"Santo subito" und die Folgen

Von Norbert Sommer · 30.04.2011
Mit einer gezielten Kampagne haben die Anhänger von Papst Johannes Paul II. dessen Seligsprechung beschleunigt. Doch durch das Eilverfahren steht plötzlich wieder die Kritik an der Amtsführung des Karol Wojtyla im Vordergrund - und die Zerrissenheit der Katholiken wird sichtbar. Ein Kommentar.
Was unmittelbar nach dem Tod von Johannes Paul II. am 2. April 2005 geschah, war einmalig. Nie zuvor haben die Medien weltweit so sehr Anteil genommen und so intensiv über einen Papst, sein Leben und Wirken, informiert. Nie zuvor auch haben so viele Staats- und Regierungschefs sowie Monarchen an Beisetzungsfeierlichkeiten teilgenommen, noch nie haben so viele Länder völlig unterschiedlicher politischer und religiöser Prägung offizielle Staatstrauer angeordnet und ihr Beileid bekundet. Und noch nie zuvor wurde mit einer gezielten Kampagne unter dem Motto "Santo subito" - "Sofort heilig" Druck auf den Nachfolger ausgeübt.

Leider hat sich Papst Benedikt XVI. sehr schnell diesem Druck gebeugt, indem er die geltende Wartezeit von mindestens fünf Jahren für die Einleitung des normalerweise langwierigen und peniblen Seligsprechungsprozesses aufhob. Diese schon bald als Eiligsprechung bezeichnete Entscheidung hat die ursprünglich selbst bei seinen Kritikern vorherrschende Sympathie und den Respekt für den Menschen Karol Wojtyla, den polnischen Papst, verblassen lassen. In den Hintergrund gedrängt wurden sein Friedensengagement, seine Förderung des interreligiösen Dialogs, sein Charme und seine Menschlichkeit, sein Beitrag zum Ende des real existierenden Sozialismus, seine Initiative für die Weltjugendtreffen, sein Nein zu den Konzilsgegnern in der Piusbruderschaft um Erzbischof Lefebvre. Aus dem Blick geraten scheinen seine Bemühungen um die Imagepflege für die Katholische Kirche bei seinen insgesamt 104 Auslandsreisen. Auch die beeindruckende Haltung von Johannes Paul II. angesichts seiner schweren Erkrankung, das öffentliche Eingestehen der Schwäche, sagt eigentlich mehr über diesen Menschen aus als die peinliche und krampfhafte Suche unter Zeitdruck nach einer medizinisch nicht erklärbaren Wunderheilung, die seine Fürsprache erwirkt haben soll.

Das Eilverfahren hat dazu geführt, dass plötzlich wieder die Kritik von rechts und links an der Amtsführung des Karol Wojtyla im Vordergrund steht, dass die Zerrissenheit der Katholiken sichtbar wird. Eindeutige Fehlentscheidungen des polnischen Papstes wurden im Verfahren ausgeblendet. Umso mehr werden sie nun von den Kritikern herausgestellt. Die erzkonservativen Kreise der Kirche fallen über ihn her mit Parolen wie: "Er war alles Mögliche – nur kein Seliger. Skandal-Papst mit Vollgas in den Abgrund. Schwere Vernachlässigung der Amtspflicht. Schandtaten und furchtbare liturgische Gräuel." Sie verurteilen ihn wegen seines Schuldbekenntnisses im Jahr 2000 zu kirchlichem Fehlverhalten, wegen seiner Öffnung zur Welt und zu den anderen Weltreligionen, ja wegen seiner angeblichen Konzilstreue. Genau diese stellen die linken Katholiken in Frage. Sie erinnern an den päpstlichen Schlag gegen die Befreiungstheologie, an die Maßregelung von Theologen, an die erzkonservativen Bischofsernennungen, an den neuen römischen Zentralismus, an das Verbot, über Frauenordination auch nur zu diskutieren.

Wenn Rom nun die Notbremse zieht und verkündet, es gehe nicht um die Seligsprechung der Amtszeit von Johannes Paul II., sondern um den vorbildlichen Christen und Menschen Karol Wojtyla, steht es doch unter dem Druck klarzumachen, wieso dann ein solches Eilverfahren nötig und möglich war. Dass die Seligsprechung die meisten Polen glücklich macht, ist verständlich. Dass dieses Glück aber nur durch massiven Druck zustande gekommen ist, bleibt als bitterer Nachgeschmack des Pontifikats von Johannes Paul II.