Rot-Rot-Grün als einzige Alternative

Albrecht Müller im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 07.08.2013
Albrecht Müller, Ex-Wahlkampfmanager der SPD, hält eine Koalition aus SPD, Linken und Grünen für die einzige Alternative zur bestehenden Koalition. Rot-Grün alleine sei nicht stark genug. Es sei daher ein Fehler, die Linken zu stigmatisieren und ein Bündnis mit ihnen von vornherein auszuschließen.
Jörg Degenhardt : Wo sind sie, die Politiker mit Leidenschaft, die es auch wagen, in Wahlkampfzeiten Themen anzusprechen, für die es nicht gleich Beifall gibt?

Gesine Schwan, die frühere Kandidatin der SPD für das Amt des Bundespräsidenten, vermisst diesen Politikertyp. Hier bei uns im Programm hat sie sich einen wie Willy Brandt gewünscht. Der hätte nicht nur taktiert, der hätte auch eine Linie gehabt, der hätte schon zu früheren Zeiten etwa eine Dritte-Welt-Politik angesprochen oder die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze.

Einer, der mit ihm noch gearbeitet hat, ist Albrecht Müller, er war Planungschef im Bundeskanzleramt unter Brandt und auch unter Helmut Schmidt. Er hat für die SPD im Bundestag gesessen, mittlerweile ist er auf Distanz zu dieser Partei gegangen. Er ist heute als Autor und als Herausgeber der "Nachdenkseiten" unterwegs. Auch mit ihm wollen wir die Frage erörtern, was steht zur Wahl am 22. September. Guten Morgen, Herr Müller!

Albrecht Müller: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Ohne die Vergangenheit verklären zu wollen, können Sie denn die Sehnsucht von Frau Schwan nachvollziehen?

Müller: Ja, die kann ich sehr gut nachvollziehen, weil sie richtig darauf hinweist, dass man Wahlen eigentlich für eine so große Partei wie die SPD und die anderen, die damit zusammenhängen, nur gewinnen kann, wenn man selbst Themen setzt, wenn man selbst profiliert argumentiert und vor allem Vorschläge macht und den Mut hat, sich auch mit großen Leuten anzulegen.

Was viele vergessen haben, die entscheidende Thematik im Wahlkampf 1972, als die SPD 45,8 Prozent erreicht hat, war die Auseinandersetzung mit dem Einfluss des großen Geldes. Und das können Sie genau auf heute übertragen. Und dann sehen Sie auch, wie armselig die SPD dran ist, wenn sie mit Steinbrück einen Wahlkampf gegen den Einfluss der Banken führen wollte, der Banken auf die Politik. Dann wäre das von vornherein gescheitert, weil alle sagen würden, ja, der ist doch der, der die zusammen mit Frau Merkel die großen Banken gerettet hat.

Degenhardt: Der Finanzminister unter Merkel war. Ja, aber davon abgesehen, von wegen profiliert, ist doch Steinbrück doch durchaus auch ein Typ. Er hat Ecken und Kanten, er ist nicht so glatt wie andere, er hat durchaus auch Humor – warum wird er nicht als Alternative zu Merkel wahrgenommen? Weil er nichts Neues vorzuweisen hat, weil er, wie Sie es angedeutet haben, ja auch in der großen Koalition Dinge mit abgesegnet hat, die er jetzt eigentlich kritisieren müsste?

Müller: Ecken und Kanten ist doch eine Public-Relations-Masche, das hat man gesagt, das habe er, ja. Gut, und er reagiert auch im Gespräch so, aber das sagt ja doch nichts über die Inhalte. Wenn er Ecken und Kanten hätte, dann wäre er zum Beispiel ganz früh schon für eine massive Beschäftigungspolitik eingetreten. Wenn er Ecken und Kanten hätte, dann hätte er nicht die Privatisierungswelle bei den Wohnungen mitgemacht, dann hätte er sich schon von der Agenda 2010 verabschiedet. Das ist nämlich der entscheidende Punkt. Wir haben heute einen Einheitsbrei von Parteien, mit Ausnahme der Linkspartei, und die alle treten für die Agenda 2010 ein, obwohl man nachweisen kann, dass ganz vieles falsch gelaufen ist. Also nehmen Sie gerade mal in Berlin die Privatisierungspolitik, die Deregulierungspolitik auf den Finanzmärkten. Das sind lauter Fehler, die wir dieser Ideologie verdanken, und wenn Steinbrück Ecken und Kanten hätte, dann würde er dagegen antreten, selbst wenn er früher mal anderer Meinung war.

Degenhardt: Kann die SPD jetzt überhaupt noch etwas retten, etwas korrigieren, oder ist das Kind schon endgültig in den Brunnen gefallen?

Müller: Ja, es ist ja sehr seltsam, dass die SPD und auch die grüne Führung auf der Möglichkeit Rot-Grün beharren, obwohl Rot-Grün nach den Umfragen, die ich nicht überbewerten will, in den letzten Monaten nie über 40, 41 Prozent hinausgekommen ist, häufig darunter. Das weiß also jeder, dass das nicht reicht. Und dennoch verweigern diese beiden Parteien die mögliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Das wäre die einzige Chance, überhaupt eine Alternative zu Frau Merkel und ihrer Parteigruppierung Schwarz-Gelb hinzukriegen. Und nicht mal diese Alternative bietet man uns, sondern verweigert sich, dem zu folgen.

Degenhardt: Aber SPD plus Grüne plus Linkspartei, so etwas ist doch der Bevölkerung und den Wählern auch gar nicht zu vermitteln.

Müller: Ja, wieso denn? Das war zum Beispiel in Hessen ja auch vermittelbar, das ist in Mecklenburg-Vorpommern vermittelbar gewesen, das ist doch auch eine Folge einer wirklich gezielten Agitation und einer Stigmatisierung, also eines Heruntermachens der Linkspartei. Wenn man genauso an die FDP heranginge, mit der die SPD ja vielleicht koalieren würde, dann würde doch von der FDP auch nichts übrig bleiben. Also man muss mal sich überlegen, was hier überhaupt in der Öffentlichkeit in Deutschland abgeht, dass eine Partei und ihre Mitglieder gerade auch im Westen einfach ausgeschlossen werden aus der politischen Mitgestaltbarkeit.

Degenhardt: Vielleicht geht es uns Deutschen auch zu gut, Herr Müller, kann das sein? Von der Euro-Krise merken wir noch am wenigsten, und deswegen, behaupte ich mal, bleibt am Ende wahrscheinlich alles so, wie es ist.

Müller: Sie haben schon recht, dass dieser Eindruck erweckt wird, als würde es uns allen gut gehen, aber prüfen Sie das mal selbst, wie das wirklich steht. Ich meine, Sie sind aus einer Generation, wo es ganz viele Leute gibt, die keinen festen Arbeitsvertrag haben. Es gibt bei uns über sechs Millionen Menschen, die aufstocken müssen, um ihre Familie oder sich ernähren zu können. Es gibt drei Millionen Arbeitslose, und da sind schon viele rausgerechnet, de facto gibt es sehr viel mehr. Das stimmt also gar nicht, dass es uns, uns allen, gut geht. Es geht den Meinungsführern gut in der Politik und im Journalismus, aber das kann man doch nicht behaupten für das gesamte Volk.

Degenhardt: Viele sagen ja nun, ich weiß noch nicht, was ich wählen soll, alle Parteien, vielleicht mit Ausnahme der Linkspartei scheinen das Gleiche zu sagen, das Gleiche zu wollen, dann wähle ich halt das kleinste Übel. Oder ist es dann vielleicht doch besser, gar nicht erst hinzugehen ins Wahllokal?

Müller: Also, ich muss gestehen, dass ich zum ersten Mal gut verstehe, dass Leute sagen, ich gehe nicht hin. Und vielleicht wäre es auch wichtig, wirklich eine solche Protestwahl dieser Art zu machen, zu sagen, wenn ich schon nicht die Linkspartei, die aus meiner Sicht auch die einzige ist, in Teilen, leider nicht mehr ganz, die eine Alternative wird, wenn ich die schon nicht wählen kann, dann wähle ich wenigstens auch die anderen nicht. Das wäre wirklich eine Art von Protest, den man überlegen müsste. Und darüber denke ich auch noch nach.

Degenhardt: Herr Müller, nun ist es ja ein Leichtes, auf die Politik und die Politiker zu schimpfen, aber liegt es nicht auch vielleicht an uns, den Wählern, den Bürgern, die Politiker stärker zu fordern? Es gibt ja auf der anderen Seite auch die viel zitierten "Wutbürger", die sich zu Wort melden, wenn es um ihre Interessen geht.

Müller: Ja gut, aber sie haben doch leider viele Fälle, bei denen man diese "Wutbürger" oder "Mutbürger" ins Leere hat laufen lassen. Nehmen Sie den Fall des jetzt gerade freigelassenen Gustl Mollath. Wie wurde gegen diese Leute agitiert, die dem helfen wollten. Der Justizskandal in Bayern wurde systematisch zugedeckt, auch von Medien, auch von angehängten oder anhängenden Politikern. Auch Stuttgart 21 - ist es doch so, dass schon lange negativ hätte beschieden werden können, und man hätte sagen können, Leute, wir retten, was zu retten ist und wir bleiben beim alten Bahnhof. Das ist eben nicht eingetreten. Die neue Landesregierung hat die Möglichkeit nicht genutzt. Das heißt, man muss sehen, wir stehen vor der verzweifelten Situation, dass wir, auch wenn es offenbar ist, dass man korrigieren muss, dass wir diese Korrektur nicht erleben.

Degenhardt: Albrecht Müller, war das ehemals Planungschef im Bundeskanzleramt unter Brandt und Schmidt. Für ihn ist Nichtwählen durchaus eine Alternative. Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch!

Müller: Ihnen auch, Wiederhören!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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