Sansibar

DDR-Platte unter Palmen

DDR-Plattenbau auf Sansibar
DDR-Plattenbau auf Sansibar, Tansania © imago/Ulrich Roth
Von Antje Diekhans · 06.01.2018
Fließendes Wasser, Keramiktoiletten und "moderner" Wohnraum – vor fast 60 Jahren baute die DDR Plattenbauten auf Sansibar, einer Inselgruppe von Tansania. Sozialistische Träume, die bis heute nicht vergehen.
Eine Reihe von dreistöckigen Häusern aus schmutzigem Beton. Wäsche trocknet auf den Balkonen. Aus einer Fassade ragt eine Satellitenschüssel. Die Häuser erinnern an Plattenbauten, sehen aber doch komplett anders aus als in Berlin-Marzahn, Leipzig oder Erfurt. Das liegt auch am knallblauen Himmel und daran, dass üppige Palmen daneben empor ragen. Die Häuser stehen mitten in Sansibars Hauptstadt Stonetown. "Berlin" nennen die Einwohner sie – oder auch "deutsche Siedlung". Jeder hier kennt die Bauten, erzählen die Leute auf der Straße.
"Die Häuser gibt es schon lange. Unsere Eltern sagen, dass sie unter dem ersten Präsidenten Karume gebaut wurden. Eine Menge Leute wohnen darin."
"Unser erster Präsident hat sie gebaut. Er war ein Segler und ist bis nach Deutschland gereist. Dort hat er die Häuser gesehen und sie nach Sansibar gebracht."

Der sozialistische Schulterschluss

Die Geschichte geht ein bisschen anders. Die Häuser sind sozusagen ein Geschenk der DDR an die Insel im Indischen Ozean. Anfang der 60er-Jahre kämpfte Walter Ulbricht, der starke Mann im zweiten deutschen Staat, darum, dass die DDR international anerkannt wurde. Da erreichten ihn gute Nachrichten aus Sansibar. Der Inselstaat hatte sich selbst gerade zu einer Volksrepublik im sozialistischen Sinne erklärt. Für Präsident Karume war es keine Frage, dass auch die DDR als Staat akzeptiert werden musste. Ein sozialistischer Schulterschluss. Im Gegenzug reisten Bauingenieure aus der DDR nach Sansibar, um den Menschen hier "modernen" Wohnraum zu verschaffen.
Eine der ersten Bewohnerinnen war Saada Khamis. Sie zog 1966 als junge Frau hier ein.
"Uns wurde diese Wohnung zugeteilt. Mein Mann wurde als Besitzer eingetragen. Nach seinem Tod ging sie an mich. Wenn ich sterbe, erben meine Kinder die Wohnung."
Saada Khamis hängt Wäsche auf dem Dach des Hauses auf. Kinder sitzen hier auf einer Decke und sind in ein Klatschspiel vertieft.

Ein unglaublicher Luxus

Die Häuser waren in den 60er-Jahren etwas ganz Besonderes auf Sansibar. Die Leute lebten in einfach gemauerten Häusern oder in Hütten. Es gab kein fließendes Wasser oder Strom. Erst recht keine eigenen Toiletten. In den Plattenbauten mussten die Bewohner nur noch den Hahn aufdrehen, wenn sie sich waschen oder kochen wollten. Und es gab Keramiktoiletten in jeder Wohnung. Ein unglaublicher Luxus. Auch heute noch ist Saada Khamis mit ihrer Wohnung zufrieden.
"Wir mögen diese Häuser, auch wenn sie inzwischen Risse haben und es rein regnet. Siehst du hier diese Narbe an meiner Nase? Da ist ein Stück von der Küchendecke auf mich gefallen. Ich musste ins Krankenhaus und die Wunde wurde genäht."
Die Häuser müssen dringend renoviert werden. Das ist der Unterschied zu Deutschland, wo die meisten Plattenbauten mittlerweile generalüberholt sind – wenn sie nicht abgerissen wurden. Beliebt sind die in die Jahre gekommenen DDR-Häuser auf Sansibar nichtsdestotrotz. Genauso wie die Plattenbauten ein paar Straßen weiter. Sie sind höher und bieten mehr Wohnungen. Sie wurden damals nach dem Vorbild der deutschen Siedlung gebaut. Aber diese Häuser zahlte die Regierung Sansibars selbst. Seif Nasser, ein früherer Abgeordneter, wohnt hier. Mietfrei, wie zuvor schon seine Mutter. Er führt durch die Wohnung:
"Das hier ist die Küche. Nur heute kommt kein Wasser mehr aus dem Hahn."
Die Rohre sind schon lange kaputt. Genau wie die weißen Fliesen in der Küche. Seif Nasser wünscht sich, dass die Regierung etwas unternimmt.
"Aber sie macht einfach nichts. Sie überlässt alle Probleme den Bewohnern. Es ist nicht meine Schuld, dass das Wasser nicht mehr läuft. Warum sollte ich also etwas dagegen tun und anderen damit die Verantwortung abnehmen?"
Die Regierung ist inzwischen demokratisch gewählt. Sie fühlt sich nicht zuständig für das einstige Volkseigentum. Die Plattenbauten verfallen. Und sind bald vielleicht nur noch Ruinen, die daran erinnern, bis wohin die Träume der DDR vom weltumspannenden Sozialismus einst reichten.
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