Sachbuch

Neuauflage einer Medienschelte

Von Tabea Grzeszyk  · 19.08.2014
Joris Luyendijks Abrechnung mit der Auslandsberichterstattung erschien erstmals 2006 - und löste ein Donnerwetter aus. Dass das Buch nun neu aufgelegt wird, verheißt nichts Gutes. Die sozialen Medien hätten zwar das Monopol der Medien gebrochen, so Luyendijk, doch in der Nachrichtenproduktion habe sich kaum etwas verändert.
Dass dieses Sachbuch im Jahr 2014 eine Neuauflage erfährt, ist streng genommen eine Katastrophe. Hat sich wirklich nichts verändert? Joris Luyendijks Abrechnung mit der Auslandsberichterstattung aus dem Nahen Osten erschien erstmals 2006 in den Niederlanden und löste ein Donnerwetter aus. Der ehemalige Nahost-Korrespondent wurde als "Journalist des Jahres" gefeiert, doch die Reaktion seiner ehemaligen Chefredakteure war "eine bestürzende Mischung aus Schulterzucken, Beschwichtigung und Ratlosigkeit", notierte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 2007, als das Sachbuch in deutscher Übersetzung herauskam. Was war geschehen?
"Von Bildern und Lügen in Zeiten des Krieges" handelt von den alltäglichen Bedingungen, unter denen Joris Luyendijk fünf Jahre als Auslandskorrespondent für niederländische Tageszeitungen und einen Rundfunksender aus Kairo, Beirut und Ost-Jerusalem berichtet hat und gewährt einen schockierenden Blick hinter die Kulissen der medialen Wahrheitsproduktion: "Ich hatte mir einen Korrespondenten immer als eine Art Echtzeit-Historiker vorgestellt", schreibt Luyendijk. "Wenn irgendwo etwas Wichtiges geschah, zog er los, ging der Sache auf den Grund und berichtete darüber. Aber ich zog nicht los, um irgendeiner Sache auf den Grund zu gehen. Das hatten andere längst erledigt. Ich zog nur los, um mich als Moderator an einen Originalschauplatz hinzustellen und die Informationen aufzusagen."
Agenturmeldungen vor Ort zusammenfassen
Es ist ein altbekanntes Problem, dass die Redaktionen in der Heimat über den Nachrichtenwert einer Geschichte entscheiden und die Arbeit des Korrespondenten oftmals darin besteht, Agenturmeldungen vor Ort zusammen zu fassen. Auch das Risiko einer manipulierten Berichterstattung förderte spätestens der Irakkrieg zutage, als "embedded journalists" Seite an Seite mit amerikanischen Soldaten das Geschehen aus nur einer Perspektive schilderten.
Doch haben sich heute die Bedingungen der Berichterstattung aus dem Ausland nicht grundlegend verändert? Stellen nicht YouTube, Facebook oder Twitter alle nur erdenklichen Bilder und Gegenstimmen aus aller Welt bereit? Und hat der "Arabische Frühling" nicht eine Reihe arabischer Diktaturen hinweggefegt und der internationalen Berichterstattung eine neue Richtung gegeben? Kurz: Ist Joris Luyendijks selbstkritische Medienschelte nicht obsolet geworden?
"Die Demokratisierung der Technologie hat das Monopol der Medien auf Erzeugung und Verbreitung von Bildern für alle Zeit gebrochen", schreibt Luyendijk im Vorwort zur Neuauflage. "An der Erstellung ihrer Beiträge hat sich seit dem Jahr 2006 allerdings kaum etwas verändert, was bedeutet, dass die allermeisten der in diesem Buch beschriebenen Mechanismen immer noch existieren."
Anekdotenreiche Pflichtlektüre
Werfen Palästinenser Steine, weil eine Kamera da ist - oder ist die Kamera da, weil Palästinenser Steine werfen (während ein geschäftstüchtiger Falafel-Verkäufer in der zweiten Reihe seine Imbissbude aufstellt)? Ist die Großaufnahme von jubelnden Irakern beim Einmarsch amerikanischer Truppen auf CNN eine Ente, wenn sich die "Menge" in der Totalen auf Al-Jazeera als Gruppe vereinzelter Sympathisanten darstellt (die beiden Kamerateams vom Pressezentrum im "Sheraton"-Hotel vermittelt wurde)?
Mit Blick auf die heutigen Krisenherde in der Ost-Ukraine, im Gazastreifen und dem Irak steht zu befürchten, dass Joris Luyendijks Zweifel an den Bedingungen der Nachrichtenproduktion nichts an Brisanz eingebüßt haben. Ein deprimierend aktuelles Buch, das sich dank einiger Selbstironie und einem Blick für die Absurditäten inmitten von Kriegsschauplätzen spannend liest wie ein tragikomischer Krimi. Eine anekdotenreiche Pflichtlektüre für den mündigen Nachrichtenkonsumenten.

Joris Luyendijk: Von Bildern und Lügen in Zeiten des Krieges
aus dem Niederländischen von Anne F. Middlehoek
aktualisierte Neuauflage
Tropen-Verlag, Stuttgart 2014
256 Seiten, 9,95 Euro

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