Roberto Simanowski: "Facebook-Gesellschaft"

"Narzissmus der Selbstdarstellung"

Ein Laptop mit Social Media Icons auf dem Bildschirm, dahinter Menschen auf der Rollstreppe eines Einkaufszentrums in Hamburg.
Viele Menschen haben soziale Medien fest in ihren Alltag integriert. © picture alliance / dpa / Axel Heimken
Von Vera Linß · 13.07.2016
Warum sich so viele Menschen in sozialen Netzwerken tummeln, fragt Roberto Simanowksi in "Facebook-Gesellschaft", dem zweiten Band seiner Trilogie. Klug analysiert der Medienwissenschaftler darin die innere Leere der Nutzer und die gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer konstruierten Biografien.
Die "Anti-Loneliness Ramen Bowl", eine Suppenschüssel gegen die Einsamkeit, zeigt das Cover dieses Buches. Die Bowl enthält eine Halterung fürs iPhone, die es erlaubt, auch während des Essens im Internet zu surfen. 2013 sorgte diese Spielerei von "Misosoupdesign" aus Taipeh für Schlagzeilen und jeder fragte sich, wann die Schale endlich auf den Markt käme? Inzwischen kann man sie kaufen.
Für Roberto Simanowski ist sie dann auch gleich das Symbol der "Facebook-Gesellschaft", zu der sich die entwickelten Industrienationen mittlerweile gewandelt hätten. Denn deren Kommunikation sei "maßgeblich durch die Praktiken der Selbstdarstellung und Weltwahrnehmung auf Facebook bestimmt".
Doch warum sind so viele in sozialen Netzwerken, wie Facebook – letzteres übrigens das Synonym für die von Roberto Simanowski beschriebenen Veränderung? Worin liegt die "kulturelle Basis des Lock-in"? Ähnliches hatte der Medienwissenschaftler schon vor zwei Jahren gefragt. In "Data Love", dem ersten Teil seiner Trilogie, wollte er wissen, warum die Menschen in der digitalen Welt so viel über sich preisgeben? Sie lieben das Datensammeln, schrieb er damals, und hätten sich deshalb mit dem "Kontroll- und Überwachungssystem der digitalen Medien" versöhnt.

Schlüssige Lebenserzählung auf Facebook nicht gefragt

In seinem neuen Buch tritt er jetzt noch einen Schritt zurück und fragt, woher diese Liebe zu Daten überhaupt kommt. Wo liegt die Quelle für den "Narzissmus der Selbstdarstellung", der durch das "hoffnungsvolle Facebooken" befördert werde?
Aus psychologischer, erzähltheoretischer und geschichtsphilosophischer Sicht kommt Robert Simanowski jetzt zu drei, teilweise überraschenden Thesen:
1. Leute gehen nur zu Facebook, um sich von ihrer inneren Leere abzulenken. Ihre Erlebnisse würden sie anderen aufbürden – aus "Angst vor sich selbst" – und ohne das Erlebte wirklich zu reflektieren. Denn die Facebook-Oberfläche reduziere alles auf eine "spontan episodische" Selbstdarstellung. Eine schlüssige Erzählung des eigenen Lebens sei nicht gefragt.
2. Statt des Menschen erschaffe der Algorithmus daraus eine automatisierte Autobiografie.
Und das gehe, 3. auf Kosten des kollektiven Gedächtnisses. Durch Facebook entstehe eine Gemeinschaft jenseits kultureller Werte oder Identitäten, deren Kitt nur noch der Akt des Miteinanderchattens ist.

Simanowski wägt Vor- und Nachteile der Digitalisierung ab

Doch ist das alles wirklich so dramatisch? Sicher ist sich Roberto Simanowski nicht. Immer wieder ringt er mit den eigenen Thesen. Wenn niemand mehr im Korsett eines kollektiven Gedächtnisses gefangen ist, könne das ja auch mehr Freiheit für den Einzelnen bedeuten? Und er zieht etliche Denker – von Jean Paul über Schopenhauer bis zu Giorgio Agamben – zu Rate, wägt Vor- und Nachteile der Digitalisierung ab, um dann aber doch kulturpessimistisch zu enden.
Ein kluges Buch ist so entstanden. Lesevergnügen pur. Denn Robert Simanowski, der in Hongkong lehrt, beweist sich auch als feiner Beobachter des digitalen Alltags.
Als "modernes Tischgebet" beschreibt er etwa den notorischen Zwang beim Essen, mit Freunden Selfies schießen zu müssen: "Die Kamera isst zuerst." Dagegen könne nur Aufklärung helfen. Wie die aussieht, erfährt man im nächsten Buch, dem letzten Teil seiner Trilogie: "Medienbildung" heißt die dann.

Roberto Simanowski: Facebook-Gesellschaft
Matthes & Seitz, Berlin 2016
238 Seiten, 20,00 Euro

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