Rumänische Pfingstgemeinde in Berlin

Ein Ort der Geborgenheit für Roma

Eine Frau betet in der Kathedrale St. Nikolaus in Freiburg im römisch-katholischen Bistum Lausanne, Genf und Freiburg in der Schweiz. (aufgenommen 2013)
Eine Frau betet in der Kathedrale St. Nikolaus in Freiburg © imago/epd
Von Antje Stiebitz · 15.05.2016
Drei Mal in der Woche trifft sich die rumänische Pfingstgemeinde in einer Kirche in Berlin-Neukölln. Sie wird vor allem von Roma besucht. Hier finden sie etwas, was sie anderswo nur selten erfahren: ein Stück Geborgenheit und spirituelle Heimat.
"Die Predigt ist wunderschön, die Lieder sind wunderschön und was drum herum passiert. Es ist was ganz anderes als normale Kirche hier in Deutschland. Man spürt die Wärme hier. Es ist was besonders hier, die Menschen untereinander lieben sich. Sie verstehen sich untereinander."
"Wir beten, singen, alles was ich mache, ich mache von Gott."
"Klauen, Rauchen, Alkohol trinken, das ist verboten für uns. Das ist eine gute Religion."
"Wir (lacht) lieben Gott, viel lieben Gott."
Dreimal in der Woche feiern die Gläubigen der rumänischen Pfingstgemeinde in Berlin Gottesdienst. Sie nutzen dafür die Räume der Martin-Luther-Kirche im Stadtteil Neukölln. Unter der Woche sind für den Gottesdienst zwei Stunden angesetzt, am Sonntag sind es drei.
Im zweiten Stock der Martin-Luther-Kirche spielen die Musiker der Gemeinde bereits Keyboard und Akkordeon. Sie sitzen gleich neben dem Stehpult, an dem nur wenig später gepredigt wird. Nach und nach finden sich die Gläubigen ein. Ein Gang trennt die aufgestellten Stühle, links nehmen die Frauen, rechts die Männer Platz. Viele der Frauen tragen leichte Chiffon-Kopftücher, die Männer Sakkos. Sie tauschen ein paar Worte mit ihrem Sitznachbarn aus, lauschen der Musik und kommen langsam zur Ruhe. Mit den rund 50 Anwesenden ist der Raum gut gefüllt.
Die meisten der Gläubigen stammen aus dem rumänischen Dorf Fântânele, das 35 Kilometer nordwestlich von Bukarest liegt, und gehören zur Minderheit der Roma. Die Hoffnung auf Arbeit und ein besseres Leben für ihre Kinder hat die Menschen nach Berlin gebracht. Sie kennen sich, unterstützen sich, ihr Umgang miteinander wirkt warmherzig. Inzwischen ziehen ihre regelmäßigen Gottesdienste auch Roma an, die nicht aus dem Dorf Fântânele stammen. Heute sitzen sogar zwei Gäste aus Korea unter den Gläubigen. Ein Mitglied aus dem Gemeindevorstand nimmt das Mikrofon in die Hand und beginnt den Gottesdienst in rumänischer Sprache.

Bibel gilt bis in Wortlaut hinein als unfehlbar

Die Pfingstgemeinden entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts und stehen in der Tradition des Evangelikalismus. Das heißt, dass die persönliche Beziehung zu Jesus Christus, das individuelle Erweckungserlebnis und die Bibel von zentraler Bedeutung sind. Die Bibel gilt bis in den Wortlaut hinein als von Gott inspiriert und damit unfehlbar. Die konservative christliche Bewegung der Pfingstler ist weltweit auf dem Vormarsch. Schätzungen ihrer Mitgliederzahlen schwanken zwischen 200 und 600 Millionen Menschen. In Deutschland wird von rund 300.000 Mitgliedern ausgegangen.
Zum Gebet hat sich die rumänische Gemeinde von ihren Stühlen erhoben. Alle sprechen frei und durcheinander, das Stimmengewirr wird immer intensiver.
Einige der Gläubigen bedecken ihre Augen mit einer Hand, während sie sprechen. Andere blicken zu Boden. Manche der Frauen wischen sich immer wieder mit einem Taschentuch über die Augen, einige wenige halten ihre Hände in die Höhe. Es wirkt, als würde hier die emotionale Erregung der Menschen gelöst und befreit.
Die Gottesdienste der Pfingstgemeinden sind nicht nur von Musik und Gesang, sondern auch von freiem Gebet und Glossolalie, der Zungenrede geprägt. Dabei sprechen die Gläubigen für andere und sie selbst meist Unverständliches, das als besondere Gebetssprache gedeutet wird. Nicht alle Gläubigen hätten die Fähigkeit der Zungenrede, erklärt der Pastor Marian Roman später, sie sei ein Zeichen, dass die Person mit dem heiligen Geist getauft sei.

Gemeinde hat existentielle Bedeutung

Der 39-Jährige beantwortet Fragen gerne mit Bibelzitaten, auch die nach der Bedeutung von Pfingsten für die Pfingstgemeinden
"Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab."
Den hohen Stellenwert der Bibel für viele Roma kann auch der Psychologe Pavao Hudik bestätigen. Er betreut seit vielen Jahren im Südost Europa Kulturverein in Berlin-Kreuzberg hilfsbedürftige Roma-Familien und kennt ihre Lebenswelt:
"Die Bibel ist in diesen Familien häufig das einzige Buch, das ich vorfinde. Sie lesen die Bibel, sprechen darüber, analysieren das, ich würde sagen, die Bibel hat für die Entwicklung dieser Familien auch eine evolutionäre Bedeutung. Bringt einige Antworten auf viele Fragen, die sie haben, einfach zur menschlichen Existenz."
Für das soziale Leben der Roma in Neukölln hat die Gemeinde eine große, sogar existentielle Bedeutung, betont Pavao Hudik.
"Erst einmal die Leute versammeln sich, kommen zusammen. In dieser Kirche begrüßen sie die Leute. Unter sich, sie organisieren gemeinsame Feiern. Sie unterstützen sich gegenseitig. Eine gewisse Sicherheit für die eigene Existenz. Und das ist schon was."
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