Salonkünstlerin mit Intuition

Von Sonja Kloevekorn · 02.01.2012
Weit über hundert Portraits in Öl hat die Malerin Martina Minette Dreier bisher fertiggestellt. Die freie Künstlerin arbeitet gerne in Serien: Für die Reihe "Sehnsucht" mit einem ganz außergewöhnlichen Modell.
"Wir gucken mal, das sieht doch schon ganz gut aus."

Martina Minette Dreier korrigiert die Haltung von Modell Chantal. Die Transsexuelle mit den langen blonden Haaren trägt ein hellblaues kurzes Kleid, dazu schwarze Cowboystiefel und hält ein Plüschpferdchen im Arm.

"Lass uns mal mit deinen Augen anfangen. Jetzt bin ich noch frisch und dein Blick ist frisch."

Die Malerin selbst trägt Arbeitskleidung. Das weiße ärmellose T-Shirt über ihrer weißen Hose, hat einen auffallend großen Fleck. Ein Hinweis auf ihre Maltechnik: Nachdem Martina Minette Dreier mit dem Pinsel Farbe aufträgt, wischt sie in schnellen Bewegungen mit den Fingern über die Leinwand und säubert diese anschließend in ihrem T-Shirt. Sie ist äußerst konzentriert und zügig, schaut immer zwischen Leinwand und Modell hin und her.

"Was ich immer erreichen möchte, ist, dass man wirklich das Gefühl hat, man spürt quasi, was da vor sich geht. Also nicht einfach nur, ja, da ist jemand abgemalt und in der und der Position eingefangen, sondern, dass man praktisch sich vorstellen kann, wie sich die Haut anfühlen würde, wenn man hin fasst oder wie sich die Knochen bewegen, wenn jetzt die Schulter noch ein bisschen weiter gedreht wird oder so. Ja, dass eine bestimmte Sinnlichkeit da ist."

Martina Minette Dreier nimmt sich viel Zeit für die Arbeit mit den Modellen. 16 Stunden braucht sie durchschnittlich für die Figur. Den Bildhintergrund malt sie später allein. Die freie Künstlerin macht zwar auch Auftragsarbeiten, den Großteil ihrer Modelle sucht sie sich jedoch selber aus. Eine Grundsympathie zwischen Malerin und Modell ist ihr wichtig.

"Das ist meist sehr intuitiv. Das kann damit zu tun haben, dass ich an jemanden ein körperliches Detail interessant finde. Das kann aber auch einfach irgendeine Art sein, sich zu benehmen oder irgendein, weiß ich, was die Person macht oder was sie ausstrahlt oder so. Aber in der Regel ist es von mir eine völlig intuitive Auswahl."

Viele ihrer Modelle sind Laien. Oft sind sie das erste Mal in einem Künstleratelier. Wie gut diese sehr persönliche Zusammenarbeit wird, hängt entscheidend davon ab, was und wie viel ein Modell von sich preisgeben möchte.

" Also, in die Seele gucken klingt groß, aber so ein bisschen habe ich das Gefühl das mir da ein unglaubliches Angebot und Geschenk gemacht wird, wenn wir einander so vertrauen, dass das möglich ist. Also, dass sich jemand soweit entspannt, dass ich da so eben praktisch Zugang bekomme, zu dem, was die Person vielleicht wirklich ausmacht."

Aufgewachsen ist Martina Minette Dreier in einer westfälischen Kleinstadt. Für eine Künstlerlaufbahn gab es keinerlei Vorbilder. Die Eltern hätten sie gerne in einem sozialen Beruf, früh verheiratet und als glückliche Mutter gesehen. Doch die begeisterte Tänzerin hat anderes vor. Mitte der 80er-Jahre beginnt sie eine Tanzausbildung in Berlin. Doch schon nach eineinhalb Jahren muss sie wegen Knieproblemen die Ausbildung abbrechen.

"Das war eine Katastrophe, weil Tanzen irgendwie nicht, also das macht man so mit Leib und Seele und das war es total für mich und ich wollte das so sehr."

Sie orientiert sich neu und studiert Malerei in Bielefeld. 1993 geht die junge Künstlerin zurück nach Berlin. Seither lebt und arbeitet sie dort. Der große Erfolg ist bisher ausgeblieben. Martina Minette Dreier hat keine feste Galeriebindung. Das hat Nachteile aber auch Vorteile.

" Ich bin sehr glücklich mit dem was ich tue und es gelingt mir damit mein Leben zu fristen. Also, so Salonkünstlertum hat durchaus auch seine Vorteile."

Im August waren ihre Bilder in einer Gruppenausstellung im KUBUS des Berliner Clubs Berghain zu sehen. Im Berghain geht sie nicht nur gerne tanzen, sondern kocht auch einmal in der Woche für die Bürogemeinschaft.

"Das ist dann praktisch wie meine Wahlfamilie, mit der ich da mittags am Tisch sitze und denen das Essen mache."

Mehr über ihre Verbindung zum Berghain erfährt man nicht. Die Malerin, die ihren Modellen so nahe kommt, wahrt selber eine gewisse Distanz. Fragen, die nicht konkret ihre Arbeit betreffen, beantwortet sie nur knapp oder gar nicht. Wie die, über Beziehung und Familie.

"Ja ne, das würde ich eigentlich lieber privat belassen."

Martina Minette Dreier malt gerade das Gesicht von Modell Chantal. Sehnsucht liegt im Blick der Transsexuellen aber auch eine erste Müdigkeit zeigt sich. Zeit für eine Zigarettenpause?

"Ich mache gerade noch die Stelle ums Auge."

Die Malerin unterbricht nur ungern. Doch auch wenn ihre Hand ruht, ihr Blick arbeitet weiter.

Modell Chantal: "Oh, noch zwei Minuten ... "

Martina Minette Dreier: "... Okay."
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