Rot-rot-grüne Bildungsinitiative

Begabte fördern - im regulären Unterricht

Matheunterricht in einem Oberstufen-Kurs am Gymnasium.
Matheunterricht in einem Oberstufen-Kurs am Gymnasium: Mädchen, Migranten und Hauptschüler sind häufig unterrepräsentiert in der Begabtenförderung © picture alliance / dpa / Marijan Murat
Von Anke Petermann · 01.03.2016
Begabte Schüler fördern, gemeinsam mit allen anderen: Bildungsminister und -senatoren von SPD, Grünen und Linkspartei setzen auf ein inklusives System. Wie das zu leisten ist, haben sie auf einer Konferenz in Mainz erörtert.
Früher gehörten katholische Mädchen vom Land zur Risikogruppe der Schüler, deren Begabung unentdeckt blieb. Heute sind es immer noch Mädchen, die in der klassischen Begabtenförderung mit Hilfe spezieller Schulen, Klassen oder Programme unterrepräsentiert sind. Genauso wie Migranten und Hauptschüler.
Dass der 25-jährige Kurde Mehmet Doymaz, der vor zehn Jahren mit seinen Eltern aus der Türkei floh, bald seinen Bachelor-Abschluss in Verfahrenstechnik macht, ist also keine Selbstverständlichkeit. Sondern einer aufmerksamen Hauptschullehrerin zu verdanken, die sein Potential trotz seiner sprachlichen Probleme erkannte. Wichtig findet Doymaz,
"scharfen Blick zu haben, um die Diagnose bei den Kindern erfolgreich zu führen. Man kann auch nicht erwarten, dass jeder Lehrer in der Lage sein soll, den Schüler, das Kind, das Potential richtig zu erkennen. Vielleicht müssen sie dafür ausgebildet werden – so richtig. Aber das ist halt bei den meisten nicht der Fall. Ich hatte das Glück, dass die Klassenlehrerin einen scharfen Blick hatte und dass ich auch so ein Gutmensch war, dass ich immer mit den Leuten kommuniziere, und dadurch erreicht man natürlich auch die Aufmerksamkeit und wird man vorgeschlagen."

Lehrer als Perlentaucher

Als Stipendiat der Robert-Bosch- und der Baden-Württemberg Stiftung wurde der Sohn einer Analphabetin und eines Vaters, der nur fünf Jahre die Schule besucht hatte, nicht nur finanziell gefördert, sondern auch methodisch. Was sich tun lässt, damit solche Erfolgsgeschichten nicht Glücksache bleiben? Professor Christian Fischer ist Begabungsforscher an der Uni Münster.
"Man weiß gerade bei Kindern aus sozial benachteiligten Lagen, dass wenn sie erfolgreich sind, sie immer zumindest eine Person hatten, die an sie geglaubt hat, die sie auch begleitet und unterstützt hat. Und das könnten solche Mentoren-Programme sein, die hier unterstützend tätig werden und die Schülerinnen auf ihrem Weg begleiten."
Zwar gibt es gibt erfolgreiche Hochbegabten-Schulen und -Zweige, beschleunigte Oberstufenklassen, spezielle Musik- und Sportgymnasien. Doch überdurchschnittliche viele Akademiker-Söhne nutzen diese Spezialangebote, während Mädchen mit Migrationshintergrund oft schlechte Chancen auf Bildungsaufstieg haben. Es sei denn, sie gehen wie Sumeyye Kaya auf eine Schule, die sich der inklusiven Begabtenförderung verschreibt, wie die Oberschule in Bremen-Tenever. Deren Lehrer verstehen sich als Perlentaucher und halten Ausschau nach Potentialen, die sich nicht auf den ersten Blick offenbaren.

"An meine Leistungsgrenzen geführt"

"Ich werde hier an meine Leistungsgrenzen geführt", sagt das selbstbewusste Mädchen, das ein braunes Kopftuch trägt und das Abitur anpeilt. Chancengleichheit und individuelles Lernen sind wichtige Stichworte in der Mainzer Erklärung, die 13 Bildungsminister von SPD, Grünen und Linkspartei verabschiedet haben. Ties Rabe, sozialdemokratischer Schulsenator in Hamburg:
"Wir haben mit der Mainzer Erklärung klar gemacht, dass Begabungsförderung keine Sache ist von besonderen Schulen, sondern dass sie in jedem Unterrichtsfach, in jeder Schulform, an jedem Tag stattfinden muss und ein selbstverständlicher Bestandteil von Unterricht werden muss."
Die Aus- und Fortbildung von Lehrern soll daher die diagnostischen Fähigkeiten und die Methodenvielfalt stärken. Ein Appell auch an Lehrer, zu kooperieren und im Austausch vielfältige Zugänge zum Stoff zu eröffnen. Das sogenannte "forschende Lernen" erleichtert es Lehrern und Schülern, verschüttete Talente zu entdecken, meint der Münsteraner Bildungsforscher Christan Fischer:
"Wir machen das beispielsweise in Münster so in einem sogenannten Forder- und Förderprojekt, wo sogar schon Grundschüler zu selbst gewählten Themen forschend tätig werden können, eigene Ausarbeitungen realisieren können, also kleine Forschungsarbeiten erstellen, und die dann schließlich auch im Rahmen eines Kongresses für Schülerinnen und Schüler vorstellen."

Begabtenförderung voranbringen

Die Kinder wachsen über sich selbst aus, staunen dann Eltern und Lehrer. Inklusive Begabtenförderung - ein Prozess, der nicht erst mit der Mainzer Erklärung beginnt, damit aber neuen Schwung bekommen soll. Mitinitiator ist Schulsenator Ties Rabe,
"Um das hinzubekommen, wird in Hamburg beispielsweise für jede weiterführende Schule ein Lehrer mit dem Thema der Begabungsförderung beauftragt. Er bekommt auch entsprechende Freistellungsstunden, damit das dann auch Wirklichkeit wird und er sich dann als Transmissionsriemen zu seinen Kolleginnen und Kollegen auf den Weg macht, um diese Besonderheit im Unterricht Wirklichkeit werden zu lassen."
Nur eine Möglichkeit, durchlässige Begabtenförderung voranzubringen.
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