Sacharow-Preis für Blogger Raif Badawi

"Das ist natürlich Druck auf Saudi-Arabien"

Ensaf Haidar, Ehefrau des in Saudi-Arabien inhaftierten und mit lebensbedrohlicher Prügelstrafe belegten Blogger und Aktivist Raif Badawi, Straßburg
Raif Badawis Ehefrau Ensaf Haidar in Straßburg © picture alliance / dpa / Patrick Seeger
Von Jochen Stöckmann · 18.12.2015
Das Europäische Parlament hat den Sacharow-Preis an den in Saudi-Arabien inhaftierten Blogger Raif Badawi vergeben. Über die Folgen der Ehrung sprach seine Ehefrau Ensaf Haidar bei einer Podiumsdiskussion in der Berliner Akademie der Künste.
"Also Raif hat am Anfang eine Website gegründet. Es waren keine politischen Diskussionen im engeren Sinne. Aber man hat über die Rechte der Frauen gesprochen, über die Menschenrechte."
Ensaf Haidar setzt sich aus dem kanadischen Exil für ihren in Saudi-Arabien inhaftierten Mann, den Blogger Raif Badawi ein. Ehrungen wie der Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments machen auch sein Buch bekannt – übersetzt in fünf Sprachen. Dieser Rückgriff auf ein klassisches Medium hat seinen Grund auch in der Reaktion der saudi-arabischen Internet-Community:
"Also die Reaktion? Ich kann nicht von einer Reaktion sprechen, weil die meisten Teilnehmer in diesem Forum sich anonym beteiligt haben."
International ist der "Fall Badawi" längst zum Politikum geworden: Allzu großes Menschenrechtsengagement könnte die Beziehungen zum wirtschaftlichen und militärischen Bündnispartner Saudi-Arabien belasten. Alexander Graf Lambsdorff, Vizepräsident des Europäischen Parlaments:
"Da gibt es immer einen Interessenkonflikt, vollkommen klar. Wir kritisieren bei den USA auch, dass sie die Todesstrafe haben, trotzdem sind sie ein wichtiger Verbündeter. Dennoch, bei Saudi-Arabien handelt es sich wirklich um extreme Strafen, die dort verhängt werden. Und wir erinnern Saudi-Arabien in aller Deutlichkeit an seine Verpflichtungen aus dem internationalen Recht, an die es sich zu halten hat."
Michael Brand: Diplomatie statt Druck
Pochen auf Paragraphen also. Keine wirtschaftlichen Sanktionen oder außenpolitischer Druck. Auch Michael Brand, Vorsitzender des Bundestagsausschuss für Menschenrechte, setzt eher auf Diplomatie – und Pragmatismus. Für ihn verbietet sich Prinzipienreiterei, wie sie im Februar bei der Abstimmung über strittige Formulierungen in einer Badawi-Resolution des Europaparlaments zu hören war:
"Auf diplomatischen Wegen darf man die Dinge nicht unter den Tisch fallen lassen. Aber diesen Mittelweg zu versuchen: Für mich ist nicht wichtig, ob jemand sich wohlfühlt mit seiner Wortwahl hier im Westen, ob nun im Europäischen Parlament oder im Deutschen Bundestag, sondern es muss demjenigen helfen, der in der Not ist unter schwierigsten Bedingungen."
Auch Ensaf Haidar versucht, die Zwickmühle von stiller Diplomatie und möglichst lautstarker Mobilisierung der Öffentlichkeit zu vermeiden, hat allerdings ihre Prioritäten:
"Wenn ein Politiker im Verborgenen hinter den Kulissen sich für Raif Badawi einsetzt – davon weiß ich nichts, daraus kann ich keine Hoffnung schöpfen. Aber die öffentliche Unterstützung, die ich bekomme, das zeigt mir, das sagt mir: Raif Badawi wird geehrt im Ausland. Und das ist natürlich ein Druck auf Saudi-Arabien."
Internet erlaubt, öffentliches Kino verboten
Derzeit sind Internet und soziale Medien zugelassen, öffentliches Kino aber bleibt verboten. Über solche Widersprüche kann man lange räsonieren – oder kurzentschlossen die Situation analysieren, um Ansätze für eine praktikable Menschenrechtspolitik zu finden. Michael Brand:
"Die Stellschraube ist der König in Saudi-Arabien. Aber ich glaube, dass es gut war, dass ganz viele Kenntnis genommen haben, dass über die sozialen Medien, über Internet die Bilder Verbreitung gefunden haben, die schrecklichen Bilder, wie er öffentlich unter großem Applaus ausgepeitscht worden ist. Wenn das nicht passiert wäre, dann würden viele gar nichts wissen über dieses Schicksal. Und auch über viele andere Schicksale: sein Anwalt ist in Haft, andere, die sich um freie Meinungsäußerung in Saudi-Arabien bemühen."
Fast möchte man, mit Blick auf Andrej Sacharow als Namensgeber des Preises, von "Dissidenten" sprechen, Oppositionelle wie zu Zeiten der Blockkonfrontation. Ist Saudi-Arabien ein ähnlich hermetisches System wie seinerzeit die Sowjetunion? Alexander Graf Lambsdorff:
"Ich würde nicht die Blockkonfrontation des Kalten Krieges vergleichen mit der aktuellen Lage. Die ist vielschichtiger, zum Teil auch verwirrender. Insbesondere auch für Bürgerinnen und Bürger, die versuchen nachzuvollziehen, warum man mit einem Land so umgeht bei der einen Sache und so bei einer anderen. Nehmen wir nur Russland auf der einen Seite mit dem Ukraine-Konflikt und auf der anderen Seite mit der Syrien-Krise. Länder können gleichzeitig Partner und Gegenstand von Kritik sein. Ich glaube, das ist bei Saudi-Arabien auch der Fall."
"In der ganzen Welt verbreiten"
Und deshalb braucht es – zur Aufklärung von Bürgern wie Politikern – kulturelles Verständnis:
"Kulturelle Zusammenarbeit, gegenseitige Besuche von Künstlern, Lesungen. Das sind alles Dinge, die werden in der Politik oft unterschätzt. Aber in der Außenpolitik, in der zwischengesellschaftlichen Außenbpolitik, nicht da, wo die Regierungen drin sind, da ist das unglaublich wichtig um neue Gedanken und manchmal auch frischen Wind in Länder hineinzubekommen."
Das versucht auch Ensaf Haidar – mit einer nach ihrem Mann benannten Stiftung. Die sich allerdings nicht nur um diesen einzelnen "Fall" kümmert. Denn neben Salman Rushdie, Edward Snowden oder Chelsea Manning gibt es tausende kritischer Geister, die Hilfe und Unterstützung benötigen:
"Ja, es gibt einen Wettbewerb. Aber Wettbewerb, ob es Meinungsfreiheit ist oder Freiheit der Gedanken, der Wettbewerb, die Konkurrenz kann auch belebend sein. Das heißt, wir haben diese Stiftung nicht nur gegründet für Raif Badawi, sondern um diese Rechte im ganzen arabischen Raum, in der ganzen Welt zu verbreiten."
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