Samenspende vom gefallenen Sohn

Eltern kämpfen für ihr Recht auf ein Enkelkind

Irit und Asher Shahar an Omris Grab
Irit und Asher Shahar an Omris Grab © Igal Avidan
Von Igal Avidan · 20.10.2017
Seit der Staatsgründung 1948 starben in Israel mehr als 23.000 Soldaten. Deren Eltern nennt man dort "verwaist". Zwei dieser Hinterbliebenen kämpfen um ein Enkelkind von ihrem während des Militärdienstes gefallenen Sohnes.
Der 27-jährige Israeli Shaked Meiri starb am 12. September 2004 bei einem Verkehrsunfall während seines Reservedienstes. Nur fünf Monate zuvor hatte der Kapitän seine Freundin Merav geheiratet. Shakeds Eltern überzeugten die junge Witwe, seinen Samen einzufrieren. Sie warteten drei Jahre, damit sie ihre Trauer überwindet und ein Kind von Shaked auf die Welt bringt. Dann aber stellten die Eltern fest, dass Merav bereits schwanger ist – von ihrem neuen Partner. Inzwischen fanden die Meiris eine junge Frau, die bereit war, Shakeds Kind zu gebären und auch großzuziehen. Aber Merav stellte sich dagegen. Daraufhin verklagten die Eltern die Witwe, wie Shakeds Vater Roni erzählt:
"Wir wandten uns an das Familiengericht, das nach langen Verhandlungen bestätigte, dass unser Shaked unbedingt ein Kind haben wollte, aber nicht unbedingt von seiner Frau bzw. Witwe. Sie legte Einspruch ein, aber das Regionalgericht bestätigte das Urteil und stellte fest, dass die Witwe in dieser Angelegenheit keinen rechtlichen Status hat. Sie gab aber nicht auf, klagte erneut und die fünf Richter des Obersten Gerichts gaben ihr Recht und verboten uns, den Samen zur Befruchtung zu verwenden."
Das Oberste Gericht, die letzte Instanz, stützte sich auf das Gutachten des Oberstaatsanwalts, wonach es falsch sei, Waisenkinder in die Welt zu bringen.
Der gemäßigte nationalreligiöse israelische Rabbiner Yuval Cherlow von der Rabbiner-Organisation "Tzohar" unterstützte diesen Gerichtsbeschluss. Er schrieb:
"Wenn der Verstorbene kein Testament hinterließ, in dem er ausdrücklich seinen Kinderwunsch erklärte, darf allein seine Frau eine solche Entscheidung treffen und sonst niemand, nicht einmal seine Eltern. Es schmerzt mich, das zu schreiben. Aber bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern und der Witwe zählt allein ihre Meinung. Das gehört zur Eheschließung, wie wir im Buch Genesis lesen: 'Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau und sie werden ein Fleisch'(Gen 2,24)."

"Schwagerehe", um Verstorbenen ein Kind zu hinterlassen

Manche Experten erklären die Bedeutung, einem Verstorbenen ein Kind zu hinterlassen mit dem jüdischen Gebot aus dem 5. Buch Mose der Schwagerehe, Hebräisch Jibbum. Rechtsanwalt Yair Shiber ist Experte für jüdisches Recht. Weil das israelische Gesetz den Status des Samens nicht definiert, empfiehlt Shiber, in diesem Fall die alte jüdische Rechtsprechung anzuwenden.
"Es gilt in der Bibel als eine gute Tat oder Mitzwa, dass der Bruder eines verstorbenen Juden, der keine Kinder hinterlassen hat, dessen Witwe heiraten muss, um mit ihr Kinder in die Welt zu setzen. Diese Kinder werden eine Art Kontinuität für den Verstorbenen gewährleisten und die Kinder werden dessen Nachnamen tragen. Dieselbe Mitzwa gilt auch für den Fall, dass der Verstorbene bereits Kinder hat, aber von einer nichtjüdischen Frau. In diesem Fall gelten die Kinder juristisch gesehen nicht als seine Kinder. Das entsprechende israelische Gesetz basiert auf dem jüdischen Gesetz, das sicherlich Nichtjuden diskriminiert. Aber vor 2000 Jahren war die Logik dahinter, solche sexuellen Praktiken zu unterbinden, um die jüdische Existenz nicht durch Mischehen zu gefährden."
Heutzutage werden in Israel keine Schwagerehen durchgeführt. Sie werden durch die sogenannte "Chalitza" ersetzt, Hebräisch für "Herausziehen". Der Schwager, der einen Schuh aus Leder mit Lederriemen trägt, muss vor drei staatlichen Rabbinern erklären, dass er die kinderlose Witwe nicht heiraten und mit ihr keine Kinder zeugen will. Die Zeremonie soll ihn eigentlich beschämen und der Frau wiederum erlauben erneut zu heiraten. Zur Erinnerung: In Israel kann man nur religiös heiraten und nur innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft.
Während der Zeremonie löst die Frau die Lederriemen auf, zieht den Lederschuh aus und wirft ihn weg. Anschließend spuckt sie auf den Boden vor dem Schwager. Nun ist er beschämt und sie frei.
Der 25-jährige Omri Shahar plante ebenfalls eine Familie zu gründen. Der Israeli hatte eine langjährige Freundin, mit der er im Haus seiner Eltern wohnte. Im Juni 2012 verstarb der dekorierte Kapitän bei einem Verkehrsunfall.
Seine Mutter Irit Shahar, sehr eng verbunden mit ihrem Sohn, wusste, dass er sich unbedingt Kinder gewünscht hatte.
Nach dem ersten Schock forderte Irit Shahar daher, den Samen ihres Sohnes einzufrieren, um seinen letzten Wunsch, ein Kind, zu erfüllen. Ihr Mann Asher – obwohl in tiefer Trauer – eilte zum Familiengericht, um eine entsprechende Genehmigung zu holen.
Omri Shahar, hochdekorierter Kapitän, verstarb bei einem Verkehrsunfall
O. Shahar starb bei einem Unfall.© Privat

Ehemalige Freundin wollte selbst kein Kind des Gefallenen

An einem heißen Tag holt mich Asher vom Bahnhof der Kleinstadt Kfar Saba ab. Auf dem Weg zum Haus der Familie erzählt er, wie die Idee entstand, seinem verstorbenen Sohn mit seinem eigenen Samen ein Kind in die Welt zu setzen. Denn Omris damals 22-jährige Freundin Sapir unterstützte das Anliegen der Eltern, wollte aber selbst kein Kind von ihm, sagt Asher Shahar:
"Ein, zwei Wochen nach seinem Tod habe ich Irit vorgeschlagen, noch ein Kind zu machen. Sie wollte aber nicht, denn sie bräuchte in ihrem Alter eine Eizellspende. In diesem Fall wäre es schon besser, mit dem Samen meines Sohnes ein Kind zu zeugen, so dass wir beide daran Teil haben."
Mithilfe einer Leihmutter, denn Vater Asher war damals 50 Jahre, Mutter Irit 47. Die traditionelle Jüdin sieht sich in der Nachfolge der biblischen Heldin Naomi:
"Das Buch Ruth erzählt, dass die beiden Söhne der verwitweten Naomi kinderlos starben. Eine Schwiegertochter kehrte daraufhin zu ihrer Familie zurück, während die andere, Ruth, bei Naomi blieb. Im Land Israel arbeitete Ruth als Ährenleserin beim Großgrundbesitzer Boas, einem Verwandten von Naomi. Er begünstigte sie. Daraufhin bekam Ruth von Naomi den Rat, sich nachts nach der Feldarbeit zu Boas zu legen. Sie gebar ihm einen Sohn. In der Bibel steht: 'Naomi bekam einen Sohn', weil sie das Kind selbst erzogen hat. Das heißt, schon in biblischer Zeit initiierte die Großmutter die Geburt ihres Enkels durch die Witwe ihres verstorbenen Sohnes."
Aber der Vergleicht hinkt, weil Omris Freundin nicht seine Witwe ist und ihre vermeintliche biblische Rolle nicht annehmen wollte.
Die Richterin am Familiengericht will diesen weltweiten Präzedenzfall gründlich studieren. Die Shahars engagieren auf eigene Kosten mehrere Experten, die Gutachten erstellen: einen Kinderspezialist, einen Experten für Trauer, für jüdisches Recht und Ethik.

Historisches Urteil erklärt Befruchtung mit Samen des Verstorbenen für legal

Im September 2016, nach dreieinhalb Jahren, fällte das Familiengericht ein historisches Urteil und gab Irits und Ashers Antrag statt. Die Richterin schrieb:
"Ich wurde überzeugt, dass es in diesem Fall gut wäre, dass ein Kind geboren wird, das etwas über seinen Vater erfahren wird. Denn mit seinem Tod hat Omri ihm das Leben geschenkt. Ich wünsche den Klägern, dass sie Omris Kinder umarmen und sie mit großer Freude erziehen werden. Sie dürfen den Samen ihres Sohnes zur legalen Befruchtung verwenden."
Nun musste das Ehepaar aber feststellen, dass nicht sie, sondern der Staat Israel über die Samenbanken verfügt. Der Staat verhindert die Übergabe des eingefrorenen Samens, obwohl die Eltern dessen Erhalt finanzieren müssen. Noch mehr: Kurz nach Omris Tod erhielt seine Mutter einen Anruf vom Gesundheitsministerium: Man bat sie, seine Organe zu spenden.
Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären?
Familienexpertin Irit Rosenblum, Gründerin und Leiterin des Vereins "Mishpacha Chadasha" oder "Neue Familie", der alternative Familien unterstützt, kritisiert, dass die grundsätzlichen Fragen in Israel nicht geklärt wurden.
"Die Hauptfrage ist: Gehört dem Menschen sein eigener Körper? Ist das 'Produkt' des Körpers einer Person sein Eigentum? Ich verkaufe meine Haare, um Spenden für Krebskranke zu sammeln. Darf ich auch meine Blutspende verkaufen? Ich darf Organe spenden, um Kranken zu helfen. Gilt das auch für unser Geschlechtsorgan – die Eizelle, das Sperma, den Embryo? Wem gehört das? In Israel gibt es keine klare Antwort, so dass man von Fall zu Fall urteilt."
Der Fall der Familie Shahar ist besonders problematisch, weil Omri kein Testament hinterließ und seine Mutter selbst sein Kind großziehen will, nicht seine letzte Freundin. Hätte Irit eine soziale Mutter akzeptiert und nicht nur eine Leihmutter, wären ihre Chancen umso größer, denn Omris Freundin wäre damit einverstanden.

"Angst, meinen Enkel in die Hände einer ungeeigneten Frau zu geben"

So gelang es Familienexpertin Rosenblum einer anderen Israelin zu helfen, 2014 das Neugeborene ihres im Militärdienst verstorbenen Sohnes in den Händen zu halten. Irit Shahar wollte aber einen anderen, viel schwereren Weg gehen:
"Ich habe ein Problem damit, eine Mutter auszusuchen, die Omri nicht kannte. Einige Frauen haben mich angesprochen und baten um seinen Samen, aber ich kann es einfach nicht, denn ich kenne sie nicht. Ich war nicht einmal bereit sie zu treffen, keine einzige. Denn so eine Frau könnte sich perfekt vorstellen und ich habe eine große Angst, meinen Enkel in die Hände einer ungeeigneten Frau zu geben."
Im Januar 2017 urteilte das Regionalgericht, die zweite Instanz, im Fall Shahar. Die drei Richter kippten die Entscheidung der ersten Instanz. Sie schrieben, dass Asher und Irit zwar gute, liebende und unterstützende Eltern für das Neugeborene sein können. Aber sie gaben dem Staat Recht und verboten den Eltern, das Kind ihres Sohnes in die Welt zu bringen.
"Das Wohlergehen des Kindes werde dadurch beeinträchtigt, weil sie nicht seine biologischen Eltern seien. Eine genetische Mutter, die es gebärt und erzieht, würde zudem die Kontinuität ermöglichen, die sich die Eltern wünschten. Wir schätzen, dass auch der Verstorbene nicht damit einverstanden wäre, dass sein Kind als Waisenkind geboren werde."
Krieg und Terror sind Teil des Lebens in Israel. Seit der Staatsgründung 1948 starben über 23.000 Soldaten im Krieg. Die Eltern, die ihre Kinder begraben müssen, nennt man in Israel 'verwaiste Eltern'. Sogar in einem relativ friedlichen Jahr wie 2016 wurden 16 Israelis bei Terroranschlägen getötet, weitere 37 Soldaten starben bei Verkehrsunfällen oder sie nahmen sich das Leben.
Für diese Soldaten führte Irit Rosenblum 2001 das sogenannte "biologische Testament" ein. Damit ordnen sie an, ihr genetisches Material – den Samen oder die Eizellen – einzufrieren, um nach ihrem Tod für neues Leben zu sorgen. Aber das Militär weigert sich, die Soldaten bei der Einberufung darüber aufzuklären: Mann wolle sie nicht demoralisieren.
Genau dieses Problem soll das neue von Rosenblum formulierte "Kontinuitätsgesetz" regeln. Eingebracht hat die Gesetzesvorlage im März 2017 die Parlamentsabgeordnete Revital Swid von der Arbeitspartei. Kritiker bemängeln, dass das neue Gesetz nur für Soldaten gelten soll und somit Zivilisten benachteiligen wird.

Bislang hat kaum eine verstorbener Soldat Chance auf Nachfahren

Aber es könnte wiederum vielen Familien helfen. Denn nach der jetzigen Regelung hat kaum ein verstorbener Soldat eine Chance auf Nachfahren nach seinem Tod, kritisiert Irit Shahar:
"Welcher 18- oder 19-jährige Soldat hat bereits eine Frau oder eine langjährige Freundin? Die meisten verstorbenen Soldaten sind im Alter zwischen 18 und 21. Rekrutieren sie sie mit 30 Jahren, nachdem sie geheiratet und Kinder gezeugt haben, und schicken sie sie dann in die Schlacht. Mal sehen, wer noch hingehen würde, wenn er wüsste, was er dabei verlieren könnte?!"
Am 15. August beschloss das Oberste Gericht, dass das Ehepaar Shahar keinen Anspruch auf eine neue Verhandlung hat. Das Ehepaar, das zwei weitere Töchter hat, kämpft aber weiter und will durch das neue Gesetz die Armee für ihr Anliegen sensibilisieren, wie Asher auf einer Konferenz im Parlament im Juni sagte:
"Das wichtigste an diesem Gesetz ist, dass die Armee die Familie gleich nach dem Tod informiert, ob sie seinen Samen oder Eizelle aufbewahren darf. Wir haben so gehandelt, nur weil Irit als weise Frau spontan auf diese Idee kam. Inzwischen erzählen uns verwaiste Eltern – alle unsere Freunde sind übrigens inzwischen verwaist –, dass sie ebenfalls handelten, weil sie sich an Irit erinnert haben, weil wir überall, auch auf Facebook, Unseres Sohnes Omri gedenken und über das Thema sprechen."
Unterstützt wird die überparteiliche Gesetzesinitiative von Shaked Meiris Mutter Aderet, die zwar andere Kinder hat, aber den letzten Wunsch ihres verstorbenen Sohnes erfüllen möchte. Nach der letzten Niederlage vor Gericht entfernte sie eigenhändig den Namen der Witwe aus der Grabplatte ihres Sohnes.
"Wir leben in einer modernen Welt, in der jede, die Kinder will, darüber allein entscheidet. Und wir leben in einem Land, in dem leider wohl noch weitere Kinder im Krieg sterben werden. Es wird weitere 'verwaiste Eltern' geben, leider. Daher muss ich dieses Gesetz zum Erfolg führen, damit Kinder das Recht auf Kontinuität haben."
Ob das neue Gesetz kommt und ob es den beiden Elternpaaren helfen kann, ist ungewiss. Sicher ist hingegen, dass die vier Eltern durch ihr unermüdliches Engagement viele Soldaten ermutigt haben, ihre Kontinuität durch ein Testament selbst zu bestimmen.
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