Sachbuch

Rundumschlag für eine bessere Welt

Al Gore bei einer Podiumsdiskussion
Wäre fast US-Präsident geworden, jetzt ist er vor allem Umweltaktivist: Al Gore © picture-alliance / dpa
Von Johannes Kaiser · 09.06.2014
Seitdem er die US-Präsidentschaftswahl gegen George W. Bush verloren hat, widmet sich Al Gore dem Umweltschutz. In seinem neuen Buch stellt er anschaulich alle Probleme zusammen, die in den kommenden Jahren auf der Agenda stehen sollten.
Reiche Spender und Wirtschaftslobbys beherrschen die politische Entscheidungsfindung auf unanständige Art und drohen, die Integrität und Funktionsfähigkeit der amerikanischen Demokratie zu zerstören, schreibt Al Gore. Herbe Kritik von jemandem, der selbst einer der mächtigsten US-Politiker war. Und trotzdem Al Gore legt mit seinem neusten Buch eine geradezu verstörende Abrechnung mit der amerikanischen Gesellschaft vor: Zu enormen Innovation fähig, bestünden aber massive Defizite in der Bewältigung der dringendsten Probleme. Probleme, die der Autor in sechs Kapitel auf über 600 Seiten in enormer Detailfülle aufführt.
Kein Thema bleibt unerwähnt
Dabei bleibt kein Thema unerwähnt. Schließlich geht es um nicht weniger als die Zukunft. Und so erstaunt, dass trotz zahlreicher Kritik von Seiten des Autors, Lösungsvorschläge und gesellschaftliche Visionen fehlen. Al Gore beschwört die Rückkehr zu einer echten, nicht von übermächtigen Wirtschaftsinteressen beherrschten Demokratie. Sein Buch ist so in erster Line eine Warnung vor voraussehbaren Fehlentwicklungen und kein Zukunftsentwurf.
Kluft in der Gesellschaft wird immer größer
Wir stehen, so Al Gore, vor der Schaffung einer Welt AG. Das Outsourcing sowie das Robosourcing, die Verlagerung der Arbeit auf vollautomatische Produktionsstätten, die Erfindung neuer Rohstoffe wie die Nanotechnologie, der 3-D-Druck – all dies werde die Wirtschaft massiv verändern, Arbeitsplätze vernichten und die Kluft zwischen arm und reich drastisch erweitern. Eine Art ‚Weltgehirn' entwickele sich so: Mobile Geräte und Internet schaffen neue Formen der Wissensvermittlung und des weltweiten Informationsaustausches, bergen zugleich aber die Gefahr individueller Überwachung. Unglaublich, dass kein Wort über die Spähaktionen der NSA zu finden ist, die bei der amerikanischen Publikation des Buches wohl noch unbekannt waren, jetzt aber im Vorwort in der deutschen Ausgabe hätten erwähnt werden müssen.
Von der EU erwartet Gore nur wenig
Im Kapitel ‚Machtfragen' beklagt Al Gore vor allem den wirtschaftlichen und politischen Niedergang der USA, die ihre weltweite Führungsrolle verlieren. Von der EU erwartet er wenig, als Konkurrenten sieht er China und Indien, und warnt zudem vor der zunehmenden Macht der multinationalen Konzerne. In ‚Auswüchse' geht es um die negativen Erscheinungen des Wachstumsfetischismus angefangen bei der Bevölkerungsexplosion über die Ressourcenknappheit bis hin zur Wohlstandsschere.
Das spannendste Kapitel ‚Die Neuerfindung von Leben und Tod' befasst sich mit den Chancen einer personalisierten Medizin und den Weiterentwicklungen genetischer Eingriffe in Mensch, Tier und Pflanze. Der Autor beklagt, dass ethische Maßstäbe fehlen und warnt vor den Folgen unbedachter Freisetzungen künstlicher Organismen. Im letzten Kapitel, ‚Abgrund' listet er noch einmal detailliert alle Umweltbedrohungen auf, die durch den Klimawandel drohen.
Al Gores Rundumschlag fasst noch einmal prägnant und anschaulich alle Probleme zusammen, mit denen wir uns in den nächsten Jahrzehnten auseinanderzusetzen haben. Wenngleich: Neu ist das alles nicht.

Al Gore: Die Zukunft – Sechs Kräfte, die unsere Welt verändern
Aus dem Englischen Anne Emmert, Thomas Pfeiffer und Werner Roller
Siedler Verlag, München 2014
614 Seiten, 26,99 Euro