Sanierungsstau in Brandenburg

Volle Züge, alte Brücken

Eine über 100 Jahre alte S-Bahn-Brücke in Brandenburg wird saniert.
Eine alte S-Bahn-Brücke in Brandenburg wird saniert. © picture alliance / Patrick Pleul
Von Vanja Budde · 29.11.2017
Brandenburgs Bahninfrastruktur ist marode. Viele der Brücken sind in einem derart schlechten Zustand, dass sie grundlegend saniert oder neu gebaut werden müssen. Experten fordern mehr Investitionen, damit die Infrastruktur im Pendlerland Brandenburg nicht kollabiert.
Ein Bagger rollt durch den Matsch, Jens Kulecki, Projektleiter der Deutschen Bahn, stapft mit Schutzhelm über die Baustelle. Die Eisenbahn- und S-Bahnbrücke in Bernau-Friedenstal wird erneuert.
"In etwa beim Kilometer 20 auf der Strecke zwischen Berlin und Stralsund kurz vor dem Bahnhof Bernau. Wir sind hier mitten in der Bauphase, das alte Brückenbauwerk ist bereits abgebrochen."
Die alte Brücke hatte mehr als 100 Jahre auf dem Buckel. Züge und S-Bahnen rollen nun ungebremst über zwei Hilfsbrücken. Zum Einbau der neuen Brücke muss der Schienenverkehr dann allerdings still gelegt werden. Das wird anstrengend für die Fahrgäste, denn Bernau vor den nordöstlichen Toren Berlins ist ein wichtiger Bahnhof. Erstens fährt hier der Regionalexpress Drei:
"Von Berlin Gesundbrunnen über Bernau, Eberswalde, Angermünde, Prenzlau, Pasewalk, Anklam, Greifswald, nach Stralsund."
Von der Hauptstadt über die Uckermark am Rand Brandenburgs zur Ostsee also. Zweitens fahren viele Pendler mit dem RE 3 zur Arbeit nach Berlin.
"Also ich als Bernauer kann sagen: Hier ist es in den Stoßzeiten sehr voll. Im Nahbereich hier wird man schwerlich Sitzplätze bekommen. Wie es dann weiter draußen aussieht, kann ich natürlich nicht sagen, aber er ist schon stark frequentiert."

Brandenburg ist ein Pendlerland

Volle Züge, alte Brücken: Die Strecke von Berlin-Gesundbrunnen nach Angermünde ist ein typisches Beispiel: Insgesamt 16 Brücken sind hier in der schlechtesten Zustandskategorie Vier. Gleichzeitig sind die Menschen in den Weiten der strukturschwachen Uckermark dringend auf den Regionalexpress angewiesen. Verkehrsministerin Kathrin Schneider:
"Brandenburg ist ein Pendlerland, deswegen ist der Bahnverkehr für uns natürlich besonders wichtig. Das liegt daran, dass wir die größte märkische Stadt bei uns in der Mitte haben, nämlich Berlin, und sich Brandenburg um Berlin herum entwickelt. Und durch diese Struktur gibt es auch eine unheimlich starke Pendlerbewegung."
Und die wird vorangetrieben von den Zehntausenden, die jedes Jahr ins Umland ziehen, aber weiter in Berlin arbeiten.
"Wir haben Korridoruntersuchungen gemacht, da gehen die Steigerungen teilweise bis auf 60, 80 Prozent. Das ist natürlich enorm und darauf muss man sich vorbereiten und reagieren. Das tun wir mit neuen Linien, mit zusätzlichen Zügen, mit längeren Zügen und mit besserer Qualität."
Der überlastete Bahnverkehr im Berliner Umland soll dabei gestärkt werden, ohne in der Peripherie Strecken einzusparen. Nachzulesen ist das im Entwurf des neuen Nahverkehrsplans der rot-roten Landesregierung, den Ministerin Schneider Ende Oktober vorgestellt hat. Bei der Opposition stießen die Pläne auf wenig Begeisterung. Bei Rainer Genilke zum Beispiel, Sprecher für Infrastruktur und Verkehr der CDU-Fraktion.
"Immerhin hat ein Umdenken stattgefunden, dass es nicht mit weniger Verkehr geht, sondern dass wir deutlich erfolgreicher sind. Nur das, was in Aussicht gestellt worden ist, ist ja frühestens ab 2022 zu ermöglichen. Das ist natürlich deutlich zu wenig. Und hier hat die Landesregierung nicht frühzeitig genug gegengesteuert. Denn die Situation, wie sie jetzt ist, war absehbar."

Verspätungen und Zugausfälle sind vorprogrammiert

Auch Michael Jungclaus fordert, die Situation für die Pendler nicht erst in kommenden Jahren zu verbessern, sondern so schnell wie möglich. Jungclaus sitzt für die Grünen im Landtags-Ausschuss für Infrastruktur und Landesplanung:
"Ein anderes Riesenproblem ist der Zustand der Infrastruktur. Wir haben in Brandenburg zirka 800 Brücken, davon sind ein Drittel in einem stark sanierungsbedürftigen Zustand und zirka 75 sind sogar in der Kategorie vier, sprich die sind nicht mehr sanierungsfähig, wir reden hier also über Abriss und Neubau. Was das im Einzelnen für den Pendler heißt, kann sich jeder, glaube ich, ausmalen, der jetzt gerade in Ahrensfelde unterwegs ist, wo Schienenwege saniert werden, oder in Hoppegarten unterwegs ist. Da bringt jede Verzögerung im Betriebsablauf stundenlange Nachzügler von Verspätungen, Zugausfällen etc. mit sich."
Nicht nur in Brandenburg sei die Bahnbrücken und Schienen oft marode, schimpfen die Grünen. Sie sprechen von einer "verheerenden Bilanz von Bundesverkehrsminister Dobrindt". Statt das Schienennetz zu erhalten, habe der CSU-Politiker sich Jahre lang um eine Autobahnmaut und bayerische Ortsumfahrungen gekümmert. Die Grünen fordern mehr Geld für die Schiene.
"Wir haben nach wie vor eine DB, die eine Renditeerwartung in Richtung Bund erfüllen muss und interessanterweise mit dem Geschäftsbereich Stationen und Trassen den höchsten Gewinn macht. Da sind sehr hohe Renditen drin, die sie in anderen Geschäftsfeldern nicht bekommen. Und insofern haben wir da ein skurriles Linke-Tasche-rechte-Tasche-Spiel."
Der Bund zahle den Ländern Regionalisierungsmittel, die davon dann den Schienenverkehr bei der Deutschen Bahn bestellten, erklärt Jungclaus. Das zu 100 Prozent bundeseigene Unternehmen sorge aber mit hohen Stations- und Trassenentgelten dafür, dass das Geld an den Bund zurückfließe, kritisiert er. Jungclaus fordert grundlegende Änderungen im System der Deutschen Bahn.
"Deshalb ist erst mal die Hauptforderung, dass wir eine bundesweite Netzgesellschaft bekommen, die dann keine Renditeerwartungen hat, sondern das ist öffentliche Daseinsvorsorge, eine vernünftige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen: Und mit dem Geld, was man eben dann da einnimmt ... das muss 100 Prozent in die Infrastruktur fließen, wobei unsere Prämisse heißt: Erhalt vor Neubau."

Dem System droht der Kollaps

Aus Anfragen der Grünen im Bundestag ging jüngst hervor, dass für eine dauerhaft gute Infrastruktur knapp 260 Bahnbrücken jedes Jahr erneuert werden müssten. Tatsächlich sind es aber jährlich gerade einmal 115, die saniert werden.
"Das heißt, dass wir hier einen grundsätzlichen Richtungswechsel brauchen, sonst steht das ganze System vor dem Kollaps."
"Nein, der Vorwurf stimmt nicht. Die Brücken in Brandenburg sind sicher, regelmäßig gehen wir raus zu den Brücken, untersuchen die Brücken und machen auch eine Instandhaltung an den Brücken selber."
Auf der Bahnbrücken-Baustelle von Bernau wehrt sich Christian Beschorner, Leiter Projektmanagement der DB Netz Ost, gegen die Kritik der Grünen.
"Also im bundesweiten Vergleich liegen wir leicht über dem Durchschnitt, aber die Zustandskategorie vier ist per se nicht schlimm, sondern auch die Zustandskategorie vier besagt, dass diese Brücke zwar Mängel aufweist, die aber alle nicht sicherheitsrelevant sind. Das heißt, die Zustandskategorie vier besagt einfach nur: Es ist nicht mehr wirtschaftlich, diese Brücke instand zu halten, sondern es sollte ein Neubau geplant werden. Sie ist aber trotzdem sicher."
Die Infrastruktur der Deutschen Bahn sei zwar nicht marode, betont Beschorner, dennoch plane das Unternehmen in den kommenden Jahren große Investitionen.
"Wenn man vielleicht das Beispiel Brücken nehmen möchte: Wir haben in den nächsten fünf Jahren eine Größenordnung von ungefähr 200 Millionen Euro, die wir im Bereich der Brücken investieren. Wir bauen mehr als 50 Brücken hier neu, nur für Brandenburg. Und insofern halte ich den Vorwurf für nicht gerechtfertigt."
Auch in den Jahren zuvor sei ähnlich viel Geld ausgegeben worden, sagt Christian Beschorner. Dennoch ist auch Brandenburgs Verkehrsministerin Kathrin Schneider der Ansicht, dass die Bahn bislang zu wenig in die Infrastruktur investiert hat.

Investitionen müssen erhöht werden

"Und das müssen wir jetzt auflösen, deswegen sind wir auch selber in Vorleistung gegangen als Land und haben mit der Bahn Verträge abgeschlossen und bezahlen Planungsleistungen, die eigentlich die Bahn als Eigentümer und Betreiber der Schiene selbst erbringen müsste. Aber für mich ist wichtig, dass etwas passiert und nicht, wer zum Schluss recht hat."
Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg stehe vor der bundesweit größten Ausschreibung für mehr Schienenverkehr, betont Schneider nicht ohne Stolz.
"Und wir merken, dass wir bei unserer Ausschreibung immer öfter an die Grenzen der Infrastruktur stoßen."
Um den Bahnverkehr in Brandenburg fit für die Zukunft zu machen, müsse darum deutlich mehr Geld als bisher in die Hand genommen werden.
"Summa summarum reden wir überschlägig von einer Milliarde. Das hört sich erst mal viel an, ist aber über die Zeitschiene und für den Umfang der Maßnahmen, um die es hier geht, eigentlich für mich eine gar nicht so erschreckende Summe. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, die Finanzierung zu sichern. Für mich ist die Bahn selbst natürlich in der Pflicht, die Ausbaumaßnahmen auch zu machen. Wenn man die Verpflichtungslage sieht, müsste die Bahn 100 Prozent dieser einen Milliarde schultern, das ist klar."
Zumal der Bundesverkehrswegeplan klar fordere, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Auch mit Blick auf Klimawandel und Energiewende.
"Wir diskutieren das immer nur bei Strom und bei Braunkohle, aber letztlich hat der Verkehr bisher nichts zur Klimawende beigetragen. Und das ist doch ein wichtiger Punkt, auch gerade in den Schienenausbau zu investieren."
Um den voranzubringen, haben Brandenburg und Berlin unlängst mit der Deutschen Bahn AG eine Rahmenvereinbarung unterschrieben. Damit ende hoffentlich eine allzu lange Periode, in der nichts voran gegangen sei, meinte der Fahrgastverband PRO BAHN dazu lapidar. Die beiden Länder hätten andere Projekte wichtiger gefunden und sich teilweise gegenseitig blockiert.
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