Romancier mit "Vogelproblem"

Von Tobias Wenzel · 12.03.2007
Jonathan Franzen wurde durch seinen Roman "Die Korrekturen" auch in Deutschland bekannt. Mit 46 hat er nun seine Autobiographie vorgelegt. Darin schildert er sich selbst als "sozial gestört" und schreibt von seiner Leidenschaft, der Vogelbeobachtung. Dieser könne er in New York nur schwer frönen, ohne als Verrückter zu gelten, bekennt der US-Autor im Interview.
Jonathan Franzen wirkt müde, wie er da im Salon eines Berliner 5-Sterne-Hotels sitzt, im weißen Hemd, unrasiert, über den Tisch gebeugt. Der 47 Jahre alte US-Schriftsteller nimmt seine dicke schwarze Brille ab und kratzt sich mit der Spitze eines Bügels an der Nase. Dann spricht er eine Warnung aus: Er neige dazu abzuschweifen. Sich epigrammatisch auszudrücken, liege ihm einfach nicht. Außer, wenn er Deutsch spreche, mit einem, wie er tiefstapelnd mutmaßt, aktiven Vokabular von 600 Wörtern. Selbst der kräftige Jetlag hat Franzen seinen Humor nicht genommen. Noch seine Begeisterung für Vögel. Als er am Flughafen Berlin-Tegel ankam, hat er sich erst einmal ganz bewusst kein Taxi gerufen.

"Dort gibt es nämlich eine Saatkrähen-Kolonie, die ich vorher noch nie gesehen habe. Ich bin also zu den Bäumen auf dem Parkplatz des Flughafens gegangen, in denen die Saatkrähen neue Nester bauen. Beobachter von Vögeln gelten ja als sozial gestört. Und da ich mich schon mein ganzes Leben lang als sozial gestört gefühlt habe, empfinde ich es als gefährlich, mit einem Fernglas um den Hals herumzulaufen. Im Idealfall bin ich irgendwo im Sumpf, wo mich niemand sieht. Aber man braucht schon Mut, um mitten in New York Vögel zu beobachten. Und ich bin nur zur Hälfte mutig, weil ich mein Fernglas verstecke, wenn ich dort in den Park gehe, und es erst dann hervorhole, wenn ich einen Vogel sehe."

"Mein Vogelproblem" - so hat Jonathan Franzen das letzte und 50 Seiten dicke Kapitel seiner Autobiographie genannt. In "Die Unruhezone. Eine Geschichte von mir" spannt Franzen den Bogen von seiner Kindheit in Missouri bis zu seinem Leben als Schriftsteller in New York. Ein ganzes Buch über sich selbst zu schreiben, so gesteht Franzen rückblickend, war nicht so einfach:

"Ich schämte mich für so viele Dinge meiner Kindheit. Ich schrieb einmal über eine Reihe von Streichen von mir und meinen Freunden in der Highschool. Ich musste aber die bittere Erfahrung machen, dass sich niemand auf der Welt für die Streiche eines Siebzehnjährigen im Mittleren Westen der USA interessiert. Also schämte ich mich dafür. Als ich schließlich trotzdem versuchte, über meine Kindheit zu schreiben, musste ich den passenden Ton finden und eine Möglichkeit, mich selbst als Comic-Figur darzustellen. Es müsste doch möglich sein, diese Geschichten zu erzählen, ohne dass mein Publikum, peinlich berührt, das Weite sucht."

Um die Töchter des Nachbarn zu beeindrucken, zog sich der junge Franzen seine Hose runter - und schämte sich danach. Und im Rhetorikunterricht machte er sich lächerlich, weil er seinen Vortrag über die australische Tierwelt anhand von mitgebrachten Kuscheltieren veranschaulichen wollte. "Der soziale Tod war ich" - So fasst Jonathan Franzen die damalige Zeit in seiner Autobiographie zusammen.

"Wenn man sich wie ich mit 12 Jahren für Bücher und Zeichen interessiert, wenn man eine Zahnspange und eine hässliche Brille trägt, wenn einem die Mutter nicht erlaubt, mit Jeans zur Schule zu gehen, wenn man eine kreischende Stimme hat, wenn man unaufhörlich schreckliche Wortspiele macht und jedes interessante Mädchen zur Begrüßung beleidigt, dann ist man nicht beliebt auf Partys und wird nicht zum Tanzen aufgefordert. Die Tatsache, dass ich ein Leben lang Menschen in die Irre geführt und belogen habe, liegt darin begründet, dass ich damals zu verbergen versuchte, dass ich der soziale Tod war."

In gewisser Weise fühle er sich auch heute noch als "sozialer Tod". Denn es sei kompliziert, in den USA ein Intellektueller zu sein, der zugleich Sinn für Ironie und die Tragik des menschlichen Lebens hat. Seine erste Begegnung mit Deutschland und Europa hat der Autor des Bestsellers "Die Korrekturen" als regelrechte Befreiung erlebt. 1980 studierte er ein Jahr in München Germanistik. Er verzweifelte damals daran, dass er keine Freundin fand. Es hätten einfach zu wenige Frauen studiert, erzählt Jonathan Franzen schmunzelnd.

"Ein amerikanischer Junge hatte da gar keine Chance, eine Frau zu finden, um mit ihr herumzuhängen. Die Frauen waren schon an Männer mit Namen wie 'Wolfgang' vergeben. Ich hatte also zu viel Zeit und wurde zwangsläufig ein guter Student in 'Deutscher Literatur'. Auch, weil ich großartige Lehrer hatte. Eine junge Dozentin - sie hieß Claudia - hatte Tränen in den Augen, wenn sie über Goethes 'Faust' sprach. Ich habe 'Faust' geradezu aufgesogen, viel davon auswendig gelernt. Auch die moderne deutsche Literatur hat mich einfach umgehauen. Diese Schriftsteller veränderten wirklich mein Leben, Kafka veränderte mein Leben."

Seine erste Begegnung mit der deutschen Sprache hatte Jonathan Franzen allerdings schon in den USA. Als er zehn Jahren alt war, wohnte eine Wienerin bei seinen Eltern. Sie sollte ihm Deutsch beibringen. Doch ihre körperlichen Reize versetzten den Jungen in eine "totale Unruhe", so dass er keine einzige Vokabel behielt.

Die englische Sprache machte ihm gar keine Probleme. Er las Tolkien ebenso begeistert wie die Peanuts-Comics. Und er gab der Schulleitung Rätsel auf, in Form von Knittelversen. Auch in Deutschland schrieb Jonathan Franzen Gedichte. Keines davon will er allerdings veröffentlichen. Während er das sagt, zieht er seine Augenbrauen hoch und guckt halb müde, halb verschmitzt. Seine Gedichte nehme er lieber mit ins Grab.

"I wrote a lot of poetry in Germany. And none of all will ever see the light of day. It will die with me."

Service:
Jonathan Franzen: Die Unruhezone. Eine Geschichte von mir. Deutsch von Eike Schönfeld. Rowohlt Verlag. 253 Seiten. 19,90 Euro. Das Buch kommt am Freitag (16. März) in die Buchläden.

Heute (12.3.) um 20 Uhr liest Jonathan Franzen aus seiner Autobiographie in im Literaturhaus Hamburg. Morgen (13.3.) Abend auf der LitCologne (in der Kölner Oper) und am Mittwoch Abend in München (Literaturhaus).