Sachbuch

Sackgasse Perfektionismus

Ein Schüler einer Grundschule in Heiligenhaus nahe Düsseldorf schreibt einige Zeilen aus einem Buch ab.
Aus Fehlern lernen? Grundschüler bei Schreibübungen. © picture-alliance/ dpa/dpaweb
Von Volkart Wildermuth  · 13.05.2014
Dass man aus Fehlern lernt, ist eine alte Weisheit. Dafür jedoch muss man offen mit ihnen umgehen, meint GEO-Redakteur Jürgen Schaefer. Langfristig führe Fehlerfreundlichkeit zum Erfolg - wenn man auf eine bestimmte Art mit ihnen umgeht.
Fehler sind lästig, peinlich und manchmal auch gefährlich, sagt Jürgen Schaefer, aber Fehler sind nicht nur unvermeidbar, sondern sie sind Quell der Kreativität. „Lob des Irrtums" heißt sein neues Buch, in dem der Journalist den richtigen Umgang mit dieser allzu menschlichen Schwäche einfordert. Denn schon das Gehirn sei nicht darauf ausgelegt, perfekt zu sein. Durchmogeln würde reichen. Und so verlassen sich viele Menschen, wenn es komplex wird, eher auf ihr Bauchgefühl und nicht auf systematisches Nachdenken. Das, so Schaefer, bestätigen auch Versuche: Bei einer Versteigerung boten Studenten drei Mal mehr Geld, wenn sie vor der Veranstaltung die Zahl 99 statt einer 10 gesehen hatten.
Und Professoren, die Mitte der 1980er um Zukunftsprognosen gebeten wurden, hatten den subjektiven Eindruck, mit ihren Vorhersagen richtig gelegen zu haben. Und dass obwohl sich zeigte, dass ihre Prognosen seltener zutrafen als im statistischen Mittel erwartet. Das ist zwar alles nicht neu und war in letzter Zeit auch Thema zahlreicher Sachbücher, aber Jürgen Schaefer hat das Wichtigste kurz, verständlich und unterhaltsam zusammengefasst.
Lob der Checkliste
Die menschliche Fehlerneigung wird aber dann gefährlich, wenn sie auf Technik stößt. 1935 stürzte der Prototyp des damals modernsten Flugzeugs ab, weil der Pilot vergessen hatte, das Höhenruder zu entriegeln. Seitdem ist kein Cockpit mehr ohne Checkliste und Abstürze sind vergleichsweise selten. Checklisten haben auch die Sterblichkeit auf Intensivstationen gesenkt. Es gibt also Wege, mit Fehlern umzugehen. Mehr noch: Wissenschaft lebt von Fehlern, so Schaefer. Denn nur wenn bei einem Experiment etwas Unvorhergesehenes passiert, kann man auch Neues entdecken. Und auch die Evolution ist ohne Fehler undenkbar. Denn erst durch Mutationen entwickeln sich immer wieder neue Lebensformen.

Und so fordert Jürgen Schaefer ein Umdenken: Perfektionismus führe in eine Sackgasse. Fehlerfreundlichkeit dagegen zum Erfolg. So sollen bei Google 80 Prozent aller Erfindungen Flops sein, aber mit den anderen 20 Prozent verdiene der Internetriese richtig Geld. Der Autor empfehlt deshalb eine offen Umgang mit Fehlern, denn sonst machen Menschen im Zweifel lieber gar nichts. Probleme werden vertuscht statt gelöst. Verantwortung wird delegiert, bis am Ende niemand mehr zuständig ist. Vielmehr komme es darauf an, die unvermeidlichen Fehler zu finden und zu korrigieren, bevor sie zu ernsten Schwierigkeiten führen.
Ermutigung, gelassener mit Fehlern umzugehen
Fehlerfreundlich nennt Jürgen Schaefer diese Strategie, die aber auch an Grenzen stößt. Etwa dann, wenn eine allzu menschliche Unachtsamkeit in eine Katastrophe führen könne. Beispiel: Atomkraft. Die in den Augen genau deshalb unverantwortlich sei. Leider argumentiert Jürgen Schäfer gerade in diesem Punkt selbst mit Bauchgefühlen und weniger mit überzeugenden Argumenten. Überhaupt setzt er in seinem Buch vor allem auf überraschende Anekdoten, der rote Faden geht darüber gelegentlich verloren. Aber das ist auch schon der einzige Fehler in diesem ansonsten empfehlenswerten Buch, vor allem auch weil Schaefer seine Leserinnen und Leser auch dazu ermutigt, gelassener mit den eigenen Unzulänglichkeiten umzugehen.

Jürgen Schaefer: Lob des Irrtums - Warum es ohne Fehler keinen Fortschritt gibt
C. Bertelsmann Verlag, München 2014
256 Seiten, 19,99 Euro