Röslers Kompromissvorschlag ist "kein zukunftsträchtiges Modell"

05.06.2010
Der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup sieht auch nach dem vorläufigen Aus der "Kopfpauschale" keinen Weg am steigenden Anteil einkommensunabhängiger Beiträge vorbei.
Markus Pindur: Das deutsche Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt, allerdings ist es auch eines der teuersten der Welt – pro Kopf der Bevölkerung wird nur in den USA mehr Geld für die Gesundheitsversorgung ausgegeben. Das Problem in Deutschland: Erstens altert unsere Gesellschaft rapide, was die Kosten in die Höhe treibt; zweitens: Das Gesundheitssystem der gesetzlichen Krankenkassen wird nur aus den Arbeitseinkommen und den Zuschüssen der Arbeitgeber finanziert – und die Zahl der abhängig Beschäftigten sinkt. Das Resultat: mehr Kosten, weniger Einzahler. Also, eine Reform muss dringend her, aber der Versuch von Gesundheitsminister Rösler, einen Einstieg in diese Entkopplung von Arbeitskosten und Gesundheitsfinanzierung hinzubekommen, der ist gescheitert. Wir wollen jetzt mit dem Gesundheitsökonomen Bert Rürup sprechen, er war lange Vorsitzender des Wirtschaftssachverständigenrates der Bundesregierung und berät jetzt unter anderem den Finanzdienstleister AWD (seit dem 1. Januar ist Herr Rürup nicht mehr für den AWD tätig - siehe auch Herrn Rürups Anmerkung am Ende des Interviews, Anm. d. Onlineredaktion). Guten Morgen, Herr Rürup!

Bert Rürup: Ja guten Morgen, hallo!

Pindur: Sie gelten auch als Befürworter einer Gesundheitsprämie mit Sozialausgleich, der sogenannten Kopfpauschale. Sie haben aber dennoch den Gesundheitsminister Rösler für sein Kompromissmodell kritisiert. Warum?

Rürup: Na ja auch das Gegenteil von Gut ist auch Gut gemeint. Ich weiß natürlich, dass große Würfe in der Politik selten und Kompromisse die Regel sind, aber dies ist ein schlechter Kompromiss. Schauen Sie, es gibt meines Erachtens niemanden, der sich für Pauschalbeiträge ausspricht, ohne auf die Notwendigkeit des sozialen Ausgleichs hinzuweisen, und es gab bislang eigentlich auch noch niemanden, der in einem sozialen Ausgleich, sprich in einer Umverteilung von Reich nach Arm nicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ansah, die aus allen Quellen der ökonomischen Leistungsfähigkeit finanziert werden muss. Und das ist hier definitiv nicht der Fall, die haben hier einen kasseninternen Ausgleich. Und das Bizarre sogar ist, bei den Anspruchsberechtigten sollen – wie das geht, weiß niemand – alle Haushaltseinkommen herangezogen werden, allerdings von den Besserverdienenden eben nur ja die Lohneinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Und das, denke ich, ist kein zukunftsträchtiges Modell, zumal ja auch noch Finanzierungslücken offengeblieben sind.

Pindur: Der Sozialausgleich wäre innerhalb der Krankenkassenmitglieder vonstattengegangen, das ist richtig. Aber dieses Modell wäre ja zumindest der Einstieg in eine Entkopplung von Arbeitskosten- und Gesundheitsfinanzierung gewesen?

Rürup: Das ist richtig, es hätte eine gewisse Entkopplung um einen kleinen Prozentsatz gegeben. Allerdings sind auch noch massive Finanzierungslücken da. Nur müssen wir natürlich wissen, warum wollen wir denn entkoppeln? Bislang wurde immer gesagt, ja wir müssen die Arbeitskosten damit senken. Ich glaube, dieses Argument kann man heute eigentlich nicht mehr in dieser Form bringen, nämlich Deutschland hat derzeit eigentlich kein Arbeitskostenproblem mehr. Wir müssen oder sollten die Finanzierung von den Arbeitskosten abdecken vor dem Hintergrund, den Sie genannt haben. Wir haben tendenziell eine rückläufige Lohnquote, wir haben wachsende Rentnerzahlen, wachsende Gesundheitsausgaben, das heißt, im Interesse der Nachhaltigkeit müssen wir das System abkoppeln, um auch in der Zukunft eine gute Versorgung gewährleisten zu können. Das sind die Argumente und das ist meines Erachtens damit noch nicht erreicht worden.

Pindur: Aber eine höhere Beteiligung der Arbeitgeber sah Röslers Modell ja auch vor, deren Beitrag sollte von 7,0 auf 7,3 Prozent steigen. Wäre das nicht auch ein fairer Schritt, wenn man auch schon von den Versicherten Opfer verlangt?

Rürup: Na ja, fairer Schritt vordergründig ja. Allerdings dürfen wir hier natürlich nicht der Verteilungsillusion anheimfallen. Schauen Sie, die Arbeitgeber leisten zwar einen Beitrag, aber ob sie ihn tragen, darüber kann man zweifeln. Schauen Sie, aus der Sicht eines Arbeitgebers ist jeder Arbeitsplatz eine Investition, die wird dann, und nur dann getätigt, wenn er sich davon eine Verbesserung seines Unternehmensergebnisses verspricht. Und das bedeutet, jeder Arbeitnehmer muss mit seiner Wertschöpfung seine gesamten Arbeitskosten erwirtschaften, damit natürlich auch den Arbeitgeberanteil. Das heißt, der Arbeitgeberanteil ist eine Vorfinanzierung. Die Arbeitskosten sind entscheidend, und wenn ein Arbeitnehmer seine gesamten Arbeitskosten nicht erwirtschaftet, ja dann droht ihm Entlassung. Das heißt also, Arbeitgeberanteile sind langfristig vorenthaltener Barlohn und deswegen ist das schon interessant, jetzt festzuschreiben, aber ist nicht von strategischer Bedeutung.

Pindur: Dieses Modell, das Rösler vorgehabt hat, Gesundheitsprämie plus Sozialausgleich, das ist ja relativ leicht, auch politisch zu diffamieren, weil man den Sozialausgleich gerne dann unter den Tisch fallen lässt, und dann bleibt natürlich nur noch übrig, jeder zahlt die gleichen Beiträge, Krankenschwester wie Chefärzte. Ist dieses Prämienmodell vielleicht in Deutschland einfach politisch nicht vermittelbar?

Rürup: Da sprechen Sie einen richtigen Punkt an, also den Gegnern dieses Konzepts ist es gelungen, ja den in der Schweiz üblichen Begriff "Kopfpauschale" hier diffamierend einzusetzen und den zwingend verbundenen Sozialausgleich in der Tat unter den Tisch fallen zu lassen, und es wird schwer, dieses Modell also durchzusetzen. Aber ich bin sehr, sehr sicher, der Point of no Return, den haben wir hinter uns gelassen. Die Zukunft wird in diese Richtung gehen, dass wir immer größere Anteile von einkommensunabhängigen Beiträgen haben, nämlich ... Wie wird es denn weitergehen: Also ich denke, in der Zukunft, oder das nächste Modell, was Herr Rösler vorschlagen wird, wird eine weitere Entwicklung des von Ulla Schmidt eingeführten Gesundheitsfonds sein, wo wir ja bereits diese Einprozentregel drin hatten. Und ich kann mir gut vorstellen, dass also aus diesen ein Prozent zwei Prozent werden und dass der soziale Ausgleich, der derzeit hier im Fonds über den einzelnen Kassen meines Erachtens falsch abgewickelt wird, über den Fonds, das heißt von der Summe aller Versicherten, abgewickelt wird, und zwar über steuerliche Zuschüsse. Und ich denke, in diese Richtung wird man perspektivisch gleitend zu einem höheren Anteil von diesen Pauschalbeiträgen kommen, da ich in der Tat glaube, eine realistische Alternative gibt es nicht. Es sei denn, wir pumpen immer mehr Steuermittel in das System rein. Nämlich wir müssen natürlich wissen, in dem Maße, in dem man Steuermittel in das System reinpumpt, koppelt man natürlich auch die Finanzierung des Systems von den Arbeitskosten ab. Aber ob das der effizientere Weg ist, darüber kann man streiten.

Pindur: Vielen Dank für diese Informationen. Bert Rürup, der Gesundheitsexperte und Berater des Finanzdienstleisters AWD, war das hier ...

Rürup: Da muss ich Sie, Entschuldigung, korrigieren: Ich bin, seit 1. 1. diesen Jahres haben wir eine eigene Gesellschaft, ich bin Ende des Jahres beim AWD ausgeschieden.

Pindur: Alles klar, danke für diese Klarstellung!