Russischer Politologe: Putin wird sich außenpolitisch als Pragmatiker zeigen

Andrej Sagorski im Gespräch mit André Hatting · 08.05.2012
Der Politologe Andrej Sagorski rechnet in der neuen Amtszeit von Präsident Wladimir Putin mit einer pragmatischen russischen Außenpolitik. Wichtig sei allerdings, wie das erste Treffen zwischen Putin und US-Präsident Barack Obama verlaufe, sagte der Leiter der Abteilung für Abrüstung und Konfliktregelung am Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen in Moskau.
André Hatting: Es ist ein "Bäumchen wechsel dich": Heute wählt das russische Parlament Medwedew wieder zum Ministerpräsidenten, Putin ist bereits als neuer alter Präsident vereidigt – begleitet von heftigen Protesten in der Bevölkerung. Bleibt also alles anders in Russland oder hat dieser Ringtausch mit Ansage doch schwerwiegendere Folgen? Darüber möchte ich jetzt mit Andrej Sagorski sprechen. Er ist Politikprofessor an der Akademie der Wissenschaften in Moskau. Guten Morgen, Herr Sagorski!

Andrej Sagorski: Guten Morgen!

Hatting: Wird dieser Rollentausch zwischen Medwedew und Putin irgendetwas verändern?

Sagorski: Die Erwartung war zu Beginn, dass eigentlich die Ankündigung, dass Putin zurückkommen soll, wenig Veränderungen bringen würde in der russischen Politik, weil eigentlich auch zu Zeiten der Präsidentschaft Medwedews vieles auf den eingefahrenen Wegen gelaufen war. Das war auch der Grund für die Protestbewegung seit Dezember letzten Jahres, denn man will auch mehr Veränderungen haben. Und dem Problem muss sich Putin auch stellen, ob er mehr Veränderungen im inneren, im politischen Bereich wie auch im wirtschaftlichen Bereich wird einführen wollen und können. Das Problem ist natürlich, dass ein Präsident, der das Land schon zwölf Jahre geführt hatte, viel eher auf die bekannten Methoden zurückgreift, und wenn die Sachen in den letzten zwölf Jahren gut gelaufen waren, dann ist die Versuchung sehr groß, keine neuen Methoden einzuführen.

Hatting: Was sind die bekannten Methoden? Unterdrückung der Opposition, Unterdrückung der Meinungsfreiheit, harte Hand?

Sagorski: Also relativ harte Hand – grundsätzlich war der politische Raum sehr eng geworden zu Putins Zeiten, aber auch in der wirtschaftlichen Politik, bei der es am meisten drängt zurzeit in Russland, bei hohen Ölpreisen, da gab es keine Anreize für eine Modernisierung des Landes, eigentlich das Wort, das Medwedew in den Mund genommen hat, aber wenig dazu geleistet hatte. Wenn der Ölpreis hoch bleibt, dann ist die Versuchung auch groß, weiter so zu fahren und das Geld einfach zu verteilen.

Hatting: Putin hat bei seiner Vereidigung gesagt, die nächsten Jahre wären für das Schicksal Russlands auf Jahrzehnte hinaus entscheidend. Ist das nur leeres Pathos, oder was genau meint er damit?

Sagorski: Ich habe das mehrmals von ihm in den letzten zwölf Jahren gehört, aber wenig ist da passiert. Es spricht dabei natürlich die Erwartungen an. Die Frage ist nicht, ob er das verkündigt – das hat er schon mehrmals getan in der Vergangenheit –, was in die Richtung gemacht wird, und das bleibt offen.

Hatting: Welche Baustellen hat Putin vor allem innenpolitisch? Sie haben gerade den Ölpreis und die wirtschaftlichen Probleme schon angesprochen – welche gibt es noch?

Sagorski: Das große Thema ist natürlich zurzeit die angefangene Lockerung des politischen Systems: Vor wenigen Wochen wurde ein neues Parteigesetz verabschiedet, ein novelliertes Parteigesetz verabschiedet, das mehr Freiheit für die Parteigründung schafft, Dutzende von Anträgen liegen an, aber um das parteipolitisches System, insbesondere das Wahlsystem mehr zu lockern, muss mehr gemacht werden. Darum wird halt gerungen, und neben diesem Problem natürlich auch die Bekämpfung der Korruption waren die großen Themen der letzten Monate.

Hatting: Am Sonntag haben Zehntausende wieder gegen Putins Dauerherrschaft protestiert. Wie groß ist eigentlich wirklich der Rückhalt in der Bevölkerung für Putin?

Sagorski: Die Grundeinschätzung ist, die Opposition ist noch zu schwach, um den Machtwechsel herbeizuführen, obwohl das Land natürlich seit Dezember letzten Jahres völlig anders ist. Das heißt, die Grundlage für Putin, bei den Wahlen hat sich das deutlich herauskristallisiert, bei allen Unregelmäßigkeiten, die berichtet worden waren, für Putin stimmen meistens ältere Leute nach 55 Jahren und Leute außerhalb der Großstädte. Das sind die Leute, die entweder keine Veränderung wollen, weil sie regelmäßig Geldrente bekommen haben, oder Leute, die eine radikalere Veränderung fürchten.

Hatting: Herr Sagorski, gegen die Ukraine wird zurzeit lautstark protestiert, Weißrussland ist weitgehend isoliert, nur mit Russland geht der Westen vergleichsweise nachsichtig um, weil man das Land wirtschaftlich braucht. Ist der Westen also daran schuld, mit daran schuld, dass es Putin und Medwedew nicht so genau nehmen mit der Demokratie?

Sagorski: Ich denke, von Schuld kann man hier kaum reden. Das Land ist groß, mit dem Land muss man umgehen, und dem Westen ist klar, glaube ich, bei den meisten Politikern, dass der Westen direkt wenig verändern kann in Russland. In der Tat, auch die Erfahrungen in Belarus und in der Ukraine zeugen davon, dass die Möglichkeiten einer externen Einwirkung auf die inneren Prozesse sehr, sehr beschränkt sind, und Russland ist nicht ein großes Land, nicht energiepolitisch wichtig, aber ein wichtiges Land, und grundsätzlich, mit der Zeit kommt die Veränderung. Die Proteste seit Dezember letzten Jahres haben auch ein Signal gesetzt, denn eigentlich haben sie davon gezeigt, dass die Entwicklung Russlands in die selbe Richtung der Demokratisierung und einer Liberalisierung im Inneren gehen würde, und es heißt weitgehend, nicht schaden, abwarten und helfen, wo es möglich ist.

Hatting: Sie haben gerade gesagt, Russland sei ein wichtiges Land. Was kann man umgekehrt jetzt von Putin wieder als neuem, alten Präsidenten erwarten: Die gleiche Linie in der Außenpolitik wie bisher?

Sagorski: Ich denke hier, wie bei manchen anderen Bereichen können wir auch Überraschungen von Putin erfahren. Wir haben schon mehrere Überraschungen von ihm in den letzten Jahren erfahren. Ich denke, viel wird davon abhängen, wie sich sein erstes Treffen mit Präsident Barack Obama abläuft im Mai dieses Jahres. Viele Durchbrüche würde ich kaum erwarten, aber wichtig wird, ob die Chemie zwischen den beiden stimmt, was nicht unbedingt der Fall sein muss. Der Obama war ziemlich skeptisch gegenüber Putin, auch bei seinem Besuch in Moskau, aber wenn das gut funktioniert, kann das bergauf gehen. Wenn das nicht gut funktioniert, wird Putin sich umschauen müssen, welche anderen Bahnen er einschlagen soll. Auf jeden Fall, der Konfrontationskurs in den letzten Jahren seines früheren Amtes haben ihm wenig geholfen. Die weiche Politik von Medwedew hat auch wenig geholfen, deswegen wird Putin sich etwas einfallen lassen, und er ist nun wirklich ein pragmatischer Außenpolitiker.

Hatting: Sie sagen, er könne möglicherweise einen anderen Weg einschlagen. Aber wenn er die weiche Haltung von Medwedew nicht vertritt und die harte auch nicht so erfolgreich gewesen ist, welche dritte Möglichkeit hat Putin denn?

Sagorski: Ich kann ein Beispiel bringen, die Versöhnung mit Polen, das war etwas, was man von Putin kaum erwartet hatte, und das hat er auf die Art und Weise gemeistert, wo er nach außen auf jeden Fall keine Positionen abgegeben hatte, aber eine deutliche Annäherung mit Polen herbeigeführt hat. Ich denke, Optionen, außenpolitisch hat er auch noch mehrere, denn insbesondere in der Zeit der Finanzkrise und der Eurokrise ist die Attraktivität in der engeren Beziehung mit der Europäischen Union etwas weniger als zu Beginn der Putin-Ämter. Er wird natürlich auch andere Möglichkeiten erschließen, das sind die neuen, aufsteigenden Mächte wie China, Indien und Brasilien, die BRICS, nicht als Alternative, aber als Gleichgewicht zu seiner westlichen Politik.

Hatting: Medwedew wird wieder Regierungschef, Putin ist wieder Präsident. Was das für Folgen hat, darüber sprach ich mit Andrej Sagorski. Er ist Professor an der Akademie der Wissenschaften in Moskau. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Sagorski!

Sagorski: Gerne, Wiederschauen!

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