Schau "The Botticelli Renaissance" in Berlin

Ausverkauf der Renaissance-Schönheit

Die Werke Venus von Yin Xin (l.) und von Andy Warhol in der Ausstellung "The Botticelli Renaissance" in der Gemäldegalerie in Berlin. Die Ausstellung kann vom 24. September 2015 bis zum 24. Januar 2016 besichtigt werden.
Die Werke Venus von Yin Xin (l.) und von Andy Warhol in der Ausstellung "The Botticelli Renaissance" in der Gemäldegalerie in Berlin. Die Ausstellung kann vom 24. September 2015 bis zum 24. Januar 2016 besichtigt werden. © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Von Anette Schneider · 23.09.2015
Botticellis "Venus" gilt seit Jahrhunderten als Inbegriff der Schönheit. Doch was man mit ihr - und dem Namen Botticelli - noch so alles machen kann, zeigt eine Ausstellung in der Berliner Gemäldegalerie, die sich mit der Rezeptionsgeschichte der Frauenfigur befasst.
Eine Felge. Vor dem Eingang zur Ausstellung liegt wirklich - eine Felge.
Botticelli III. Dreiteilige Leichtmetall-Vielspeichenfelge für Kraftfahrzeuge. Durchmesser 55 Zentimeter.
Was hat eine italienische Autofelge mit Botticelli zu tun? Kurator Stefan Weppelmann erklärt das so:
"Je populärer, desto fremder kann man auch zum eigentlichen historischen Faktum werden. Und in der Gegenwart heißen Autoreifen, Staubsauger, Spielzeuge 'Botticelli'. Das steht für Italien, für Sportlichkeit, für Eleganz und hat wenig mit der eigentlichen Kunst zu tun."
Längst verwurstet auch die Mode-Industrie Botticelli. Gleich im ersten Saal hängt ein großformatiges Foto, auf dem David LaChapelle eine nackte Blonde in blauglitzernden High Heels als Botticelli-Venus posieren lässt - zwecks Profitsteigerung für Dolce & Gabana.
Oder der Maler Yin Xin verwandelt die abendländische Venus in eine Chinesin, und Andy Warhol präsentierte sie natürlich als grellfarbenen Siebdruck.
Über den Maler Botticelli gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse
Keine andere Renaissance-Schönheit brachte es zu solch einer massenhaften Verbreitung.
"Die Popularität liegt in der eigentlichen Unbekanntheit des Künstlers, und darin, dass er sich dem Zustand, dass wir überhaupt wüssten, worüber wir reden, komplett entzieht. Also: Botticelli hat nur ein Werk signiert, und bei der Signatur ist man sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt von ihm eigenhändig ist. Alles andere sind - zum Teil quellenbasiert, zum Teil dokumentbasiert, zum Teil einfach auch nur durch visuellen Vergleich - ihm zugeschriebene Werke."

Viele Leerstellen im Leben und Werk eines Künstlers bieten also viele Möglichkeiten seiner Vereinnahmung. Die gut 100 Arbeiten aus 160 Jahren zeigen dies. Dabei führt der mäandernde Ausstellungsparcours, der immer wieder Durchblicke auf das Davor und Danach eröffnet, den Besucher vom Heute in die Vergangenheit.
Kurator Ruben Rebmann: "Das ist relativ schwierig für den Besucher, weil er natürlich mit den Folgen zuerst konfrontiert wird, bevor er die eigentlichen Ursachen sieht. Aber genau darum geht es ja auch in der Aussage: Dass es eigentlich dem heutigen Betrachter nicht möglich ist, einen direkten, objektiven Zugang zu den Werken Botticellis zu haben, sondern dass er die Folgen, sprich: die späteren Interpretationen - auch ständig im Hinterkopf hat."
In den 1970er Jahren etwa zogen feministische Künstlerinnen her über das tradierte Schönheits- und Frauenbild der Renaissance.
Die Künstler der Arts and Craft-Bewegung um 1900 feierten dagegen die Eleganz von Botticellis Figuren: Vor dem als "seelenlos" empfundenen Kapitalismus flüchteten sie in eine Welt, in der Kunst und Leben eins sein sollten, und füllten große Wandteppiche und Gemälde mit den tanzenden Figuren aus Botticellis "Frühling".
Die Präraffaeliten malten vor sich hin träumende Frauen à la Botticelli
Ähnlich die Prärafaeliten, die um 1850 Florenz entdeckten, und dabei auch auf den seit seinem Tod vergessenen Botticelli stießen. Vor allem in den Gemälden von Dante Gabriel Rosetti und Edward Burnes-Jones spiegelt sich deren weltfremde und rückwärtsgewandte Sehnsucht nach einer verklärten Renaissance. Immer wieder malen sie vor sich hinträumende Frauen in großartigen Brokatgewändern a la Botticelli.
Schicht um Schicht legt die Ausstellung die unterschiedlichen Zugriffe auf Botticelli frei. Bis man plötzlich vor einem etwa 20 Meter langen monolithischen Block aus schwarzem Schiefer steht, vollgehängt mit Bildern. Renaissance-Bildern. Botticellis gar?
Weppelmann: "Nichts von dem, was auf dieser Schieferwand ist, ist gesichert für Botticelli. Und so hängen wir eben Objekte an diese Schieferwand, die wir auch nicht als Botticelli ausweisen. Also es gibt hier keinen Namen mehr. Sondern dieses 'Objekt', dieser Block, das ist das, was diese Bildgeschichte auslöst. Dieses ganze Ausstellungsgefüge ist Botticelli. Botticelli ist eine Art Idiom, eine Art Marke. Und die hat nichts mit der historischen Realität gemein."
So befinden sich unter den Bildern auch Arbeiten aus Botticellis Werkstatt, und sogar jüngere Fälschungen, die lange Zeit als echte Botticellis in Museen hingen und Millionen Besucher anlockten.
Mit diesem fulminanten Finale blicken die Ausstellungsmacher selbstkritisch auf die Rolle des Museums, das schon im 19. Jahrhundert gern "große Namen" zelebrierte, und also zum Botticelli-Boom beitrug. Obwohl die Quellenlage und die historische Epoche, in der die Werke entstanden, dies vielleicht gar nicht zuließen.
Entsprechend provozierend endet die Ausstellung: An der schwarzen Wand hängt nämlich auch das berühmte "Bildnis eines Jünglings", dieser typische Botticelli, der um 1470 entstand. Und schon holt Stefan Weppelmann aus zum letzten Rundumschlag:

"Es gibt hier kein Label, das sagt 'Botticelli'. Sondern hier gibt es einfach nur ein 'Bildnis eines Jünglings'. Also möglicherweise ist es Juliano de Medicci. Möglicherweise ist es von Botticelli. Aber es gibt fünf andere Varianten davon. Also: Who the hell knows, ja?"

"Botticelli Renaissance", bis 24. Januar, Di. bis So., in der Berliner Gemäldegalerie im Kulturforum, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin

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