Sachbuch

Aufstand mithilfe der Poesie

Der Künstler Joachim Römer liest in einem Brief aus einer Flaschenpost.
Die heutige Sprachvergewaltigung, zwänge alle sozialen Beziehungen in Marktbegriffe. so Franco 'Bifo' Berardi, dagegen stemme sich die Poesie. © dpa / picture alliance / Oliver Berg
Von Eike Gebhardt · 02.04.2015
Nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Kultur sei weltweit in der Krise, so der italienische Marxist Franco 'Bifo' Berardi in "Der Aufstand". Auch die Sprache unterliege den Zwängen des Neoliberalismus, dem setzt Berardi die Kraft der Poesie entgegen.
Es ist eine unverhohlene Aufforderung zum Aufstand, deren kulturhistorische Vorläufer Berardi hier ausbreitet. Während vor einigen Jahren Stephane Hessels Kampfschriftbestseller "Empört Euch!" jedes solide theoretische Unterfutter fehlte, spannt Berardi die Fäden aus ganz verschiedenen Gesellschaftsbereichen zusammen, von der Wirtschaft bis zu den gegenwärtigen Kommunikationsformen, von der kollektiven Psyche und ihren Mythen bis zu den überall aufscheinenden gesellschaftlichen Verweigerungsformen.
Ausgangspunkt ist die längst und allerorten akzeptierte These von der durchökonomisierten Gesellschaft – zu der es ja angeblich "keine Alternativen" gibt. Der konkrete Nutzen von Dingen oder Tätigkeiten werde zunehmend irrelevant vor ihrem Markt- und Geldwert, es gebe keinen objektiven Wert für sie; alle Lebensäußerungen, bis hin zur Selbstoptimierung, sollen sich der Verwertungslogik fügen, so der italienische Marxist Berardi. Wir sind, weltweit, mitten in einer Krise nicht nur der Wirtschaft, sondern der Kultur und der sozialen Imagination, glaubt Berardi. "Die Herrschaft des Rechts ist zu Ende, denn der deterritorialisierte Finanzkapitalismus ist für das Gesetz so wenig sichtbar wie erreichbar." Dieser habe "all seine Bemühungen auf die Zerstörung dieser europäischen Besonderheit" gerichtet, nämlich "das historische Vermächtnis des Humanismus, der Demokratie und der sozialen Solidarität."
Dagegen erhöben sich, ebenso weltweit, 1001 soziale Bewegungen. Berardi fügt ihren Thesen eine originelle, allerdings reichlich kühne Analogie hinzu: Die neoliberale Deregulierung entkoppele ihre Finanztransaktionen nicht nur von staatlicher Kontrolle sondern sogar von der materiellen Produktion; sie sei ein selbstreferentielles System geworden. Ähnliches geschehe mit der Sprache: Spätestens seit dem Symbolismus habe sich die Sprache von geltenden Sinnzusammenhängen gelöst, sie beziehe sich nicht mehr notwendig auf Dinge oder Menschen, sondern sei zu einem in sich geschlossenen Symbolsystem geworden. Sprache und Objekt seien so getrennt wie Geld und Gegenstand, wie Tauschwert und Gebrauchswert.
"Von der Entfremdung zur Autonomie" lautet Berardis Programm
Gegen diese Sprachvergewaltigung, die alle sozialen Beziehungen in Marktbegriffe zwängt, setzt Berardi die "Poesie [als] Erneuerung des Unbestimmten", sprich: der selbstbestimmten Gestaltungsräume. Erst nach der Befreiung von der sprachlichen Zwangsjacke des Neoliberalismus kann eine neue Körperlichkeit (wie Berardi es nennt), also wieder ein konkreter Zusammenhang zwischen Sprache und Dingen entstehen, der sich dann nicht mehr der allgemeinen diskursiven Mitbestimmung entziehen kann. Wo jedoch, wie heute im globalen Maßstab, "die Ökonomie ... in eine Natur oder Theokratie verwandelt worden ist", sei die Sprache ideologisch leicht zu manipulieren, das heißt mit den gewünschten Bedeutungen (und entsprechenden Handlungsmotiven) aufzuladen. Die herrschenden Ideen (und Begriffe/Sprache) seien eben die Ideen der Herrschenden. "Von der Entfremdung zur Autonomie", lautet dementsprechend auch Berardis Programm, leitmotivisch schon in früheren Werken.
Dass nun ausgerechnet die Poesie uns befreien soll, wie Titel und Text suggerieren, beruht hier einzig auf jener Diagnose der Entkörperlichung und Dissoziation der Sprache. Berardis Referenz-Philosophen Deleuze und Guattari (mit dem er zusammenarbeitete), besonders deren Kapitalismus und Schizophrenie, klingen unverkennbar durch: Statt blinden Vollzugs von Vorgaben soll das schwer zu steuernde "Begehren" verhindern, dass Körper und Seele verkümmern, der nie ganz steuerbare Sprachüberschuss der Poesie – "nicht das Chaos, wohl aber eine Komposition des Chaos" – biete sich an als Königsweg zur wiedergewonnenen Selbstbestimmung. "Der Aufstand der Zukunft wird die Wiederbelebung des gesellschaftlichen Körpers und des 'general intellect' bedeuten, also die weltweite Rekonstruktion des Gehirns und des Körpers." Zumindest letzterer lässt sich wohl schwerer betrügen, vermutete Adorno.
Franco 'Bifo' Berardi: Der Aufstand - Über Poesie und Finanzwirtschaft
Matthes & Seitz, Berlin 2015
192 Seiten, 22,90 Euro
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