Rotation der Bücher

Von Christian Linder · 17.06.2005
Rororo – der Name stand ursprünglich für "rowohlts rotations romane", gedruckt zunächst im Zeitungsformat in Erstauflage von 100.000 Exemplaren und verkauft zum Einzelpreis von 50 Pfennig, als die Zigarette auf dem Schwarzmarkt noch 7,50 Mark kostete oder ein Kilo Kaffee 1.100 Mark. Aus diesen Rotations-Romanen entstand vor 55 Jahren im Rowohlt Verlag die erste deutsche Taschenbuchreihe, rororo, nach dem Vorbild von amerikanischen Pocketbooks.
1950 – was alles passierte denn damals? Willy Schneider sang "Wenn das Wasser im Rhein goldener Wein wär’", Urugay gewann die Fußballweltmeisterschaft, der deutsche Bundestag beschloss den Beitritt zum Europarat - und in Hamburg geschah am 17. Juni eine kulturelle Revolution.

An diesem Tag veröffentlichte der Rowohlt Verlag vier Bücher, Hans Falladas "Kleiner Mann was nun?", Graham Greenes "Am Abgrund des Lebens", Rudyard Kiplings "Dschungelbuch" und Kurt Tucholskys "Schloß Gripsholm" in einer bis dahin in Deutschland nie gesehenen Ausstattung: Es waren die ersten Bücher hierzulande im Taschenformat von 11 x 18 cm, gedruckt in einer Startauflage von 50.000 Exemplaren und bei einem niedrigen Preis von einer Mark fünfzig pro Band für jedermann erschwinglich. Die Idee des Verlegers Ernst Rowohlt war einfach:

" Wir drucken die Bände im Rotationsdruck, allerdings auf aufgebessertem Zeitungspapier, und lassen sie im Lumbeckverfahren binden. Das garantiert eine große Haltbarkeit des Rückens, die Bücher liegen flach auf, und da der deutsche Bücherkäufer gern Halbleinenbände will, haben wir auch einen Halbleinenrücken angewandt. "

Den Lesehunger der Deutschen in den ersten Nachkriegsjahren schätzte Ernst Rowohlt richtig ein. Es war die Zeit, schrieb damals einer der unbotmäßigsten deutschen Nachkriegsschriftsteller - wenn auch kein rororo-Autor - Wolfgang Koeppen,

" als das deutsche Wirtschaftswunder aufging, als die ersten neuen Kinos, die ersten neuen Versicherungspaläste die Trümmer und die Behelfsläden überragten, zur hohen Zeit der Besatzungsmächte, als Korea und Persien die Welt ängstigten und die Wirtschaftswundersonne vielleicht gleich wieder im Osten blutig untergehen würde. Es war die Zeit, in der die neuen Reichen sich noch unsicher fühlten, in der die Schwarzmarktgewinner nach Anlagen suchten und die Sparer den Krieg bezahlten. Die neuen deutschen Geldscheine sahen wie gute Dollars aus, aber man traute noch mehr den Sachwerten, und viel Bedarf war nachzuholen. "

In dieser Zeit, 1949, kam Ernst Rowohlts Sohn Heinrich Maria Ledig-Rowohlt aus Amerika zurück und brachte die Idee von Pocketbooks, Paperback-Bänden mit, von denen in den USA bis dahin 210 Millionen Exemplare verkauft worden waren. Der Erfolg müsste in Deutschland zu wiederholen sein, dachte Ernst Rowohlt.

" Ich gehe von der Voraussetzung aus, dass es wichtig ist, neue Leser durch billige Bücher zu gewinnen. Wir wollen Autoren aus aller Welt bringen, Hemingway, Hamsun, Balzac, Cronin, Zola, Kästner, Sinclair Lewis, Graham Greene und Flaubert. "

Die deutschen Leser, die von 1933 bis 1945 von der internationalen Moderne abgeschnitten waren, an diese Moderne anzuschließen, war vorrangiges Ziel der rororo-Taschenbücher. Schon knapp vier Monate nach Auslieferung der ersten vier Bücher von Fallada, Greene, Kipling und Tucholsky waren bereits 620.000 Exemplare verkauft. Nach Erscheinen des 50. rororo-Taschenbuchs, einer Sammlung von Texten wiederum Kurt Tucholsky, musste Ernst Rowohlt jedoch zugeben, dass das Ziel, ein breites Lesepublikum zu erreichen, nicht erreicht war:

" Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir noch nicht an den so genannten Hartarbeiter herangekommen sind, sondern dass es sich bei dem Käufer der rororo-Bände in der Hauptsache um akademisch gebildete Leser handelt, Ärzte, Juristen und Ingenieure – und vor allem die Jugend, und das ist für mich das allerwichtigste. "

Generationen von Schülern und Studenten haben seit 1950 die billige Art der Informationsbesorgung genutzt, vor allem seit Ernst Rowohlt nicht mehr nur Romane als Taschenbücher druckte, sondern auch Sachbücher innerhalb der ersten, 1955 eingeführten deutschen wissenschaftlichen Taschenbuchreihe "Rowohlts deutsche Enzyklopädie"; 1958 kam die Reihe "rororo-Monographien" hinzu und 1961 die Reihe "rororo aktuell", die mit dem von Martin Walser herausgegebenen Band "Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung?" spektakulär eröffnet wurde.

Natürlich hat der riesige Erfolg Ernst Rowohlt auch Neider gebracht. Er habe unter seinem rororo–Dach ein Sammelsurium unterschiedlichsten Denkens gefördert, lautete der Vorwurf. Ja klar, antwortete Rowohlt, sein Verlag habe kein Gesicht, aber tausend Augen.