuwirken. Keine Thriller, vielleicht mal in einem Liebesfilm. Als das passierte, war ich glücklich. Einen Polizisten zu verkörpern, das macht noch keinen Charakter aus. Es ist eine Aufgabe. Aber die Persönlichkeit hinter dem Beruf ist etwas anderes. Wallander zum Beispiel trägt die ganze Last der Welt auf seinen Schultern und Gundar Larsson besitzt die Welt. Verschiedener können Charaktere nicht sein.
Burg: Zuletzt haben Sie viel Erfolg gehabt mit der Hauptrolle in dem Oscar-nominierten Film "Ein Mann namens Ove". Wie war das, plötzlich in Hollywood präsent zu sein?
Lassgard: Es war großartig. Die Figur des Gustav Arctander zu spielen ist einfach sehr gut. Ich meine, es ist schon eine Traumrolle. In ihr bündelt sich viel, und das Buch ist hervorragend geschrieben. Du kannst es hier öffnen oder da und da. Für einen Schauspieler ist es wirklich ein Traum.
"Seinen Beruf lernt man am Theater"
Burg: Bekommen Sie seitdem mehr Rollenangebote?
Lassgard: Nein, so viele Angebote erhalte ich auch nicht. Ich habe in einem amerikanischen Film von Alexander Payne mitgespielt, "Downsizing". Der kommt hier im Winter in die Kinos.
Burg: Einige Ihrer schwedischen Kollegen sind sehr erfolgreich in Hollywood. Ich denke da an Stellan Skarsgard und seinen Sohn Alexander. Sie passen sich unheimlich gut ein in Hollywood. Ich sage das, weil die deutschen Schauspieler in gewisser Weise immer als Deutsche kenntlich bleiben. Wie kann man den Erfolg schwedischer Schauspieler in Hollywood erklären?
Lassgard: Ich denke, es gibt in Deutschland die gleiche Tradition für Schauspieler wie bei uns in Schweden. Seinen Beruf lernt man am Theater. Dort lernt man sein Werkzeug. Stellan Skarsgard zum Beispiel war eine ganze Weile am Theater. Er hat fantastische Arbeiten realisiert. Ich denke, dass Stieg Larsson – der Lisbeth Salander und all die Geschichten erfunden hat – eine Tür geöffnet hat. Man hat durch ihn einen anderen Blick auf die skandinavischen Länder gewonnen.
Burg: Sie sind jetzt erst einmal in der Verfilmung "Das Löwenmädchen" zu sehen. Rolf Lassgard, vielen Dank.
Lassgard: Vielen Dank!
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