Romanverfilmung

"Eine ganz klare Provokation"

Regisseur Christian Schwochow (M.) steht bei Dreharbeiten zwischen seinen Eltern Rainer Schwochow (l.) und Heide Schwochow (r.) am Set.
Regisseur Christian Schwochow (M.) steht bei Dreharbeiten zwischen seinen Eltern Rainer Schwochow (l.) und Heide Schwochow (r.) am Set. © picture alliance / ZB / Jens Wolf
Moderation: Waltraud Tschirner · 23.03.2014
Die Spielfilm-Adaption des DDR-Romans "Lagerfeuer" wird Zuschauer angreifen und vielleicht auch überfordern, sagt der Regisseur - und erklärt, weshalb er so gut mit seiner Mutter als Drehbuchautorin arbeiten kann.
Waltraud Tschirner: Grundlage für Ihren neuen Spielfilm ist der Roman "Lagerfeuer" von Julia Franck . Was hat diese literarische Vorlage für Sie so spannend gemacht, dass sie sie unbedingt verfilmen wollten?
Christian Schwochow: Ich habe den Roman gelesen, 2003, glaube ich, als er raus kam. Damals war ich so ganz beglückt, dass es so eine junge Generation von ostdeutschen Schriftstellern gibt, die anfangen, so mit einem neuen, undogmatischen Blick auf die eigene Geschichte zurückzublicken oder die Geschichte der Eltern. Und was ich bei Julia Franks "Lagerfeuer" faszinierend fand, ist die Beschreibung von Menschen, die erst mal ganz banal ein Land verlassen wollen, ein neues Leben anfangen wollen, sich irgendwie in die Freiheit träumen und dann feststellen müssen, dass das gar nicht so einfach ist, dass man Freiheit auch erst mal lernen muss, und dass Freiheit vielleicht erst mal nur so ein Begriff ist, der sich dann als was ganz anderes darstellt.
Das hatte was, glaube ich, mit unserer Familiensituation zu tun. Wir haben 1987 einen Ausreiseantrag gestellt, der dann am 9. November 1989 genehmigt wurde. Und es ging immer ums Weggehen, und als die Mauer dann gefallen war, sind wir nach Hannover gezogen und irgendwie merkten meine Eltern sehr stark, sie haben eigentlich gar keine Vorstellung davon, was sie erwartet haben. Und dann sind Dinge plötzlich anders geworden. Man muss seine Biografie irgendwie verteidigen.
Ich will nicht sagen, man stand als DDR-Bürger unter einem Generalverdacht, aber häufig hatte man den Eindruck, es gibt doch so ganz, ganz fertige Haltungen über das, wie wir gelebt haben, wie wir groß geworden sind, und man hatte den Eindruck, das hat gar nicht so viel mit dem zu tun, wie wir unser Leben wahrgenommen haben. Und das, finde ich, hat der Roman auf unterschiedlichste Art und Weise so ganz besonders in eine starke Geschichte gefasst, und die Figuren, die in diesem Zwischenraum, Zwischenort zwischen DDR und Westdeutschland so stecken bleiben, die haben mich einfach sehr, sehr berührt.
"Den Kern von Julias Roman sehr stark bewahrt"
Tschirner: Das ist dennoch ein bisschen erstaunlich, wenn Sie den Roman toll fanden, gleichzeitig aber mit Ihrer Familie so eine Parallelgeschichte erlebt haben und noch dazu in der privilegierten Situation sind, die Mutter, Ihre Drehbuchautorin, mit der Sie ja schon über viele Jahre zusammenarbeiten, dazu haben, dass Sie nicht gesagt haben, ich habe jetzt die Idee, und wir schreiben unsere Geschichte. Warum ist es nicht dazu gekommen?
Schwochow: Es ist dazu gekommen, dass wir unsere Geschichte geschrieben haben. Wir haben den Kern von Julias Roman sehr stark bewahrt. Wir haben auch das Figurenensemble bewahrt, und trotzdem ist, glaube ich, vieles von uns auch mit drin. Im Roman hat Nelly Senft zwei Kinder, ein Mädchen, einen Jungen. Im Film hat Nelly nur ein Kind, einen Sohn. Es gibt eine ganze Menge Situationen, die nicht aus dem Roman kommen, sondern aus unserem Erleben. Der Alexei hat ein rotes Tuch um den Hals, eines mit roten Punkten. Das war das Tuch, was ich früher getragen habe, als ich in Hannover in die Schule kam, hatte ich eine Klassenlehrerin, die den anderen Kindern erklärt hat, Christian kommt aus der DDR, und da war es so und so.
Und dann hat Christian sich gemeldet und hat gesagt, na ja, ich glaube, es war ein bisschen anders. Und es war so und so, und so und so hab ich das erlebt. Und irgendwann hat die Lehrerin gesagt, ah ja, und du hast ja auch noch dein rotes Pionier-Halstuch um. Und wenn es dir da so gut gefallen hat, dann geh doch zurück zu deinem Honecker. Und das begleitet mich, und ich glaube, viele andere, die im Osten groß geworden sind, bis heute, dass man permanent das Gefühl hat, Dinge so ein bisschen geraderücken zu wollen, weil es doch viele richtige Bilder in den Köpfen gibt, aber auch viele, die nicht so viel mit der Wirklichkeit von damals zu tun hatten.
Und von daher ist es die Geschichte von Julia Frank und von ihrem Roman "Lagerfeuer", und trotzdem ist ganz viel darin, was wir gefühlt haben, aber auch ganz klare Situationen, die wir erlebt haben.
"Der Film ist eine ganz klare Provokation"
Tschirner: Der Film hat irgendwie so ein neues Kapitel aufgemacht, so empfinde ich das, an Ost-West-Blick-Filmen. Also es gab relativ kurz nach dem Mauerfall Komödien, dann gab es die düsteren Stasi-Dramen, und dieser Film verweigert sich jetzt eigentlich allen Klischees und ist obendrein noch ganz schön selbstbewusst, weil er nämlich gar nicht auf Ideologien und auf politische Konnotation setzt, sondern auf Individuen. Ich stelle mir vor, dass das auch heute noch - und deshalb frage ich, wie Sie das einschätzen - Diskussionen auslösen kann. Haben Sie solche Ansätze schon vernommen?
Schwochow: Der Film ist eine ganz klare Provokation, und ich glaube, er schlägt vielen auch ziemlich direkt ihre Haltung – ich will nicht sagen, kaputt, aber er greift sie an, weil wir erzählen eine Figur, die die DDR verlässt, und trotzdem ist sie keine gebrochene Figur. Das hat Zuschauer schon überrascht, weil eigentlich man doch denkt, jemand, der dieses Land verlassen hat, ist ein gebrochener, unglücklicher Mensch und muss doch erst mal Dankbarkeit zeigen über die neu gewonnene Freiheit - was stellt die sich so an? Und Nelly Senft stellt sich an.
Sie hat sich in der DDR nicht kaputt machen lassen wollen, und sie hat auch nicht vor, das jetzt zu tun. Und sie hat dort keine Informationen geben wollen, und sie sieht überhaupt nicht ein, dass sie jetzt dem West-Geheimdienst irgendwas aus ihrem Leben erzählt, was niemanden angeht ihrer Meinung nach. Und sie will auch nicht Dankbarkeit zeigen. Sie will ein neues Leben anfangen und will sich dabei nicht verlieren, sie will sich nicht anpassen.
Und ich glaube, das ist eine Haltung, die wir ziemlich konsequent verteidigen bei dieser Figur, und das wird Zuschauer provozieren, angreifen und vielleicht auch überfordern, und das finde ich genau richtig so.
"Wir wissen in Ost und West relativ wenig voneinander"
Tschirner: Sie glauben also und machen es damit ja deutlich, dass jetzt wirklich der Zeitpunkt erreicht ist, wo wir tatsächlich das machen, was eigentlich relativ kurz nach 1989 gefordert wurde: lasst uns zusammensetzen und uns gegenseitig unsere Geschichten erzählen?
Schwochow: Na, es wird Zeit. Selbst 25 Jahre nach dem Mauerfall habe ich immer noch den Eindruck, wir wissen in Ost und West relativ wenig voneinander. Und ich beziehe uns Ostler da aber sehr stark mit ein. Auch wir sind ignorant und stellen häufig wenig Fragen oder haben unsere Vorstellungen, so ist das im Westen und so hat dort die Erziehung stattgefunden, deswegen sind die so, und genau das Gleiche passiert auf der anderen Seite, und ich merke, wir können uns damit noch gegenseitig sehr, sehr gut verletzen.
Das passiert permanent, dass ich auch im Freundeskreis merke, es gibt heftige Debatten darüber, wo hat das bessere Leben stattgefunden. Oder eigentlich gibt es ja ganz klare Antworten dafür. Und ich finde, man muss endlich anfangen zu begreifen, dass es eine gemeinsame Geschichte ist, die zwar in zwei geteilten Ländern stattgefunden hat, aber diese Abgrenzung – das sind eure Probleme, der Rechtsradikalismus ist ein ostdeutsches Problem. Völliger Blödsinn. Wenn irgendwas in Nordrhein-Westfalen, ein schlimmer Skandal passiert, würde man auch nie von einem westdeutschen Problem sprechen, und deswegen, glaube ich, ist es wichtig, diese komplexen, sehr komplizierten, nicht einfach erklärbaren Dinge, wie dieser Film sie beschreibt, dass man damit ganz offensiv und mutig umgeht und Leute auch provoziert, um irgendeine Reaktion oder um irgendeine Art von Debatte loszutreten. Das wäre mir wichtig.
Tschirner: Herr Schwochow, ich will unbedingt noch mal auf dieses für mich schon immer noch große Geheimnis der produktiven Zusammenarbeit mit Ihrer Drehbuchautorin und Mutter kommen. Also, liegt auf der Hand, Mutter, Sie sind zwei Generationen. Andererseits merke ich auch schon in den Jahren zuvor, wenn man mal Sie gehört hat oder mit Ihnen gesprochen hat, Sie sind, glaube ich, schon sehr lange ein ziemlich erwachsener, reflektierter Mensch. Ist das vielleicht ein Stückchen des Geheimnisses, dass Sie von Anfang irgendwo auf Augenhöhe miteinander geredet haben, oder warum können Sie so gut wie kaum jemand anderes miteinander?
"Von meiner Mutter gelernt, Fragen zu stellen, zuzuhören"
Schwochow: Ich glaube, dass wir so gut zusammen arbeiten können, hat ganz unterschiedliche Gründe. Zum einen sind wir uns sehr ähnlich, in vielen Dingen. Wir haben einen ähnlichen Humor, wir haben einen ähnlichen Geschmack, was Dinge betrifft. Wir haben eine ganz gesunde Diskussionskultur, wir haben eine ähnliche Sicht auf Filme und auf Geschichten.
Es gibt ähnliche Themen, die uns interessieren, und wir haben eine Art und Weise, miteinander zu spinnen und herum zu phantasieren, wo wir uns sehr ergänzen. Und das ist, glaube ich, das Wichtige auch beim gemeinsamen Arbeiten, dass man sich ergänzt. Meine Mutter zum Beispiel, die hat ja erst ganz spät mit dem Drehbuchschreiben angefangen, die ist viel unkonventioneller als ich und viel freier im Denken und viel freier im Erfinden. Ich bin, glaube ich, da durch die Filmhochschule fast ein bisschen versaut und denke immer viel schneller an dramaturgische Gesetze und an Regeln. Und Mutter kommt und fegt die erst mal alle weg. Und ich habe gelernt, das auch alles zuzulassen, und das Entscheidende ist aber, glaube ich, wirklich, der Zugang zu bestimmten Themen, die uns beide fesseln, vielleicht auch aus unterschiedlichen Perspektiven. Und dass wir merken, dass wir uns gut tun, wie wir uns gegenseitig reflektieren.
Ich glaube, dass ich, wenn meine Mutter was schreibt, einfach dadurch, dass ich 25 Jahre jünger bin, immer noch einen anderen Blick habe und sie einen anderen Blick hat. Und bei unseren Filmen geht es ja fast immer um Familien und um Kommunikation oder nicht geführte Kommunikationen. Ich habe von meiner Mutter gelernt, Fragen zu stellen, zuzuhören. Meine Mutter ist die neugierigste Person der Welt, und ich glaube, sie treibt uns auch alle zum Wahnsinn, weil sie mit jedem redet, egal wo, in welcher Sprache, die sie alle nicht spricht, aber sie schafft es immer, irgendwas aus Leuten herauszubekommen. Und das ist so wichtig beim Drehbuchschreiben.
Ich finde, es gibt so viele Leute, die gar nicht neugierig sind, die auch gerade beim Erfinden von Geschichten schon alles immer vorher wissen und das dann so konstruieren und bauen. Und meine Mutter, die fängt an mit einer Arbeit und die vergräbt sich in die Geschichten, in die Figuren, und es macht einfach Spaß, mit ihr zu arbeiten. Und ich glaube, wir inspirieren uns einfach.
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