Ruhe in Frieden

Von Roland Krüger · 07.03.2007
Menschen haben in einem Trauerfall oft das Bedürfnis, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen und den Verlust bekannt zu geben. Hierfür bietet auch das Internet zahlreiche Plattformen. Nicht nur an verstorbene Freunde oder Verwandte wird erinnert, auch liebgewordene Haustiere bekommen eine Ruhestätte auf dem virtuellen Friehof.
"Geburtsdatum unbekannt, Todestag: 22. März 2004, und die am 27. September 2006 angelegte Grabstelle wurde schon 238 Mal besucht."

Wir sprechen von Kiki, einem rötlichbraun-weißen Löwenkopf-Zwergkaninchen. Kiki ist nicht mehr, und weil Kiki eine Ruhestätte auf www.virtueller-friedhof.de gefunden hat, mit Foto, wissen wir ganz genau, was Kiki in den Augen seines Herrchens so einmalig gemacht hat.
Ein Tippfehler muss das Todesdatum von Tessa sein, die Bobtail-Schnauzer-Münsterländer-Mix-Hündin hat laut Eintrag am 20. März 2007 ihre letzte Reise angetreten, da hat sie ja noch ein paar Tage!

"Du warst der erfüllte Wunsch meiner Kindheit, Begleiterin meiner Jugend, niemals vergessen, nun dass ich erwachsen bin! Kann es nicht glauben, dass du mich nicht mehr freudig empfangen wirst, ein Teil meines Lebens, meiner Biographie ist vergangen, verschwunden..."

An einem 1. April um 22 Uhr 16 verfasste Stevey im virtuellen Kondolenzbuch für ein Haustier folgende tröstlichen Worte:

"Ich kann euch gut nachempfinden, wie man sich fühlt, wenn ein großer dicker Liebling fehlt. Bei mir ist es noch nicht mal ein Jahr her und mir geht’s bis heute noch nicht wieder gut."

Der Mensch trauert. Wenn Verwandte, Freunde, Gefährten, ganz gleich, ob Mensch oder Tier, plötzlich nicht mehr da sind, ist das ein herber Verlust, den man gerne teilen oder zumindest bekannt geben möchte.
Kein Wunder also, dass auch im Internet getrauert wird, Trauer ist wie Sehnsucht eins der am intensivsten erlebten Gefühle, sagt Soziologe Professor Frithjof Hager:

"Trauer hängt aber gleichzeitig damit zusammen, dass wir ja auch Erinnerung brauchen, Erinnerungen behalten, und wenn ich auf mein eigenes Gebiet komme, nämlich Kultur, dann muss man sich vor Augen führen, Kultur ist immer Ahnenkult. Wir können ohne Gedächtnis nicht leben, das ist der entscheidende Satz."

"Leo, wieso bist du bloß gegangen? Keiner ist so gut wie du. Hab dich lieb. Viel Spaß auf deinem Heimat Planeten. Deine Nadine."

Dieser Fall ist nicht ganz so tragisch, denn die 14-jährige Nadine trauert virtuell um ein virtuelles Leben: Leo war ihr Tamagotchi, und Leo fand am 14. August 2004 einen mit sieben Gotchi-Jahren frühen Tod. Treu umsorgte Tamagotchis können 98 Jahre werden. (Oder darf man sagen: ...können so alt werden wie Johannes Heesters?) Man darf getrost behaupten, dass Nadine über den Verlust von Leo längst hinweg ist und wahrscheinlich auch bereits Ersatz gefunden hat, denn ein Tamagotchi hat auf der Rückseite eine Taste für eine Neugeburt.

Folgerichtig trauert Nadine ohne viel Schmuck oder Blumen auf einem virtuellen Friedhof in Tabellenform. Aber virtueller Friedhof ist nicht gleich virtueller Friedhof. Menschen, die einen Eintrag auf einer Website verfassen, um an einen Angehörigen zu erinnern, der seit der Tsunami-Katastrophe vermisst wird, haben ganz andere Beweggründe als Tamagotchi-Hinterbliebene.

"So, wie der Nebel und die Blasen aus dem Meer aufsteigen,
und die Seelen derjenigen emportragen, die wir lieben,
so wird der Engel der Hoffnung ihnen helfen, frei zu werden,
und er wird unsere Gebete in den Himmel tragen."

Eine von mehreren virtuellen Gedenkstätten für die Opfer der Tsunami-Katastrophe vom 26. Dezember 2004. Die Betreiber der Website rufen dazu auf, sich in die Kondolenzliste eines Gästebuchs einzutragen oder selbst verfasste Gedichte oder Geschichten, die etwas mit dem Unglück zu tun haben, dort zu verewigen. Ruth aus Norwegen hat die Möglichkeit genutzt:

"Ich habe meine geliebte Schwester durch den Tsunami verloren. Deshalb finde ich es wirklich schön, dass es eine solche Seite gibt. Macht weiter so! Ruth, Norwegen, 26. August 2005."

Wer diese Website anklickt, ist nicht auf der Suche nach stiller Trauer. Die Begleitmusik jedenfalls spielt endlos. Es geht den Besuchern der Seite darum, einen angemessenen Ort für ihre Trauer aufzusuchen. Gerade dann, wenn es keine reale letzte Ruhestätte gibt. Soziologie-Professor Frithjof Hager:

"Wir brauchen Orte, an denen wir uns selber wieder finden. Imaginäre, also der Literatur, des Films und so weiter und reale. Und je mehr wir diese Orte auch halten, pflegen und entwickeln können, umso besser. Ob wir sie immer aufsuchen, das ist nicht der wichtige Punkt, aber zu wissen, dass es diese Orte gibt, ist außerordentlich hilfreich."

Es sind Rituale, die an solchen Orten stattfinden. Und ernst zu nehmende Rituale benötigen nach Auffassung des Soziologen echte Orte, keine virtuellen. Das gilt für Friedhöfe genau so wie für andere Mittel der Erinnerung, etwa Fotoalben:

"Es gibt nicht das Fotoalbum, es gibt das Fotoalbum bei der Oma, bei der man das wiederum als kleines Kind angucken kann, die dann was erzählt, und die dabei gleich irgendwelche Kekse verteilt. Das ist der wichtige Punkt. Und jedes Ritual gehört an einen ganz bestimmten Ort. Der muss real sein. Das kann nicht in dem Sinne der Computer sein, sondern es bedarf eines realen Ortes, an dem man sozusagen sich auch durch ein Ritual dazu versammeln kann. Nun kann man natürlich sagen, klar, man macht n kleines Ritual vor’m Computer, aber in dem Moment, wo ich das sage, merkt man schon, dass das auch lächerlich ist."

Nach Meinung von Frithjof Hager fehlt es virtuellen Friedhöfen an echten Zeit-Merkmalen. Sie verwittern nicht, man sieht ihnen keine Vergangenheit an, sie sind immer gleich. Und: Sie lassen sich viel zu schnell löschen.

Damit so etwas nicht passiert, sollte man seine Seiten nur bei einem guten Internet-Provider ablegen. Dazu rät Siegfried Seiffert, der mit seinem Bruder Dieter die Website www.himmelspforte-seiffert.eu betreibt. Die Abbildung eines realen Friedhofs im Web, der virtuelle Friedhofsbesuch:

"Die Idee ist uns gekommen, als vor anderthalb Jahren unser Vater starb und wir ne sehr große Familie haben, die in Deutschland verteilt ist und die Anfragen dann kamen, na, wir können das Grab gar nicht sehen, zeitliche Gründe, Kosten, krankheitsbedingt. Ob wir mal n Foto schicken können. Und da kam uns die Idee, ne Webseite zu machen, wo wir dann auch das Foto regelmäßig aktualisieren, und so schicken wir’s dann virtuell zu den Freunden und Bekannten."

Für knapp 40 Euro gibt es bei Siegfried und Dieter Seiffert für jedermann die virtuelle Abbildung eines realen Grabs im Internet. Mit Passwort, damit nicht jeder gucken kann und sechs Updates, wenn man das Grab in seinem aktuellen Zustand sehen möchte. Bei Bedarf lässt sich auch die gärtnerische Pflege der Ruhestätte dazu bestellen. Der realen, versteht sich.
Bevor die Brüder Seiffert online gegangen sind, haben sie sich Dutzende virtueller Friedhöfe angesehen. Siegfried Seifferts Fazit:

"Aus meiner Sicht sehr unpersönlich. Aber es war eben so, dass wir dort, bei den virtuellen Friedhöfen denke ich mir wirklich vorreitend sind mit der Idee, das aktuelle Grabfoto einzustellen, weil derzeit finden Sie so etwas nicht im Internet."

Der von den Seifferts geplante reale Tierfriedhof wird schnell nach seiner Eröffnung online gehen. Und auch hier soll es eine kleine Sensation geben, die auf Friedhöfen für Menschen gar nicht erlaubt wäre:

"Dann wird dort ne Webkamera geschaltet, so dass dann diejenigen, die dort ihr Tier haben begraben lassen, auch zu jeder Zeit sehen können, wie’s dort auf dem Friedhof aussieht, und dann wird auch ein virtueller Tierfriedhof entstehen."