Sachbuch "Alleiner kannst du gar nicht sein"

Wie einsam macht Politik?

18:32 Minuten
Ein Securitymann im Anzug steht vor einem gepanzertem Auto. (Symbolbild)
Nur wenige Freundschaften überdauern den politischen Betrieb: Zu groß ist die Konkurrenz.(Symbolfoto) © Getty / OJO Images RF
Peter Dausend und Horand Knaup im Gespräch mit Christian Rabhansl · 07.11.2020
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Aggressionen, Gewaltandrohungen, Einsamkeit: Wie Bundestagsabgeordnete mit den Härten ihres Berufs zurechtkommen, haben die Journalisten Peter Dausend und Horand Knaup in den Gesprächen für ihr Buch "Alleiner kannst du gar nicht sein" erfahren.
Die politische Debatte erscheint zunehmend vergiftet – angesichts eines Tonfalls im Parlament, der ziemlich rau geworden ist. Außerhalb des Bundestags sehen sich Volksvertreterinnen und Volksvertreter in Extremfällen sogar mit Morddrohungen oder Vergewaltigungsfantasien konfrontiert.
Was das mit den Menschen im politischen Betrieb macht, wie sie die zunehmende Aggression erleben, darüber haben zwei Journalisten mit vielen Abgeordneten gesprochen. Peter Dausend ist politischer Korrespondent und Kolumnist der Wochenzeitschrift "Die Zeit" in Berlin. Der freie Journalist und Autor Horand Knaup schrieb lange aus dem Hauptstadtbüro für den "Spiegel". "Alleiner kannst du gar nicht sein" heißt das Buch, das die beiden gemeinsam verfasst haben.

"Die Männerdominanz spielt eine Rolle"

Eine Erkenntnis darin ist: Gerade Frauen im Bundestag bekommen diese vergiftete Atmosphäre besonders heftig zu spüren. Dass die Dominanz der Männer zugenommen habe, erkenne man schon daran, dass der Anteil der Volksvertreterinnen im aktuellen Bundestag deutlich niedriger ist als in der Wahlperiode zuvor, erklärt Peter Dausend, das habe die Atmosphäre grundlegend verändert.
"Die Männerdominanz spielt eine Rolle. Sobald beispielsweise im Bundestag eine Frau ans Mikrofon tritt, also im Plenum oder auch in ihrer eigenen Arbeitsgruppe, in der Fraktion oder bei einer Fraktionssitzung, so sagen uns alle Frauen durch alle Parteien hindurch, wird es lauter. Die Männer fangen an zu tuscheln, drehen sich um, reden miteinander oder schauen auf ihr Handy, zeigen demonstratives Desinteresse", beschreibt Peter Dausend die Situation.
Die beiden Autoren verdeutlichen das im Buch mit einem historischen Vergleich. Als die Grünen-Politikerin Waltraud Schoppe in ihrer Premierenrede 1983 den Sexismus im Bundestag beklagte und forderte, dass die Vergewaltigung in der Ehe endlich unter Strafe zu stellen sei, johlten die Männer im Plenum und klopfen sich vor Lachen auf die Schenkel.

"Das ist richtig regressiv, was da stattfindet"

Dieses pubertäre Johlen und Schenkelklopfen sei heute wieder zurückgekehrt, sagt Peter Dausend, das habe man zum Beispiel in einer Debatte zum Thema Ferkelkastration beobachten können: "Da stellten sich gleich zwei Abgeordnete der AfD hin und haben gesagt, was wollt ihr eigentlich, was soll ich jetzt eigentlich sagen zu diesem Thema, bei mir ist alles in Ordnung. Ja, und einer von denen hat dann auch noch so demonstrativ unter die Gürtellinie gezeigt."
"Das ist richtig regressiv, was da stattfindet", fügt Horand Knaup hinzu. So gebe es regelmäßig Bemerkungen über die Kleidung von Frauen. Wenn etwa eine Abgeordnete mit einer Lederjacke ins Parlament komme, werde dies kommentiert.
Die Autoren beschreiben im Buch einerseits fantastische Szenen der Solidarität der Frauen untereinander, aber auf Unterstützung vom anderen Geschlecht können sie eher nicht zählen. "Unter den Männern fehlt in der Tat gelegentlich – und das mehr als früher – die Sensibilität für solche Momente. Da ist auf der Strecke etwas verloren gegangen", beklagt Horand Knaup.
Die Grundstimmung im Bundestag habe sich durch den Einzug der AfD prinzipiell verändert, sagt Peter Dausend. "Wir haben ja mit vielen Männern und Frauen gesprochen, vielen Abgeordneten und auch Leuten, die schon ganz lange im Bundestag sind." Auf die Frage nach der größten Veränderung in dieser Phase höre man zum Beispiel: "Mit der AfD ist der alte Sexismus wieder eingekehrt – und es ist sogar Hass in den Bundestag gekommen."

"Man schüttelt das nicht einfach ab"

Dieser veränderte Umgang im Parlament weckt auch in der Öffentlichkeit insgesamt ein Echo. Eklatante Beispiele dafür sind Morddrohungen gegen Abgeordnete oder Vergewaltigungsfantasien gegenüber Frauen im Bundestag. Wie gehen die Betroffenen damit um?
"Sehr unterschiedlich", erzählt Horand Knaup. "Die einen panzern sich ab. Aber jemand wie Claudia Roth, die dann abends nach Hause geht, über die Straße geht und spürt oder hört, dass hinter ihr mehrere Männer gehen, die fragt sich dann schon: Sind das die, die mir letzte Woche eine Morddrohung haben zukommen lassen? Und wie komme ich jetzt möglichst schnell heraus aus dieser Situation?"
Das Buchcover "'Alleiner kannst du gar nicht sein' - Unsere Volksvertreter zwischen Macht, Sucht und Angst" von Peter Dausend  und Horand Knaup ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Peter Dausend  und Horand Knaup, die Autoren von "Alleiner kannst du gar nicht sein", sind langjährige Beobachter des Berliner Parlamentsbetriebs. © Verlag dtv / Deutschlandradio
Auch Karamba Diaby, SPD-Abgeordneter aus Halle, auf dessen Büro geschossen wurde, sei so ein extremes Beispiel. "Er war nicht drin, das Büro stand leer. Aber natürlich nimmt man das mit und schüttelt das nicht einfach ab", sagt Horand Knaup. Man wisse dann als Abgeordneter: "Du bist unter Beobachtung, dich hat jemand auf dem Kieker."
Aber nicht nur gegen Abgeordnete gebe es solche Drohungen. So habe auch eine Politikerin der Grünen Jugend Mails mit sexuellen Gewaltandrohungen geschickt bekommen, berichtet Peter Dausend. "Und wenn sie das bekommt und liest, fragt sie sich, kann ich das überhaupt machen, halte ich das aus? Oder ist die Politik viel zu hart für mich?"
Es bestehe die Gefahr, dass viele junge Leute – vor allen Dingen junge Frauen – vielleicht eine Kehrtwende machen und sagen, ich setze mich dem auf Dauer nicht aus. "Das ist natürlich, was die Qualität des Nachwuchses dann betrifft, auch ein Problem", meint Peter Dausend.

Gefahr politischer Isolation

Aber nicht nur Gewalt und Aggression, sondern auch Einsamkeit macht den Abgeordneten zu schaffen: Politische Isolierung entsteht zum Beispiel, weil Abweichler in allen Fraktionen zum Teil drastisch abgestraft werden.
"Das war eigentlich auch der Ausgangspunkt unseres Buches, die Spannungsfelder auszuleuchten – und zwar wirklich auszuleuchten, auch ein bisschen hintergründiger, in denen sich die Abgeordneten befinden", erklärt Horand Knaup. "Also jeder weiß, ich bin eigentlich nur meinem Gewissen verpflichtet. Wenn ich aber Projekte, Themen, politische Dinge durchsetzen will, dann brauche ich immer Mehrheiten, das schaffe ich nur in einer geeinten Fraktion oder heute in geeinten Fraktionen, weil wir Koalitionen haben."
Den Spagat zwischen Wahlkreis, Ambitionen und Erwartungen der eigenen Basis und ganz anderen Erwartungen der Fraktion in Berlin einigermaßen hinzukriegen, das sei eine der großen Herausforderungen, so Knaup.

"Die wenigsten Freundschaften bleiben bestehen"

Im Buch der beiden wird aber auch deutlich, dass Bundestagsabgeordnete häufig menschlich einsam sind. "Die Hälfte des Jahres verbringen die Abgeordneten in Berlin, sind getrennt von ihrem eigentlichen sozialen Umfeld", beschreibt Peter Dausend einen Teil des Problems.
Zudem seien echte Freundschaften eine Seltenheit, weil es in Berlin unter den Abgeordneten einen permanenten Wettbewerb gebe. "Selbst wenn sie als Freunde oder als gute Bekannte in den Bundestag hineinkommen, irgendwann kämpfen sie, ringen sie, rangeln sie um den gleichen Posten: Ausschussvorsitz, Berichterstatter beim Sachthema, stellvertretender Fraktionsvorsitz, Staatssekretärsposten. Irgendwann stoßen sie aufeinander, und die allerwenigsten kriegen das konfliktfrei hin. Und die wenigsten Freundschaften bleiben bestehen."
Die beiden CDU-Spitzenpolitiker Armin Laschet und Norbert Röttgen nennt Horand Knaup als aktuelles Beispiel: "Die sind damals gemeinsam in den Bundestag eingezogen, kämpfen heute gegeneinander um den CDU-Vorsitz, waren auch schon mal Kontrahenten, als es um den CDU-Vorsitz und die Kandidatur für den Ministerpräsidentenposten in Nordrhein-Westfalen ging. Diese Freundschaft ist schon lange zerbrochen - und es gibt viele Beispiele für zerbrochene Freundschaften."

Peter Dausend, Horand Knaup: "Alleiner kannst du gar nicht sein - Unsere Volksvertreter zwischen Macht, Sucht und Angst"
Verlag dtv, München 2020
464 Seiten, 22 Euro

(hum)
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