Ritual Ostermarsch

Von Gunter Hofmann · 20.03.2008
Bundeswehr raus aus Afghanistan! Für eine Weltfriedensordnung! Den Krieg im Irak beenden! Nato game over! Quer durch das Land wird man es bei den traditionellen Ostermärschen in den nächsten Tagen so wieder zu hören bekommen. Und wirken wird es vor allem wie ein Remake aus der alten Bundesrepublik. Dort kam es 1960 zu den ersten Ostermärschen, ein später Kampf gegen die Wiederbewaffnung und "gegen den Atomtod", wie es damals hieß. Was ist aus dieser Friedensbewegung geworden?
Ende der Siebzigerjahre stand die halbe Bundesrepublik offensichtlich hinter denjenigen, die gegen die Stationierung neuer Atomraketen protestierten. Geblieben ist davon an der Oberfläche fast nichts: Vor allem die Linkspartei sucht derzeit das Heft bei den Ostermärschen in die Hand zu nehmen, aber Marktplätze füllen sie nicht mehr. Nicht das ist es, was mich veranlasst, hier ein Wort einzulegen für ein kleines Randphänomen, das sehr gerne belächelt wird. Was den Westen angeht, dazu ein kurzer Rückblick: Nichts Unlauteres war es, dass sich in der jungen Bundesrepublik eine bunte Mischung zusammenfand, um jeweils an Ostern gegen die Militarisierung in den Köpfen und den Kalten Krieg in der Realität zu protestieren.

Gegen eine neue Aufrüstungsrunde schwoll das kleine Häuflein Ende der 70er Jahre zu einer Lawine an, Teile der SPD, die neuen Grünen, die Außerparlamentarische Opposition verschmolzen zu einem Massenprotest, der die Entspannungspolitik Brandts nicht der alten Logik, der Politik der Stärke, opfern wollte. 1982, bei der Kundgebung von 300.000 auf der Bonner Hofgartenwiese, standen Willy Brandt und Erhard Eppler und, ja, auch der heutige Linksparteichef Lafontaine neben den Pazifisten.

Und in der DDR? Natürlich stand jeder Gedanke an eine Friedensbewegung á la West quer zur vaterländischen Ostberliner Ideologie, der Sozialismus selbst sei eine einzige Friedensbewegung. Insofern galten Anti-Militaristen und Anhänger der Brandtschen Entspannungspolitik geradezu als Klassenfeinde. Umso respektgebietender der Gang der Dinge: In den 80er Jahren, parallel zu Gorbatschow, wollten zunehmend mehr DDR-Oppositionelle mutig "Schwerter zu Pflugscharen" machen. Mit den Friedensbewegten im Westen wollten sie nichts zu tun haben. Aus diesem DDR-"Randphänomen" wiederum entwickelte sich über Nacht die mächtige, friedvolle Leipziger Protestbewegung mit dem Höhepunkt am 9. Oktober, den Lichterketten, es führte also direkt zum friedlichen Aufstand gegen das SED-Regime. Man rede daher bitte die Geschichte dieser Bewegungen in Ost und West nicht klein.

Mit der Wende von 1989 in Europa keimte die Hoffnung auf eine Friedensdividende in den 90er Jahren. In Ost und West. Das machte die Friedensbewegungen erneut randständig, für kurze Zeit scheinbar überflüssig. Aber es folgte das Drama auf dem Balkan, das heute – siehe Kosovo! – noch keineswegs beendet ist: Das deutsche "Nie wieder soll Krieg von unserem Boden ausgehen!", das nach 1949 zu einer Art Grundprinzip geworden war, wurde nun umverwandelt in ein "nie wieder dürfen wir Deutsche Völkermorde zulassen!" Nun kam es zu Zerreißproben innerhalb der SPD und den Grünen, die erfolgreich die Friedensbewegung absorbiert hatten.

Für die Bundesrepublik hatte sich die Lage radikal verändert: Mit bloßer Zurückhaltung, das zeigte sich, konnte man sich auch schuldig machen. Die Welt war komplizierter geworden. Wer "Ja" zur Intervention am Kosovo sagte, war darum kein "Militarist", wer "Nein" sagte zum Irak-Krieg, war deshalb kein "Pazifist". Legitim aber blieb ein grundsätzlicher Pazifismus dennoch. Unehrlich klang nur die fundamentalistische Pauschalkritik an jedwedem Einsatz deutscher Soldaten im Ausland, als sei das Militärische nicht nur enttabuisiert, sondern als zögen die Deutschen wieder mal bedenkenlos kriegstreiberisch ins Feld.

Nein, aber wer "Deutsche heraus aus Afghanistan" ruft, muss dennoch überlegen, was es bedeutet und welche Alternativen es gibt, um im Lande zu helfen. Oder im Nahen Osten, in Dafur, im Kongo. Es reicht nicht, sich Augen und Ohren zuzuhalten. Die "Friedensbewegung" war, wenn sie gut war, mehr. Ja, wenn sie stark war, hat sie in der Bundesrepublik durchaus für eine Balance und auch - für politische Nachdenklichkeit gesorgt. Erinnert hat sie im Zweifel an ein rasch vergessenes Gut: an den Primat der Politik und des Zivilen. Und kann man denn ganz sicher sein, ob auch im Westen – siehe "Krieg gegen den Terror"! - die besonnenen Stimmen immer die Oberhand behalten gegen eine "Politik der Stärke"?

Gegen die Verächter der Friedensbewegung und gegen diejenigen, die sie instrumentalisieren aus populistischen Zwecken, möchte man festhalten an dem Satz Willy Brandts, der heute noch gilt: Es habe schon Schlimmeres gegeben in Deutschland, so der friedensbewegte Nicht-Pazifist, als junge Leute, die für den Frieden auf die Straße gingen.


Gunter Hofmann, Journalist und Autor, Jahrgang 1942, Dr. phil., seit 1977 bei der Wochenzeitung "Die Zeit", seit 1994 Büroleiter in Bonn, seit dem Regierungsumzug in Berlin, einer der angesehensten Beobachter des deutschen Politikbetriebs, jüngste Buchveröffentlichung: "Abschiede, Anfänge. Die Bundesrepublik. Eine Anatomie."