Salafismus-Prävention in Schulen

"Man hat ständig Angst vor der Hölle"

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Im Internet, Fernsehen und in Schulen warnt der ehemalige Salafist Dominic Schmitz vor einem radikal-konservativen Islam. © imago stock&people
Von Ita Niehaus · 10.05.2016
Früher missionierte Dominic "Musa" Schmitz im Namen eines extrem konservativen Islam. Heute versucht der Aussteiger, Schüler zu warnen. Auch zahlreiche andere Präventionsprogramme sollen verhindern, dass Jugendliche in die salafistische Szene abgleiten.
In der Integrierten Gesamtschule Kronsberg am Stadtrand von Hannover: Merita Bytyqi und Maximilian Püschel stehen in einem Kreis mit 15 Schülern aus der siebten Jahrgangsstufe. Warm-up-Runde im Wahlpflichtkurs Gesellschaftslehre. Die beiden Studenten arbeiten ehrenamtlich als Moderatoren beim bundesweiten Bildungsprogramm "Dialog macht Schule" mit. Einmal in der Woche sind sie an der IGS Kronsberg. Zu Beginn jeder Doppelstunde berichten die Schüler, was sie zurzeit bewegt.

"Ich wollte zur Gamescom, das ist so eine große Messe für Spiele. Da habe ich meine Mutter gefragt, ist da irgendwas vielleicht mit IS? Und sie hat gesagt, nein bestimmt nicht. Aber auf so großen Festivals muss man Angst haben, dass was passieren könnte."
"Anschlag meinst Du?"
"Mhh."
"Ich finde es blöd, dass alle aus dem Islam dafür verantwortlich gemacht werden. Auch Flüchtlinge, die wollen einfach nur ein sicheres Zuhause."

Die Schüler entscheiden, worüber gesprochen wird

Seit einem halben Jahr treffen sich die Jugendlichen jede Woche mit ihren beiden Dialog-Moderatoren. Inzwischen ist die Gruppe zusammenzuwachsen, die Schüler haben gelernt, so Merita Bytyqi und Maximilian Püschel, offen miteinander umzugehen.
Alle Themen bestimmen die Jungen und Mädchen selbst. Um den Schulalltag geht es oft, um Gerechtigkeit, aber auch um den Nahostkonflikt, um Flüchtlinge oder den Islam.

"Wenn jemand eine extreme Meinung hat, greifen wir jetzt nicht ein und sagen, das ist falsch. Es gibt meistens Schüler, die dagegen reden. Dann wird halt diskutiert und in der Gruppe kommen die zu einer Lösung. Das finde ich besonders gut. Und wir sind halt jedes Mal überrascht, wenn die alleine auf so eine Lösung kommen. Wir nehmen sehr viel mit hier."

"In Richtung Prävention ist mir ganz wichtig, keine zielgerichtete Prävention hinzulegen - von wegen, okay, ich hab jetzt die und die schwierigen Punkte und Gefahren und dagegen möchte ich jetzt eine Prävention einleiten, sondern dass man den Schülern einfach beibringt, wie man Sachen kritisch hinterfragt. Mit Leuten redet über den Glauben, ohne dass man sich gleich auf den Schlips getreten fühlt."

Das Projekt des Vereins Niedersächsischer Bildungsinitiativen möchte demokratiefeindlichen Tendenzen vorbeugen und richtet sich an ganz normale Jugendliche. Die IGS Kronsberg hat sich als eine der ersten Schulen in Niedersachsen daran beteiligt. Jasmin und Berkan, beide 13 Jahre alt, sind von Anfang an dabei.
"Es ist noch cooler, als ich dachte."

"Weil es mich interessiert, Dialog. Und dass da Menschen auch wissen, was Respekt und Toleranz ist. Und da kann man drüber reden in dem Kurs."

"Als ich drinnen war, dachte ich, es ist noch cooler, als ich dachte. Weil wir darüber sprechen, was uns bedrückt. Sachen, die wir im Internet sehen zum Beispiel - ob es wahr ist oder nicht. Manchmal stimmt es eben und manchmal nicht."

Im Unterricht fehlt für solche ausführlichen Gespräche oft die Zeit. Nach den Anschlägen in Paris und Brüssel und dem abgesagten Länderspiel in Hannover sind auch Terror und Islamismus immer wieder ein großes Thema.
Im Stadtteil gebe es zwar durchaus Rechtsextremismus, islamistische Strömungen und Islamfeindlichkeit, sagt Schulleiterin Kathleen Fleer. An ihrer Schule habe sie jedoch noch keine islamistische Radikalisierung festgestellt - und das solle auch so bleiben. Deswegen sei Vorbeugung für sie so wichtig.

"Prävention umfasst vielschichtige Programme. Es darf nicht einseitig sein, nicht nur von den Schülern hergedacht, sondern es muss umfassend greifen. Da müssen alle mit ins Boot: Sozialarbeiter, Beratungslehrkräfte, Lehrkräfte, aber auch die Eltern. Damit auch eine Akzeptanz für die Arbeit da ist."

Die Meinung des anderen anerkennen

Viele Schüler stammen aus Einwandererfamilien oder aus einem sozial benachteiligten Elternhaus. Svea Herrmann unterrichtet Gesellschaftslehre und Politik. Sie beobachtet, dass Kinder und Jugendliche heute größere Schwierigkeiten haben, mit Konflikten angemessen umzugehen, oder anzuerkennen, dass andere Mitschüler eben anders sind. Die Dialogmoderatoren, sagt Herrmann, können da entscheidende Denkanstöße geben und Alternativen aufzeigen.

"Sie sind erst mal altersmäßig viel näher an den Schülern dran, viele haben Migrationshintergrund, das ist natürlich gerade für Kinder mit Migrationshintergrund ein gutes Vorbild. Die können auch mal einen coolen Spruch machen. Und ganz wichtig, dass die Schüler ihre Themen behandeln. Das ist nicht vorgegeben wie im normalen Unterricht, wo ich sage, wir machen jetzt 'die Römer'."

Auf insgesamt zwei Jahre ist das Projekt "Dialog macht Schule" angelegt. Die Schüler lernen dabei, dass auch ihre Themen gesellschaftlich relevant sind. Und vor allem, dass sie etwas verändern können.

"Ihr seid politisch handlungsfähig."

"Sei es die Toilettensituation, Mobbingfälle, irgendwelche Streitigkeiten auf dem Schulhof. Und ich glaube, das ist auch präventiv wichtig, das muss Schule ja den Kindern zeigen. Ihr seid politisch handlungsfähig. Ihr sollt, müsst und könnt euch beteiligen an gesellschaftlichen Prozessen. Ihr seid dem nicht ausgeliefert."

Inklusion, immer mehr Vielfalt im Klassenzimmer, Prävention - gegen Rechts etwa oder gegen Drogenmissbrauch: Die Anforderungen an Schulen heute sind hoch. Nun ist noch eine neue Aufgabe dazu gekommen: gewaltbereitem Salafismus entgegenzusteuern. Einige Lehrer an der IGS Kronsberg haben schon an Fortbildungen teilgenommen. Doch ob sich tatsächlich jemand radikalisiert oder nur seinen Glauben besonders streng auslegt, sei, so IGS-Leiterin Kathleen Fleer, nicht immer einfach einzuschätzen.

"Das ist eine totale Herausforderung. Ich glaube, niemand von uns könnte sagen, das erkennt man da und daran. Vorsicht im Umgang ist da geboten. Aber dennoch, wenn Dinge auffallen, die es besprechen und zu bearbeiten gilt, dann würden wir das tun."

Prävention gegen Salafismus im Klassenzimmer

Das Kollegium sei da durchaus sensibilisiert. Während einer Schweigeminute etwa in Gedenken an die Opfer der Attentate von Paris, meinte ein Schüler, das sei doch alles gar nicht so schlimm. Die Aufregung war groß. Vor allem unter den Eltern. Die Lehrer kannten den Schüler gut und waren sich in diesem Fall sicher.

"Weiß Gott, da war kein islamistischer Hintergrund. Als Spruch unter Jugendlichen - und da spielt auch die Pubertät eine Rolle. Das musste man dem Schüler klar machen, dass das nicht geht, schon gar nicht in der Schweigeminute. Aber man muss den Eltern auch deutlich sagen, wir sehen das, wir gucken nicht weg. Aber hier ist es nicht nötig, hysterisch zu werden."

Leichter gesagt, als getan. Der ultra-konservative, verfassungsfeindliche Salafismus ist die am schnellsten wachsende Strömung des radikalen Islam in Deutschland. Von rund 8650 Salafisten bundesweit gehen die Sicherheitsbehörden inzwischen aus, etwa jeder zehnte gilt als gewaltbereit.
Die meisten Experten sind sich einig: Präventionsarbeit muss möglichst breit angelegt werden, um von vorneherein niemanden auszugrenzen und um so früh wie möglich demokratie- und freiheitsfeindlichen Positionen vorzubeugen. Denn man kann ganz schnell in die salafistische Szene abgleiten. Das zeigt auch das Beispiel von Dominic Musa Schmitz aus Mönchengladbach.

Ein Videoclip: Dominic Musa Schmitz ist darin zu sehen, mit dem salafistischen Prediger Pierre Vogel. Beide im traditionellen Gewand und mit Gebetsmütze. Bis vor einigen Jahren hat Dominic Musa Schmitz noch gemeinsam mit seinen salafistischen Brüdern missioniert, in den Fußgängerzonen und auf seinem YouTube-Kanal MusaAlmani. So nannte er sich damals. Den YouTube-Kanal hat der inzwischen 28 Jahre alte Muslim immer noch. Doch heute warnt der Ex-Salafist dort vor den Gefahren dieser radikalen Strömung des Islam.

"Ich glaube schon, dass ich für viele ein Dorn im Auge bin, weil ich viel zu viel weiß - und weil man mir nicht einfach sagen kann, der erzählt nur Müll. Die wichtigen Leute wissen, dass ich jahrelang das ernst gemeint habe, dass ich es gefühlt habe. Viele sprechen darüber, sogenannte Islamwissenschaftler und Experten. Aber ich habe es gelebt. Und das unterscheidet mich von allen anderen."

"Es ist alles von Hass geprägt."

Mit 17 konvertierte Dominic Musa Schmitz zum Islam, ohne eigentlich genau zu wissen, was diese Religion wirklich ausmacht. In einer Moscheegemeinde in Mönchengladbach lernte er den salafistischen Prediger Sven Lau kennen, ebenfalls ein Konvertit.

"Der Salafismus hat mir auf der Identitätssuche ganz einfache Antworten auf schwierige Fragen gegeben. Er hat mir Halt gegeben, eine ‚neue Familie‘ - in Anführungsstrichen -, Brüder, eine Alltagsstruktur - also alles, was ich nicht hatte in meinem Leben, mehr oder weniger geben können."

Für ihn damals der einzig wahre Islam. Heute sieht er das ganz anders.

"Es ist alles von Hass geprägt, von Abneigung. Wir sind richtig, alle anderen sind falsch. Die Angst ist immer wie ein Damoklesschwert über einem. Man will bloß nicht sündigen, Gott anzweifeln oder Blasphemie begehen. Man hat ständig Angst vor der Hölle."
Ein damaliger enger Freund kämpft heute noch für die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien. In den Dschihad zu ziehen, kam für Schmitz nie in Frage. Dennoch: Er sei damals wie ein Roboter gewesen, sagt er. Kritik von außen sei an ihm abgeprallt.

"Wenn ich mit mir aus heutiger Sicht diskutiert hätte, hätte ich auf jeden Fall Zweifel gestreut. Es ist unsinnig zu glauben, dass man einen Nazi, einen Salafisten oder was weiß ich in einer Zehn-Minuten-Debatte komplett von seinem Bild wegbringen kann. Das funktioniert nicht. In der Prävention geht es darum, einen Samen ins Herz zu pflanzen, der vielleicht irgendwann im richtigen Moment wächst."

Rückkehr aus der islamistischen Parallelwelt

Er ist einer von wenigen Aussteigern aus der Szene, die sich in der Präventionsarbeit engagieren. Schmitz hat ein Buch geschrieben über seine Zeit in der islamistischen Parallelwelt, geht in Talkshows, betreibt seinen Youtube-Kanal. Das Wichtigste ist für ihn: der direkte persönliche Kontakt, mit Jugendlichen in Schulen zum Beispiel.

"Es kommt so oft vor, dass Lehrer mir vorher sagen, boah, Herr Schmitz, viel Spaß in der Klasse, schreckliche Klasse. Und am Ende kommen die total, als hätten die ein Gespenst gesehen, wie haben sie das gemacht? Die waren so still und fasziniert von Ihnen."

Immer wieder kommt es aber auch zu Diskussionen im Klassenzimmer, gerade mit muslimischen Schülern. Sie sind nicht immer einverstanden mit dem, was er sagt über den Islam.

"Dass ich verallgemeinere, dass der Islam eigentlich total friedlich ist, dass die Leute, die töten, das sind eigentlich keine Muslime. Das ist mir alles viel zu einfach. Es gibt Leute, die berufen sich auf den Islam und leben einen friedlichen Islam. Es gibt aber auch Leute, die töten, für Allah - und die haben auch Koranstellen, die sie als Belege benutzen. Und das sehen dann auch die Schüler meistens ein. Dass man nicht sagen kann, der Islam ist nur toll und friedlich."

Jedes Mal erzählt Dominic Musa Schmitz den Jugendlichen auch, warum er schließlich nach sechs Jahren als Salafist wieder ausgestiegen ist.

"Ich habe immer wieder erlebt, dass Leute auf der Kanzel von der Brüderlichkeit im Islam sprechen und von gewissen Tugenden, die sie in ihrem Leben aber nicht praktiziert haben. Die Meinungsfreiheit: So etwas wie Tora- oder Bibel-Stände gibt es nicht in Saudi-Arabien. Kritik am Islam gibt es nicht in diktatorischen Ländern. Und irgendwann habe ich gesagt, das akzeptiere ich nicht mehr."

Salafistische Szene radikalisiert sich weiter

Kontakt zu seinen ehemaligen Glaubensbrüdern hat Schmitz nicht mehr. Aber er verfolgt über die einschlägigen Foren in den sozialen Medien und im Internet, wie sich die salafistische Szene in Deutschland zunehmend radikalisiert.

"Was damals für uns Kundgebungen waren, ist heute für die Leute auszureisen. Das war für uns damals schon voll Adrenalin und Action, irgendwo auf dem Marktplatz zu stehen. Und militante Muslime würden jetzt sagen, was ist das denn für ein Islam? Ihr seid doch keine Männer!"

Viel zu lange wurde der Salafismus als Gefahr viel zu wenig beachtet, kritisieren Präventionsexperten wie Michael Kiefer. Doch inzwischen hat sich etwas getan. Auch in Norddeutschland entstehen Netzwerke.

"Alle Länder haben Beratungsstellen, in Niedersachsen seit knapp anderthalb Jahren. Man ist dabei, Methoden zu entwickeln, wie man gut beraten kann, sich zu verschränken mit anderen Arbeitsbereichen. Da ist sicherlich noch viel zu tun, aber der Anfang ist gemacht."

Michael Kiefer, Islamwissenschaftler an der Universität Osnabrück, hat viel Erfahrung in der Arbeit mit muslimischen und nichtmuslimischen Jugendlichen. Der wichtigste Präventionsort ist für ihn die Schule.

"Schlicht und ergreifend weil wir dort alle Kinder erreichen – vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr. Und hier besteht von daher am ehesten die Möglichkeit, auch Menschen, die auf Abwegen sind oder wo es droht, dass es dazu kommt, dass man hier intervenieren kann."

Wie erkenne ich Anzeichen für eine Radikalisierung?

Ob in Niedersachsen, Bremen oder Hamburg - die Schulen im Norden rüsten auf. Und zwar auf unterschiedlichen Ebenen. Angefangen mit der sogenannten "universellen Prävention" mit Projekten wie "Dialog macht Schule", über die "Selektive Prävention", die sich an besonders gefährdete Jugendliche in sozialen Brennpunkten etwa richtet, bis hin zur dritten Stufe, der "indizierten Prävention". Da steht die Deradikalisierung im Mittelpunkt. Auch umfassende Fortbildungen für Lehrkräfte und Sozialarbeiter gehören dazu. Wie vor kurzem in Wolfsburg.

"Ich würde nie zu Kollegen sagen, das Ziel deiner Präventionsarbeit besteht darin, dass der sich nicht in die Luft sprengt. Das wäre ein Ziel, womit ich die Leute völlig überfordern würde. Und deshalb, wenn man Beziehung zu Menschen aufbaut, dann ist das eine große Sache. So habe ich das eben gemeint."

Rund 20 Frauen und Männer sitzen zusammen in einem Konferenzraum. An der Wand: eine Stellwand mit bunten Karten. "Haltung zeigen", "Ausstieg vor dem Einstieg" oder "Dialog" ist darauf zu lesen. In der Fortbildung, organisiert unter anderem von der Bundeszentrale für Politische Bildung, wird nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch geübt - anhand von Fallbeispielen. Was kann ich tun, wenn ich Anzeichen für eine Radikalisierung sehe? Wie erkenne ich überhaupt, dass jemand in die salafistische Szene abdriftet? Handwerkszeug eben für den Krisenfall. Eine der Teilnehmerinnen ist die 35 Jahre alte Leila, die ihren wirklichen Namen nicht nennen will. Sie unterrichtet an einer Hauptschule in Wolfsburg.

Wolfsburg – eines der Zentren des radikalen Islam

"Ich möchte vorbereitet sein und eventuell dann auch Antwort geben können, wenn so ein Thema kommt. Dass ich dann wirklich weiß, Schritt eins ist und Schritt zwei ist das. Das brauchen wir Lehrer. Weil wir ja auch so viele Aufgaben haben, ist es wichtig, dass man so einen vorgefertigten Katalog hat. Welcher Ansprechpartner, wie muss ich jetzt vorgehen?"

Wolfsburg ist eines der Zentren des radikalen Islam in Niedersachsen. Gut jeder vierte niedersächsische Islamist, der bisher in Richtung Syrien und Irak ausgereist ist, stammt aus der Region Wolfsburg. Leila ist erleichtert, dass noch kein Jugendlicher aus ihrer Schule dabei war. Bisher zeige auch niemand Anzeichen einer Radikalisierung.
"Die Besorgnis ist auf jeden Fall vorhanden. Wir wurden darauf hingewiesen, dass wir unsere Schüler, mit muslimischen Hintergrund, möglichst auch beobachten sollen. Und falls wir etwas wahrnehmen, dann zu reagieren. Es ist noch nicht so angsteinflößend. Wachsam sein und beobachten, ist jetzt angesagt."

Und für den Ernstfall gibt es noch die niedersächsische Präventionsstelle BeRATen in Hannover. Leila ist Muslimin. Sie kennt die Vielfalt des Islam, ihre nichtmuslimischen Kollegen oft nicht. Die engagierte Pädagogin sieht sich als eine Art Türöffnerin, wirbt für ein Miteinander statt Nebeneinander, will Mut machen.

"Man kann ganz viel durch Gespräche helfen. Ich merke bei uns in der Schule, die wenigen Muslime, die wir haben, finden manchmal das Thema Islam gerade in der heutigen Zeit… Möchten darüber nicht sprechen, weil es durch die Medien sehr negativ beäugt wird. Sie möchten dazugehören, nicht ausgegrenzt werden."

Achtsamkeit ist gefragt

Gewaltbereite Salafisten finden sich nicht nur unter Migranten, Jugendliche mit deutscher Herkunft sind genauso gefährdet. Den richtigen Weg zu finden im Schulalltag ist oft eine Gratwanderung zwischen Achtsamkeit, Misstrauen und Respekt. Das weiß auch die 38 Jahre alte Gymnasiallehrerin Samira, die ebenfalls anonym bleiben will. Als Multiplikatorin möchte sie gerade im Islamunterricht über die radikalen Strömungen innerhalb ihrer Religion aufklären und Ansprechpartnerin sein.

"Nicht nur muslimischen Schülern, auch anderen Schülern, die vielleicht Ängste haben: ‚Da ist jemand in unserer Klasse, der hat solche und solche Ansichten.‘ Was ich auch häufig beobachte, dass die Jugendlichen wenig Ahnung von ihrer eigenen Religion haben, sich ihre Informationen aus dem Internet holen. ‚Sheikh Google‘ oder YouTube-Videos, die von Pierre Vogel und Co ins Netz gesetzt werden. Da finde ich, dass die Schule das auffangen sollte und Schülern eine Alternative bieten muss."

Viel fachliches Können und Achtsamkeit ist gefragt. Jeder Fall ist anders und jede Schule hat ihre eigene Kultur. Aber es gebe grundsätzliche Abläufe, so Michael Kiefer, die seien immer gleich. Ein Beispiel: Von einem Schüler heißt es, er habe in Hannover mit Salafisten Koran-Exemplare verteilt.

"Man muss Fallrecherche machen: Wer hat das gesagt. Stimmt das? Und wenn es sich bewahrheitet, dann geht es im zweiten Schritt darum, zu überlegen, was kann man tun? Und wer ist Partner? Dann den Fall analysieren, überlegen, welche Optionen einem zur Verfügung stehen. Und wichtig ist, dass jemand den Hut auf hat. Es muss ein Monitoring geben, das heißt, dass man den Fall beobachtet, wie sich das entwickelt. Wenn man mit seinen pädagogischen Maßnahmen nicht zum Ziel kommt, muss man den Prozess noch einmal von vorne anstoßen, umsteuern und, und, und."

Umfassende Fortbildungen, die über mehrere Wochenende gehen, sind bisher noch die Ausnahme. Samira nimmt jedes Mal viele Anregungen mit aus Wolfsburg - unter anderem, dass man als Lehrerin auch an sich arbeiten muss.

"Er möchte im Grunde genommen nur die Welt retten."

"Dass man selber erst einmal ein ganz großes Paket ablegen muss, an Vorurteilen natürlich, aber auch dieses Vorwissen. Oh Gott, ich bin jetzt Experte in Religionsfragen. Das brauche ich gar nicht. Vor mir sitzt ein junger Mensch, der hat das ganze Leben vor sich. Er möchte im Grunde genommen nur die Welt retten, weil: Er sieht so viele Ungerechtigkeiten. Und ihn einfach an die Hand zu nehmen und ihm zu sagen, das kannst Du schaffen. Aber mach es bitte Schritt für Schritt, nach Deinen Kompetenzen und Deinen Möglichkeiten."

Zurück in der Integrierten Gesamtschule Kronsberg in Hannover: Die Doppelstunde "Dialog macht Schule" geht zu Ende.

"Was ich gut fand, dass wir das Spiel gemacht haben und anders geredet haben als sonst."
"Wie meinst Du, anderes Reden?"
"Schimpfwörter und so: ‚Halt dein Maul.‘ Das ist kein sozialer Umgang. In der Runde heute - richtig cooler Umgang."

Als nächstes ist ein gemeinsames Projekt geplant - ein Video vielleicht. Das Thema steht noch nicht fest. Die beiden Dialogmoderatoren Merita Bytyqi und Maximilian Püschel sind zufrieden mit dem Ablauf der Unterrichtsstunde. Sie spüren, sie sind auf dem richtigem Weg.

"Wenn die anfangen, so miteinander umzugehen, so tolle Redebeiträge bringen und so kontrovers bleiben, dann habe ich das Gefühl, wir machen irgendwas richtig. Beziehungsweise - machen die Schüler ganz schön was richtig. Wir geben ihnen den Rahmen dafür."

Persönlichkeitsentwicklung, politische Bildung und Integration - das Konzept kommt an. Dialogmoderatoren arbeiten inzwischen auch an Schulen in Berlin, Wuppertal und Stuttgart. 24 Moderatoren erreichen an fünf Schulen wöchentlich allein in Hannover immerhin mehr als 300 Schüler. Nicht ganz zwei Jahre ist die IGS Kronsberg bei dem Projekt beteiligt.

"Vielleicht merken wir das noch gar nicht so sehr jetzt. Ich erhoffe mir durch so Kleinigkeiten wie Schülermitverwaltungsarbeit, das wird von allen so wahrgenommen werden, dass die Schüler da lernen, politische Beteiligung macht Spaß. Dass die sich da zum Beispiel engagieren, das fände ich zum Beispiel sinnvoll."

Bei allem vorsichtigen Optimismus, den Schulleiterin Kathleen Fleer ausstrahlt: Sie weiß, wie schwierig erfolgreiche Prävention ist. Einzuschreiten ohne auszugrenzen, dabei den radikalen Islamismus im Blick zu haben, aber gleichzeitig auch Rassismus und die zunehmende Islamfeindlichkeit. Und dann ist da noch das Internet mit seinen gewaltverherrlichenden Videos der Terrormiliz Islamischer Staat. Die Versuchung für Jugendliche ist groß.

"Wenn man Glück hat, kriegt man das mit und kann das dann auch aufnehmen. Wir haben, als das gerade passiert war in Paris, ganz viel mit den Klassen dazu gearbeitet. Man kann dann nicht einfach sagen, guck das nicht - und dann machen sie das auch nicht. Was die in ihrer Freizeit gucken, das können wir uns gar nicht so richtig vorstellen."

Es gibt Versuche, ganz gezielt im Internet und in den sozialen Netzwerken gegenzusteuern. Ein Beispiel ist die Kampagne "Begriffswelten Islam" der Bundeszentrale für Politische Bildung.

"Man bemüht sich darum, ein positives Islambild zu erzeugen, über Begriffe aufzuklären, die in der Debatte missbraucht werden. Das ist natürlich richtig. Das muss man auch machen. Aber für sich allein erreicht man damit noch nicht so viel."

Vielversprechender sei es, so Michael Kiefer, wenn noch mehr Aussteiger aus der salafistischen Szene an die Öffentlichkeit gehen würden, gerade im Internet - wie Dominic Musa Schmitz.

"Die Clicks sind kein Maßstab. Es bringt mir ja nix, wenn eine Million Menschen mein Video gucken, aber keiner versteht, was ich denen sagen will. Für mich ist ein Maßstab, wenn mir einer schreibt: Du hast mich zum Nachdenken angeregt, Du hast Recht."

Viele Schulen haben sich auf den Weg gemacht. Der Präventionsexperte Michael Kiefer stellt aber immer wieder fest: Es wird zwar viel darüber geredet, aber noch zu wenig getan.

"Das kann man unter anderem daran erkennen, dass zu wenig Schulsozialarbeiter vor Ort sind, die befähigt sind, Clearingverfahren durchzuführen mit radikalisierten Jugendlichen, die in der Lage sind, Konflikte professionell zu moderieren, auch das gehört ja zur Prävention. Hier wird oft weggeguckt, nach wie vor noch. Oder es wird daran experimentiert, aber nicht wirklich konsequent daran gearbeitet. Sie können Prävention nicht denken als eine weitere Zusatzaufgabe für die Lehrkräfte und für die, die schon da sind. Wir brauchen Menschen, die das im Kern machen."

Stammtischparolen auf dem Schulhof

Denn die Situation an den Schulen wird nicht einfacher. Die nächste große Herausforderung ist die Betreuung von jungen Geflüchteten.

"Wenn wir jetzt viele Willkommensklassen haben, da kann es sein, dass Schulen neue Konflikte drohen - durch Haltungen, die Schüler mitbringen in die Schule, oder aber schlicht und ergreifend dadurch, dass manche jungen Männer, die eher rechtsextremen Ansichten anhängen, meinen, sie müssten vielleicht etwas gegen Flüchtlinge unternehmen."

"Trotz aller präventiven Arbeit ist es manchmal so, dass sich Stammtischparolen wiederfinden auf dem Schulhof. Und da kann man nicht sagen, es hat nichts genutzt. Dann haben wir noch nicht genug gemacht. Da müssen wir noch weiter machen. Aber es ist nicht nur die Aufgabe der Schule, sondern auch der Gesellschaft."
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