Rodrigo Hasbún: "Die Affekte"

Eine Heldensaga als private Katastrophe

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Buchcover "Die Affekte". In dem Roman wird auf das Leben von Monika Ertl geschaut. © Copyright: Anne Herrberg / Suhrkamp Verlag
Von Katharina Döbler · 26.10.2017
Die Geschichte der Monika Ertl ist oft erzählt worden – Rodrigo Hasbún wirft nun einen neuen Blick auf das Leben der Sozialrevolutionärin. Der Autor erzählt von Ertls bürgerlicher Familie, Verlorenheit, Entwurzelung und Gewalt.
Sie war eine Ikone der linken Internationalisten, der Lateinamerika-Komitees und all derer, die Hoffnungen in die Theologie der Befreiung, die Stadtguerillas und Jünger Che Guevaras setzten: Monika Ertl, erschossen 1973 in Bolivien. Sie war die Tochter von Hans Ertl, der – unter anderem als Kameramann von Leni Riefenstahl - an der Nazi-Propagandamaschine entscheidend mitgedreht hatte.
Durch das Kriegsende war es vorbei mit seiner Karriere und er versuchte einen Neuanfang in Bolivien, wie viele andere – etwa Klaus Barbie, alias Altmann, der Nazi-Schlächter von Lyon. Seine Lieblingstochter Monika war noch ein Kind, als die Familie nach La Paz umzog. Wie viele aus ihrer Generation begann sie bald, sich an den himmelschreienden Ungerechtigkeiten dieser fremden Welt zu reiben, kam in Kontakt mit Sozialrevolutionären, Kindern aus gutem Hause wie sie, die sich für die Sünden ihrer Eltern verantwortlich fühlten.

Ertl erschoss den Mörder ihres Lebensgefährten

Einer der wenigen Überlebenden aus Che Guevaras Guerillagruppe und dessen Nachfolger, Inti Peredo, wurde schließlich ihr Lebens- und Kampfgefährte, bis er gefasst und zu Tode gefoltert wurde. 1971 erschoss Monika Ertl im Hamburger Konsulat Boliviens den Mann, der für Peredos Tod und den vieler anderer verantwortlich war. Sie tauchte unter und starb, wie es heißt, bei dem Versuch, Barbie zu entführen. Ihre Geschichte, Heldinnenlegende der deutschen Linken, lief 1989 als Dokumentarfilm auf der Berlinale ("Gesucht: Monika Ertl").
Nun erzählt ein Bolivianer, der aus Palästina stammt und in Texas lebt, diese Geschichte noch einmal, und er tut es kühl, einfühlsam und ohne jedes Pathos. Ihn interessieren die Gefühle der Beteiligten, die sie selbst nur in ihren Extremen wahrzunehmen scheinen. Affekte.

Verlorenheit, Entwurzelung und Gewalt

Der Vater, die Schwester und ein Freund kommen zu Wort, auch Monika selbst und ein Erzähler, der sich ihr mal in der zweiten Person nähert, mal als eine Art Genius Loci beschreibt, was an bestimmten Orten geschieht. Das Ganze ergibt ein Bild der Verlorenheit, der Entwurzelung und der Gewalt, ein Bild einer in alle Richtungen explodierenden bürgerlichen Familie.
Aber es ist eine sehr, sehr langsame Explosion, deren Überreste Hasbún wie ein literarischer Forensiker zusammensetzt. Dieses Buch lebt von Nuancen und Details, trotz der Wucht der Ereignisse, von denen es erzählt. Dass sie auch im Deutschen lesbar bleiben, ist ein großes Verdienst des Bolano-Übersetzers Christian Hansen. Eine Heldensaga als private Katastrophe: So kann man diese Geschichte auch erzählen.

Rodrigo Hasbún: "Die Affekte"
Aus dem Spanischen von Christian Hansen
Suhrkamp, Berlin 2017
145 Seiten, 18,00 Euro

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