Roland Barthes

"Verliebt ist derjenige, der wartet"

Die drei Schriftsteller Giulio Macchi, Roland Barthes und Umberto Eco
Die drei Schriftsteller Giulio Macchi, Roland Barthes und Umberto Eco © Imago / Leemage
Von Barbara Kostolnik · 12.11.2015
In seinem Bestseller "Fragmente einer Sprache der Liebe" näherte sich Roland Barthes dem Thema auf altmodische und romantische Weise, sagt seine Biografin. Den politischen Diskurs mochte er nicht, lieber entschlüsselte er die Mythen seines Alltags.
Er hatte etwas Mystisches und etwas Magisches: Roland Barthes, Vordenker, Philosoph, der Meister der Zeichen. Der sein ganzes Leben dem Entziffern widmete ...
"... sich zu fragen, was das heißt, eine Frucht im Garten zu pflücken oder über einen Mythos des Alltags nachzudenken, das entspringt für mich derselben Motivation, nämlich, wissen zu wollen, was das bedeutet."
Der Bedeutung von Zeichen, von Handlungen auf die Spur zu kommen, das trieb Barthes an. Und: Was bedeutet es überhaupt, wenn wir sprechen?
"Sprache existiert. Und damit beschäftigen wir Strukturalisten uns, wir denken darüber nach. Die meiste Zeit reden die Menschen, ohne zu wissen, dass die Sprache existiert, wir reden ohne zu wissen, dass wir reden. Wir wissen nur, dass wir Gedanken und Gefühle übermitteln. Aber wir reden, ohne das Geringste über unsere eigenen Worte zu wissen."
Die eigenen Gefühle hält Barthes sorgsam versteckt. Seine einzig absolute Liebe galt seiner Mutter. Dass er homosexuell war, war allgemein bekannt, darüber aber sprach er nicht. Dafür schrieb er 1977 einen Bestseller: "Fragmente einer Sprache der Liebe".
"Ich denke, 'ich liebe dich' bedeutet immer 'liebe mich'."
"Wie immer bei Barthes", sagt seine Biographin Tiphaine Samoyault, "hat er nichts und niemanden geschont, zwar hat man ihm bei diesem Buch vorgeworfen, sich der Mode der Zeit unterworfen zu haben, aber das stimmt nicht: Er nähert sich der Liebe auf altmodische, romantische Weise."
Und das in einer Zeit, in der die freie Liebe proklamiert wird – ein Paradox, wie es nicht selten vorkommt bei Barthes. Er selbst sublimiert in diesem Buch auch seine Liebe zu einem Studenten, die nicht erwidert wird.
"Wenn man alle möglichen Definitionen des liebenden Menschen auf eine reduzieren würde, dann bliebe nur noch die: Verliebt ist derjenige, der wartet. Ich würde die Definition sogar umdrehen und sagen: Selbst wenn wir warten, ohne verliebt zu sein, existiert in uns ein kleiner Zustand des Verliebtseins."
Der politische Diskurs war ihm zu eindeutig
Ganz sicher war Roland Barthes das Gegenbeispiel zum politisch aktiven französischen Intellektuellen vom Schlag eines André Glucksmann oder Bernard Henri-Lévy. Barthes mochte den politischen Diskurs nicht – er war ihm zuwider, zu eindeutig. Barthes dechiffrierte lieber – die Bedeutung des Steak Frites für die Franzosen oder den neuen Citroen.
"Dieses neue Auto hat wie ein magisches Objekt gewirkt, als sei es vom Himmel gefallen."
Barthes entschlüsselt die Mythen des Alltags: Die für eine Gesellschaft eine unbewusste, aber allgemeingültige Bedeutung haben. Letztlich interessiert ihn vor allem die Sprache – auch die der letzten Dinge.
"Der Tod ist das einzige Ereignis. Alles andere ist im Grund Diskurs, ist Sprache. Die Wirklichkeit ist immer Sprache, sogar die Liebe ist Sprache. Aber der Tod ist das Ereignis, das aus der Sprache heraustritt."
Der Tod ereilt Roland Barthes dann tatsächlich völlig überraschend – er wird von einem Kleinlastwagen überrollt.
"Der Schriftsteller und Philosoph Roland Barthes ist heute im Alter von 64 Jahren in Paris gestorben"
Irgendwie passt es perfekt zu Barthes' Leben, dass der Unfallhergang rätselhaft blieb – niemand war mehr da, das Rätsel zu lösen.
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