Sachbuch

Was Menschen von Affen unterscheidet

Ein Kind beobachtet zwei Schimpansen im Zoo.
Ein Kind beobachtet zwei Schimpansen im Zoo: Geht es nach Thomas Suddendorf, haben Affen keinen Anspruch auf Menschenrechte - aber ein Recht auf konsequenteren Schutz. © TORSTEN BLACKWOOD / AFP
Von Frank Kaspar · 14.10.2014
Wissenschaftler betonen derzeit häufig die Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier. Thomas Suddendorf wagt in "Der Unterschied" das Gegenteil. Sachlich fasst er den Stand der Forschung zusammen - und stellt eine menschliche Fähigkeit ins Zentrum.
Menschen und Tiere haben viel gemeinsam, aber in geistiger Hinsicht trennt uns von unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, eine tiefe Kluft. Der Evolutionspsychologe Thomas Suddendorf erörtert in seinem Buch "Der Unterschied", wie es dazu kommen konnte.
Nach Charles Darwin schien die Sache klar zu sein: Wenn der Mensch ein Produkt der Evolution ist, dann hat er in der Natur keine Sonderstellung mehr, sondern muss als Tier unter Tieren gelten. Wenn man aber nicht die fließenden Übergänge, sondern den Status quo betrachtet, dann fällt auf, dass zwischen den geistigen Fähigkeiten des Menschen und denen von Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans, eine gewaltige Lücke klafft. Diesen Abstand möchte der Psychologe Thomas Suddendorf erklären, um unsere Stellung in der Natur neu zu bestimmen.
Suddendorf, der an der University of Queensland im australischen Brisbane die geistige Entwicklung von Menschenkindern und Menschenaffen studiert, steht mit seiner Betonung des "Unterschieds" gegen den Trend. In jüngster Zeit sind eher die Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier en vogue: "Animal Studies" entdecken Tiere als Persönlichkeiten und arbeiten ihren Beitrag zur Kulturgeschichte auf, Tierschützer fordern "Menschenrechte für Menschenaffen", und Biologen finden ständig neue Hinweise darauf, dass Tiere klüger und kompetenter sind, als wir dachten.
Auch Suddendorf berichtet von wilden Schimpansen, die Werkzeuge oder Waffen herstellen und Blätter als Schirm, Schwamm und Toilettenpapier benutzen. Er erkennt an, dass Menschenaffen durchaus Ansätze zu Sprache, Kultur oder Moral zeigen. Zwei menschliche Eigenschaften markieren aus seiner Sicht jedoch einen besonderen Qualitätssprung: unsere Fähigkeit, komplexe mentale Szenarien zu entwerfen, und das Bedürfnis, diese Vorstellungen mit anderen zu teilen.
Kein Weltdeuter und moralischer Mahner
Im Zentrum von Suddendorfs Menschenbild steht ein Satz von William Shakespeare: "Die Welt ist eine Bühne." Dass wir fiktive Welten im Kopf entwerfen und mögliche Entwicklungen miteinander durchspielen können, befähigt uns dazu, gemeinsame Pläne zu verfolgen und hat zur Herausbildung der menschlichen Kultur beigetragen: unseres "zweiten Vererbungssystems", neben der Genetik.
Weshalb aber ist der geistige Abstand zu unseren nächsten Verwandten so groß geworden? Suddendorf erinnert daran, dass der frühe Homo sapiens noch vor 40.000 Jahren als Mensch unter anderen Menschen lebte, darunter der robuste Neandertaler und zierliche Homo floresiensis. Wir sind möglicherweise auch deshalb "die letzten Menschen", spekuliert der Autor, weil unsere Vorfahren die anderen Menschenarten umgebracht haben. Und wir sind gerade dabei, unseren verbliebenen Verwandten, den Menschenaffen, dasselbe anzutun.
Thomas Suddendorf schwingt sich nicht zum Weltdeuter und moralischen Mahner auf, so haben unsere Verwandten im Tierreich für ihn auch keinen Anspruch auf Menschenrechte, dennoch fordert er ein Recht auf konsequenteren Schutz.
Sachlich, aber mit vielen persönlichen Beobachtungen, zum Beispiel an den eigenen Kindern, fasst der Autor den Stand der Forschung zusammen. Nach der Lektüre fühlt man sich fachkundig geerdet. Dass der Charme des deutschen aber auf Englisch publizierenden Autors, durch die routinierte, uneinheitliche Arbeit dreier Übersetzer etwas verblasst, ist der einzige Wermutstropfen.

Thomas Suddendorf: Der Unterschied. Was den Mensch zum Menschen macht
Berlin Verlag, 2014
464 Seiten, 22,99 Euro

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