Rohkost

Warnung vor ungekochten Bohnen

Grüne Bohnen auf dem Wochenmarkt liegen in Langenhagen in der Region Hannover in der Auslage eines Marktstandes.
Grüne Bohnen: Auch roh auf den Tisch? Besser nicht! © picture alliance / dpa / Holger Hollemann
Von Udo Pollmer · 07.08.2015
Gesund soll unser Essen sein. Und was wäre vitaminreicher als Rohkost? Doch nicht immer ist der Verzehr ungekochten oder halbgaren Gemüses ungefährlich – vor allem für Kinder stellen rohe Hülsenfrüchte ein Risiko dar, warnt Udo Pollmer.
Die Garmethoden in der Küche ändern sich. Das früher übliche Zerkochen von Gemüse zu Brei beschränkt sich zunehmend auf ein kurzes Schwenken im Wok. Al dente soll nicht nur die Pasta sein, auch beim Gemüse ist Bissfestigkeit Pflicht. Spitzenköche empfehlen selbst grüne Bohnen allenfalls zwei bis drei Minuten in der Pfanne zu rühren - "bis sie knapp weich sind". Überzeugten Rohköstlern geht das nicht weit genug: "Rohe Bohnen sind gesund. Punkt, fertig, aus." "Das Einzige, das tatsächlich ungesund ist", lese ich, sei "die Kochkost". An der Diktion erkennt man den Ernährungsexperten.
Bohnengift kann zu Krampfanfällen und Schockzuständen führen
Toxikologen sind da anderer Meinung. Sie dürfen mit schöner Regelmäßigkeit die gutgläubigen Opfer dieser Ideenwelt behandeln, vor allem Kinder, weil die Bohnen, die sie aßen, noch zu "bissfest" waren. Grüne Bohnen fallen nach Angaben der Giftnotrufzentralen in die Kategorie "sehr giftig" - das gilt sowohl für die Bohnenhülsen wie für die Samen. Auch Tiefkühlware ist noch weitgehend roh.
Viele Vergiftungen entstehen dadurch, dass bereits während des Kochens probiert wird. Wenige Stunden später klagen empfindliche Personen über Bauchschmerzen, Erbrechen und blutigen Durchfall. Nach Angaben des Uniklinikums in Bonn treten daneben auch Krampfanfälle sowie Schockzustände auf. Verantwortlich für die Vergiftung ist ein Eiweiß, genauer gesagt ein Lektin. Das Bohnenlektin ist hitzestabil, und zudem auch unverdaulich. Es greift die Darmwand an, dadurch gelangt ein Teil des Giftes in die Blutbahn und verklumpt rote Blutkörperchen.
Das lange Kochen verbessert den Nährwert
Ganz allgemein enthalten Bohnen eine breite Palette von Abwehrstoffen – neben giftigen Lektinen sind reichlich Enzyminhibitoren vorhanden. Enzyminhibitoren bestehen aus unverdaulichem Eiweiß. Ihnen obliegt es, die Verdauung des restlichen Bohneneiweißes zu blockieren. Damit sorgen sie dafür, dass Fraßfeinde die Nährstoffe in den Samenkörnern nicht mehr nutzen können. Dazu kommen Saponine, die wie Seife wirken und die Durchlässigkeit für unerwünschte Substanzen im Darm erhöhen. So gelangen die Lektine leichter in die Blutbahn.
Getrocknete Hülsenfrüchte werden nicht umsonst vor dem Kochen eingeweicht und das Einweichwasser abgegossen. Auf dem Herd werden Bohnen seit jeher solange erhitzt, bis sie gar sind. Wird der Bohneneintopf wieder aufgewärmt, schmeckt er besser als der frisch gekochte. Das lange Kochen verbessert den Nährwert, weil dadurch das Eiweiß verdaulicher wird. Es gibt Bohnensorten, deren Eiweißanteil zur Hälfte aus giftigen Proteinen besteht.
Giftiges Eiweiß als Arznei
Manch einer mag sich ob der Warnung vor rohen Bohnen verwundert die Augen reiben, werden doch in Südeuropa aber auch in einigen asiatischen Ländern Bohnen, vor allem Ackerbohnen, hin und wieder roh als Salat gegessen. Da klingt die Einschätzung "stark giftig" doch etwas übertrieben. Genau diese Giftigkeit ist der Grund für den Verzehr: Sie dienen in diesen Ländern als Arznei gegen eine gefährliche Infektionskrankheit – die Malaria. Vor den Zeiten der modernen Medizin wurde sie traditionell mit Bohnengift bekämpft, wirksam sind dabei vor allem zwei Glycoside namens Isouramyl und Divicin.
Allerdings ist für eine erfolgreiche Therapie noch ein Erbdefekt Voraussetzung. Genauer gesagt ein spezifischer Enzymmangel, "G6PD-Mangel" genannt, der in malariageplagten Ländern weit verbreitet ist. Erst die Kombination von Bohnengiften und G6PD-Mangel erlaubt es, die Parasiten im Blut wirksam zu bekämpfen. Befallene Blutkörperchen werden dabei aufgelöst. Dabei kommt es natürlich immer wieder zu Vergiftungen durch Bohnen – Favismus genannt.
In Deutschland ist dieser Enzymdefekt selten – damit sind rohe Bohnen auch im Falle einer Infektion therapeutisch wertlos und ein vermeidbares Risiko. Wenn Köche halbgare oder rohe Bohnen servieren – solches geschieht selbst auf Ärztekongressen – dann wäre das eine lohnende Aufgabe für unsere Lebensmittelkontrolleure. Allemal nützlicher, als sich mit Lappalien aufzuhalten – weil ein Koch versäumt hat, die Temperatur im Kühlschrank lückenlos zu dokumentieren. Mahlzeit!

Literatur
- Uniklinik Bonn -Zentrum für Kinderheilkunde – Informationszentrale gegen Vergiftungen – Giftnotruf. Siehe Stichwort Gartenbohne.
- Niemann H: Göttinger Giftexperten warnen vor rohen Bohnen. HNA-Online 28.08.2014
- Anon: Schweiz: Vergiftete Vegetarier. Spiegel-Online vom 23. Juli 1999
- Nuchprayoon I et al: Glucose-6-phosphate dehydrogenase (G6PD) mutations in Thailand: G6PD Viangchan (871G>A) is the most common deficiency variant in the Thai population. Human Mutation 2002; 19: 185
- Martinez di Montemuros F et al: Molecular heterogeneity of glucose-6-phosphate dehydrogenase (G6PD) variants in Italy. Haematologica 1997; 82: 440-445
- Flohé L et al: Zur Wirkung von Divicin in menschlichen Erythrocyten. Zeitschrift für klinische Chemie und klinische Biochemie 1971; 9: 431—437
- Lindner E: Toxikologie der Nahrungsmittel. Thieme, Stuttgart 1990
- Van Damme EJM et al: Handbook of Plant Lectins: Properties and Biomedical Applications. Wiley, Chichester 1998
- Hollenstein O: Lebensmittelprüfer sind 2011 Jahr in 330 Restaurants, Bäckereien und Metzgereien fündig geworden. Süddeutsche Zeitung Online 17. Februar 2012
- Roth L et al: Giftpflanzen – Pflanzengifte. Ecomed, Landsberg 1994
- Krebs JR: The gourmet ape: evolution and human food preferences. American Journal of Clinical Nutrition 2009; 90: 707S-711S
- Monteiro WM et al: Clinical complications of G6PD deficiency in Latin American and Caribbean populations: systematic review and implications for malaria elimination programmes. Malaria Journal 2014; 13: e70
- Carbonaro M et al: Perspectives into factors limiting in vivo digestion of legume proteins: antinutritional compounds or storage proteins? Journal of Agricuöture & Food Chemistry 2000; 48: 742-749
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